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Marie Luise Glahr, Bürgerstiftung Potsdam.

© Andreas Klaer

Zehn Jahre Potsdamer Bürgerstiftung: Die Potsdam-Verbessererin

Die Bürgerstiftung feiert am Samstag auf der Freundschaftsinsel ihr zehnjähriges Bestehen. Stiftungsgründerin Marie-Luise Glahr ist seit Anfang an dabei.

Von Carsten Holm

Potsdam - Es gibt eine berührende Szene, die zeigt, mit wie viel Tatkraft und wie viel Leichtigkeit die Ehrenamtlichen der Potsdamer Bürgerstiftung gewaltige Aufgaben erledigen. Es geschah im März dieses Jahres, der lähmende Lockdown war beendet, und drei Dutzend Menschen richteten die marode Inselbühne auf der Freundschaftsinsel in einem „Subottnik”, einem Arbeitseinsatz, her. Sie kramten 400 Stühle hervor, befreiten sie von Spinnweben und schraubten sie zusammen, sie jäteten Unkraut und verlegten Pflastersteine. Und als das Gröbste getan war, stiegen zwei Paare auf den Boden, der gerade neu verlegt worden war und tanzten, wie verträumt, Tango.

Vor zehn Jahren hat die Juristin und Kunsthistorikerin Marie-Luise Glahr, Mutter von zwei Töchtern, einem Sohn und „deutsche Mutter” (Glahr) eines syrischen Geschwisterpaars, mit dem Steuerrechtler Felix Müller-Stüler die Bürgerstiftung gegründet. Gefeiert wird das Jubiläum am heutigen Samstag von 18 bis 22 Uhr auf der Inselbühne. Die Band „Yours Indeed”, der Potsdamer Kneipenchor und ein DJ werden für Stimmung sorgen.

Inzwischen ein Vermögen von 50.000 Euro

Die Stiftungsvorsitzende wollte, beseelt von der Idee, „dass eine Stadtverwaltung die Rahmenbedingungen setzt, die Menschen aber das Leben dort prägen”, eine Stiftung gründen. Dem verstaubten Begriff des Ehrenamts hauchte sie neues, modernes Leben ein – mit ehrenamtlichen Fahrern, die Senioren mit der stiftungseigenen Fahrradrikscha kostenlos durch die Stadt fahren (Rikscha-Telefon: 0331-23180300) und ehrenamtlichen Potsdamerinnen, die sich mit geflüchteten Frauen zum Stricken treffen.

Fahrrad-Rikscha des Stiftungsprojektes „Bürgermobil” vor dem Klosterkeller Potsdam.
Fahrrad-Rikscha des Stiftungsprojektes „Bürgermobil” vor dem Klosterkeller Potsdam.

© Andreas Klaer

In Hamburg etwa verwaltet die „BürgerStiftung” ein Kapital von 35,1 Millionen Euro, die Potsdamer begannen mit 15.000 Euro, die private Gründungsstifter gespendet hatten. Inzwischen liegt das Vermögen bei rund 50.000 Euro. Mitglieder gibt es nicht, wer mithilft, ist ein Freund. „Wir haben im zehnten Jahr folgende Ziele: 100 neue Freunde und ein Kapital von 100.000 Euro bis Ende 2022“, sagte Glahr den PNN. Eine solche solide Grundlage brauche die Stiftung, wenn sie irgendwann einmal eigene Räume beziehen wolle.

Schon zum Jahresende müssen große Probleme gelöst werden: Ihr vorübergehendes Domizil im Klosterkeller, der an der Friedrich-Ebert-Straße 94 gelegenen ältesten Gaststätte der Stadt, muss die Stiftung dann verlassen. Der in Potsdam lebende Berliner Projektentwickler Christopher Weiß hatte das barocke Gebäude vor eineinhalb Jahren erworben, um es mit Läden und Wohnungen zu modernisieren. Weiß gewährte der Stiftung während der Planungs- und Bauzeit Unterschlupf zum symbolischen Preis von einem Euro.

Es war beeindruckend, was die Bürgerstiftung seit Januar 2020 dort auf die Beine stellte. Eine Art selbstverwaltetes Jugendzentrum entstand, mittwochs bis samstags trafen sich bis zu 100 Jugendliche am und im Klosterkeller. Musik, ein „Sterni” für nur 1,50 Euro, weil keine Kosten für die Miete und das Personal entstanden, die Jugendlichen putzten die Toiletten, und der 19 Jahre alte Abiturient Noel Sigmunczy achtete als Projektleiter mit fünf Freunden darauf, dass alles in geordneten Bahnen lief. 

Jetzt: Dixie-Klos?

In der vergangenen Woche dann das Aus – die Toiletten waren defekt. Marie-Luise Glahr will für die letzten Wochen eine Lösung finden, vielleicht mit Dixie-Klos. „Es war lange Zeit einer der schönsten Orte für Jugendliche in Potsdam”, sagt die Vorsitzende. Händeringend sucht sie nach einer neuen Bleibe.

Sie fühlte sich „geehrt”, als der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sie am 24. September mit der Bundesverdienstmedaille auszeichnete. „Ihre Arbeit ist ein Segen für die Stadt Potsdam”, sagte der Regierungschef.

Bekannt geworden ist die Stiftung mit ihrer Initiative „Potspresso”, einem nachhaltigen Kaffeebecher für eine Pfandgebühr von zwei Euro. An 80 Abgabestellen, vor allem in Bäckereien und Cafés, gibt es ihn schon.

Um die Stadt verdient gemacht hat sich die mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Bürgerstiftung vor allem mit der Rettung der Freiluftbühne, seit den 1970er-Jahren ein Publikumsmagnet. Sie war verfallen, ihr Ende beschlossen – bis Marie-Luise Glahr das Überleben in zähen Gesprächen mit der Stadt erreichte. Mehr als 100.000 Euro für die Modernisierung kamen an Spenden zusammen.

Am 6. Juni dann das erste Konzert: Das Landespolizei-Orchester trat auf, „und wir hatten eine Pandemie-taugliche offene Bühne im Herzen der Stadt”, sagt Glahr. Der Eintritt war stets frei, 8000 Besucher kamen in diesem Jahr. Es gab Tanz-Workshops, Angebote für Kinder und Familien, den „International Tuesday”, eine Begegnung zwischen Potsdamern und Menschen aus anderen Ländern; im Stimmengewirr waren Russisch, Englisch, Chinesisch und Arabisch zu identifizieren. 

Sicherlich ein Höhepunkt: die Vorführung des DDR-Westerns „Die Spur des Falken” durch das Filmmuseum. Marie-Luise Glahr beschreibt die Arbeit der Bürgerstiftung in der Landeshauptstadt mit einem treffenden Bild: „Was wir machen, ist so etwas wie für den Wettbewerb ,Unser Dorf soll schöner werden’.” Dann stoppt sie einen Augenblick, lächelt und sagt: „Nur größer.”

Spendenkonto: Bürgerstiftung Potsdam. IBAN DE93 120700000010 66 3300, Deutsche Bank Potsdam. 

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