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Update

Wohnen in Potsdam | Recherche vom Netzwerk "Stadt für alle": Dubiose Geschäfte mit Wohnungen in Potsdam aufgedeckt

Das Netzwerk "Potsdam - Stadt für alle" hat undurchsichtige Geschäfte von Immobilienfirmen in Potsdam aufgedeckt: Unglaubliche Mietsteigerungen, Steuertricks und vieles mehr.

Von Carsten Holm

Potsdam - Undurchsichtige Besitzverhältnisse bei Immobilien, Vermieter mit seltsamen Namen und Mutterfirmen in Steueroasen: in einer mehrmonatigen Recherche hat das Netzwerk „Potsdam – Stadt für alle” dubiose Praktiken aufgedeckt, mit denen international operierende Finanz- und Immobilienfirmen auf dem Potsdamer Wohnungsmarkt Geschäfte machen.

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Am Samstagmorgen präsentierte das Netzwerk die Ergebnisse seiner Arbeit vor dem Rathaus. „Wir haben herausgefunden, wie Finanzinvestoren vor allem in den Altbauten bürgerlicher Stadtteile wie Potsdam-West und Babelsberg ohne jegliches Interesse an der Stadt ihr Geld arbeiten lassen und beispielsweise Mietwohnungen in überteuerte möblierte Wohnungen umwandeln”, sagte Holger Zschoge, einer der Koordinatoren der Recherche, den PNN: „Potsdamer Mieter mehren das Vermögen von Menschen, die schon ziemlich viel davon haben und sich die Expertise einkaufen, um möglichst wenig Steuern zu zahlen”.

Die Rechercheure belegen mit Wohnungen und Häusern in der Zeppelinstraße in Potsdam-West und in der Rudolf-Breitscheid-Straße in Babelsberg, wie Investoren in der Landeshauptstadt ihr Ziel der Gewinnmaximierung auf Kosten Wohnungssuchender erreichen. „Wir haben im letzten halben Jahr in über 150 Dokumenten, Webseiten, Bilanzen und Handels – und Unternehmensregistern recherchiert und gelesen. Einige Male mussten wir Dokumente kaufen, oft übersetzen”, heißt es in dem jetzt vorgelegten Dossier. Es liest sich wie das Drehbuch zu einem Krimi über Finanz-und Wohnungsspekulanten, und es kann ab sofort über die Homepage des Netzwerks heruntergeladen werden.

Am Samstagmorgen vor dem Rathaus in Potsdam: Das Netzwerks „Stadt für alle Potsdam“ präsentiert ein Dossier, das bisher unbekannte Verbindungen zwischen überteuerten möblierten Wohnungen in Potsdam und intransparenten Geflechten von Finanz- und Immobilienfirmen aufzeigt. 
Am Samstagmorgen vor dem Rathaus in Potsdam: Das Netzwerks „Stadt für alle Potsdam“ präsentiert ein Dossier, das bisher unbekannte Verbindungen zwischen überteuerten möblierten Wohnungen in Potsdam und intransparenten Geflechten von Finanz- und Immobilienfirmen aufzeigt. 

© Andreas Klaer

Briefkastenfirma und verästelte Strukturen

Vor dem Rathaus haben die Aktivisten um 10 Uhr eine symbolisierte Mini-Wohnung aufgebaut: spärlich möbliert, kleine Kochecke, immerhin ein Sofa. Dazu ein Plakat mit dem eher zynischen als ironischen Text: „Möblierte Wohnung, stilvoll und geräumig, im Herzen Potsdams. Nur 30 Euro pro Quadratmeter.” Darüber hängt ein Plakat mit dem Text: „Ihre Miete garantiert eine traumhafte Rendite für Investmentfirmen in Steueroasen.” Der Potsdamer Wohnungsmarkt steht wie von den PNN mehrfach berichtet, wegen eines äußerst knappen Angebots von Wohnungen, die für Normalverdiener bezahlbar sind, ohnehin unter großem Druck. In Wohnungen, die Finanzinvestoren erwerben, sei die Lage besonders schwierig, so das fünfköpfige Team um Zschoge.

Es legte mit Unterstützung des journalistischen Recherchekollektivs „Correctiv” unter anderem offen, „dass die Vermieter oft personenlos sind, es nur eine Briefkastenfirma gibt und sie so verästelte Strukturen aufgebaut haben, dass es Mietern kaum möglich ist, sie zu durchschauen”. Die Rechtsunsicherheit der Mieter sei im Falle von Konflikten „sehr groß“. Die Rechercheure von „Potsdam – Stadt für alle” wühlten sich mit ihren Helfern durch Berge von Papieren, klapperten Handelsregister nach Spuren auf auffällige Eigentumsverhältnisse bei Immobilien ab – und arbeiteten sich bis zu den sogenannten Panama-Papers vor.

Die Panama-Papers-Affäre

Ein anonymer Whistleblower hatte 2016 Millionen von vertraulichen Unterlagen des von dem Deutschen Jürgen Mossack gegründeten und inzwischen aufgelösten panamaischen Offshore-Dienstleisters Mossack Fonseca, der „Süddeutschen Zeitung” zugespielt. Der Inhalt: Unterlagen über legale und illegale Steuervermeidungstricks, Steuer- und Geldwäschedelikte und andere Straftaten von Kunden des Dienstleisters, ebenso Kreditverträge, Rechnungen und Bankauszüge. 

Die Firma half nicht nur Premierministern und Diktatoren, Gelder zu verstecken, sondern auch Drogenkartellen, Mafia-Clans, Betrügern, Waffendealern und Regimen wie Nordkorea und Iran.

Die „Süddeutsche Zeitung” teilte die „Papers” mit dem „International Consortium of Investigative Journalists”. Die Auswertung dauerte ein Jahr, bevor 109 Zeitungen, Fernsehstationen und Online-Medien in 76 Ländern 2016 gleichzeitig die ersten Ergebnisse veröffentlichten. Ans Licht kamen die Offshore-Geschäfte etwa von Fußballstar Lionel Messi – vor allem aber von 140 Politikern und hohen Amtsträgern. Der russische Präsident Wladimir Putin gehörte dazu, auch sein damaliger ukrainischer Amtskollege Petro Poroschenko. Auch deutsche Finanzinstitute nutzten die Dienstleistungen von Mossack Fonseca, die Deutsche Bank musste, wie die Potsdamer Rechercheure zusammengetragen haben, für 426 im Auftrag ihrer Kunden gegründeten Offshore-Firmen ein Bußgeld von 15 Millionen Euro zahlen – wegen unterlassener Anzeige von Verdachtsfällen. 

Mehrere Monate hat das Netzwerk „Stadt für alle Potsdam“ zu den dubiosen Geschäften von Immobilienfirmen recherchiert. 
Mehrere Monate hat das Netzwerk „Stadt für alle Potsdam“ zu den dubiosen Geschäften von Immobilienfirmen recherchiert. 

© Andreas Klaer

Jetzt, vier Jahre nach dem Skandal um die Panama Papers, führt die Spur bis in die Zeppelinstraße in Potsdam. Holger Zschoge gibt vor dem Rathaus preis, wie das geschah: „Ein Mieter aus der Zeppelinstraße sandte uns seinen Mietvertrag zu, in dem der Name der Luxemburger Firma Brandenburg Properties 1 S.à.r.i auftauchte. Wir haben den Namen des Mieters geschwärzt und `Correctiv` die Daten übermittelt.“. Das Recherchekollektiv habe dann im Luxemburger Handelsregister „sehr schnell” die Firma gefunden, ebenso wie eine sogenannte Teilhaberechtserklärung, die ausweise, dass der globale Vermögensverwalter Maitland schon seit 2011 Teilhaber ist. 

Nur noch zwei Altmieter

Der stets eher bescheiden auftretende Bürger Zschoge schafft es, seinen Stolz im Zaum zu halten, als er erzählt: „Die Leute von `Correctiv` sagten: Ihr seid auf einer ganz heißen Spur. Denen war Maitland schon im Zusammenhang mit den Panama Papers aufgefallen.” 

Auch diese Häuser in der Zeppelinstrasse 50, 51 und 52 (v.r.) sind betroffen.
Auch diese Häuser in der Zeppelinstrasse 50, 51 und 52 (v.r.) sind betroffen.

© Andreas Klaer

Nach und nach konnten die Rechercheure die verborgenen Strukturen zunächst anhand der Wohnung in der Zeppelinstraße aufdecken. Das Kürzel S.à.r.l im Mietvertrag steht für Societé responsabilité limiteé, auf Deutsch: eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Die Rechercheure schwärmten aus und befragten Mieter in der Zeppelinstraße. Vermutlich 2015, heißt es in dem Dossier, hätten dort „etwa zehn Häuser” den Besitzer gewechselt. Seit der Übernahme der Häuser seien laut dem Netzwerk immer mehr Mietwohnungen in sogenannte möblierte Wohnungen oder Eigentumswohnungen umgewandelt worden. In der Zeppelinstraße 52 wohnten nur noch zwei Altmieter mit alten Mietverträgen zu günstigen Preisen. Alle anderen Wohnungen würden nach dem Auszug der Mieter „recht flott modernisiert und teuer privatisiert” - oder mit einfachen Möbeln bestückt und zu einem Quadratmeterpreis von 15 Euro vermietet werden. In einem Fall gebe es vom alten zum neuen Mieter eine Preissteigerung von mehr als 100 Prozent.

Das Haus in der Zeppelinstraße 50 stehe leer. „Potsdam – Stadt für alle” habe erfahren, dass der Eigentümer, die Brandenburg Realty Property 4 coöpertif UA, dort ein Gästehaus entstehen lassen wolle. Es sei das immer gleiche Konzept zu beobachten: Mietwohnungen beseitigen, möblierte Wohnungen, Appartements oder Gästewohnungen schaffen, „die ein Vielfaches an Mieten einbringen”.

Holger Zschoge.
Holger Zschoge.

© Carsten Holm (Archiv)

Dieselben Methoden legaler Skrupellosigkeit in der Rudolf-Breitscheid-Straße: Mehrere Häuser gehören dort den Gesellschaften, hinter der Hausnummer 74 gebe es, so das Netzwerk, längst einen Mix aus Miet-und Eigentumswohnungen, die Häuser mit den Straßennummern 63 und 64 habe die Maklerfirma Shore Capital International Ltd. zum Kauf angeboten. Die Investoren greifen auch nach Gewerbeimmobilien. So ist die Brandenburg Property 2 coöperatief UA Vermieterin des Hauses an der Zeppelinstraße 48. Die Miete überweist das Landesamt für Soziales und Versorgung.

Firmensitz auf der Kanalinsel Guernsey

Von den vielen Objektgesellschaften, die sich mit dem Namen Brandenburg schmücken, kamen die Rechercheure zu deren Muttergesellschaft: Der 2006 gegründeten Puma Brandenburg Ltd., einer Holding, die sich auf Immobilienvermögen in Deutschland, den USA und Israel spezialisiert habe. 

Im Geschäftsbericht der Holding für 2016 stünden allein 37 Tochtergesellschaften wie die Brandenburg Properties 1, die meisten seien in Luxemburg, den Niederlanden und auf der britischen Kanalinsel Guernsey eingetragen. Das Eiland sei auch Sitz des Mutterunternehmens, es locke mit weitgehender Steuerfreiheit auf Kapitalerträge, Schenkungen und Erbschaften. Im Geschäftsbericht sei die örtliche Einkommenssteuer für das Unternehmen erwähnt: Null Prozent. 

Der 2002 gegründete geschlossene Immobilienfonds Puma Property, der vor allem Kapital aus Übersee einsammelt, weiß, wie das System funktioniert. Er schüttete seinen Anlegern laut Wallstreet Online und Immobilienzeitung einen jährlichen Effektivzins von mehr als 39 Prozent aus.

Forderungen an die Stadt

Wie aber lassen sich die Geschäftspraktiken, unter deren Folgen die Mietpreise immer weiter steigen, beseitigen? „Potsdam – Stadt für alle”, habe zwei Forderungen an die Stadt, sagt Zschoge. Sie müsse für die Transparenz solcher Strukturen sorgen. Das ist rechtlich möglich? „Selbstverständlich”, sagt der Netzwerkmann, „in dieser Woche ist bekannt geworden, dass die Wohnungsgesellschaft Deutsche Wohnen mal wieder auf Einkaufstour gegangen ist. In Berlin, aber auch in Potsdam.” In Berlin hätten die Bezirksverwaltungen sofort veröffentlicht, um welche Häuser es sich handelt, in Potsdam sei das nicht geschehen. Mieter in der Zeppelinstraße hätten zwar den Antrag gestellt, das Grundbuch einsehen zu können, weil für ein Haus ein Abriss- und ein Bauantrag gestellt worden seien. „Einsicht haben wir nicht bekommen”, sagt Zschoge. 

In der Bundeshauptstadt gebe es inzwischen ein sogenanntes Transparenzregister, „so etwas fehlt in Potsdam und in ganz Brandenburg”. Hinsichtlich der zu teils horrenden Preisen vermieteten möblierten Wohnungen müsse „endlich” eine Zweckentfremdungsverordnung erlassen werden. Das Land Brandenburg habe im vergangenen Jahr ein Zweckentfremdungsgesetz erlassen, „aber wir haben nach einem Jahr noch immer keine Verordnung für Potsdam”. Dazu gehöre ein Verbot der Umwandlung von regulären in möblierte Mietwohnungen. In der Zeppelinstraße klagten Altmieter Zschoge zufolge darüber, dass es seit etwa einem Jahr regelmäßig zum Ausfall der Heizung oder des Stroms komme, „und die erreichen niemanden”. Die neuen Eigentümer „machen wenig an den Häusern, so nach dem Motto: irgendwann ziehen die dann aus”.

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