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Am Donnerstag startet eine Aktionswoche zur seelischen Gesundheit.

© Ottmar Winter

"Woche der seelischen Gesundheit" in Potsdam: Hilfe für die kranke Seele

17 Wochen müssen psychisch Erkrankte in Potsdam aktuell auf einen Therapieplatz warten. Ein Überblick über die Lage in der Landeshauptstadt.

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Potsdam - Die Mundwinkel zeigen nach unten. Ein großes Schild mit traurigem Gesicht hält sich die Frau vor ihr eigenes. Darüber steht „Geht's dir gut?“ Mit dieser Plakatkampagne nimmt die Stadt Potsdam derzeit die Psyche der Potsdamer in den Blick und macht zu der am heutigen Donnerstag beginnenden „Woche der seelischen Gesundheit“ auf Hilfsangebote aufmerksam. Ein Prozent der Bevölkerung erkrankt einmal im Leben an einer Psychose, davon gehen Experten aus. Hinzu kommen Neurosen wie Depressionen oder Angststörungen. Die PNN bieten einen Überblick über die Lage in Potsdam. 

Wie viele Potsdamer sind betroffen?

Wie viele Potsdamer unter psychischen Problemen leiden, wird nicht erfasst. Die Krankenkassen führen allerdings Statistik über die Tage, an denen ihre Versicherten krankgeschrieben waren. Bei den 550.000 Brandenburgern, die bei der AOK Nordost versichert sind, waren im vergangenen Jahr 11,2 Prozent der Krankheitstage psychisch bedingt – von durchschnittlich 23 Tagen pro Versichertem. Damit steht die Psyche an dritter Stelle, nach Muskel- und Skeletterkrankungen und Erkrankungen der Atemwege. Das teilte Markus Juhls, Sprecher der AOK Nordost, auf Anfrage mit. Bei der Techniker Krankenkasse (TK) mit knapp 150.000 Versicherten verursachten psychische und Verhaltensstörungen laut TK-Sprecher Lennart Paul im Schnitt 3,2 Fehltage pro Versichertem. Damit liege Brandenburg über dem Bundesschnitt von 2,8 Tagen. Erfasst werden etwa Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen oder Essstörungen. Die Zahl der Fehltage sei in den vergangenen drei Jahren leicht angestiegen. Potsdam liege minimal unter dem Landesschnitt.

Der Sozialpsychiatrische Dienst der Stadt veröffentlicht zwar keine Zahlen, aber Dr. Klaus Hemmrich, Facharzt für Neurologie und Psychologie und seit rund 30 Jahren Leiter des Dienstes, gibt eine Einschätzung. Die Zahl der Psychosen wie etwa Schizophrenie sei in den westlichen Ländern relativ konstant. Die psychotischen Erkrankungen dagegen, gerade im Zusammenhang mit Drogenkonsum, "haben eindeutig zugenommen", erklärt er: „Wer regelmäßig Amphetamine konsumiert, entwickelt in 30 Prozent der Fälle innerhalb von drei Jahren eine psychotische Erkrankung.“

Wo findet man Hilfsangebote?

Vor einem Jahr hat die Stadt Potsdam den „Wegweiser Seele“ zur „Woche der seelischen Gesundheit“ 2018 online gestellt. Auf einer virtuellen Karte können Nutzer dort Beratungsstellen finden, Selbsthilfegruppen oder andere Ansprechpartner. Rund 120 Angebote sind dort gespeichert. 2000 Zugriffe vermeldete die Seite seither. „In den dunklen Monaten, im Herbst und im Winter sind es eindeutig mehr als im Sommer“, sagte Stadtsprecherin Juliane Güldner auf Anfrage.

Wohin kann man sich wenden?

In psychischen Notlagen ist jede Situation individuell, und so sind es auch die passenden Hilfsangebote, sagt Hemmrich vom Sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt. Dieser Dienst der Verwaltung bietet Betroffenen, aber auch Angehörigen oder Freunden eine Beratung an, vermittelt Hilfsangebote. „Wenn Personen klar ist, dass sie Hilfe brauchen, dann wenden sie sich häufig an ihren Hausarzt“, sagt Hemmrich. Das gelte häufig bei Burn-Out-Syndrom. Problematischer seien die Fälle, in denen sich die Personen selbst nicht krank fühlen. „Der Zugangsweg ist dann oft über den Bekanntenkreis oder Kollegen“, sagt Hemmrich. Dann komme es auf den Zustand der Person an. Wenn diese sich akut selbst oder andere gefährdeten, etwa bei Suizidgefahr, kann der Dienst den Betroffenen direkt in die Klinik bringen, wenn nötig auch mit Amtshilfe von Polizei oder Feuerwehr. In anderen Fällen vermittelt der Dienst weiter zu Beratungsangeboten oder zu einem Psychiater.  Doch es gibt auch eine Reihe von niederschwelligeren Angeboten, an die man sich wenden kann, wenn man sich psychisch angeschlagen fühlt. Die Telefonseelsorge kann am Hörer ein offenes Ohr bieten. Unter Tel.: 0800 1110111/ -0222 oder 0800 116 123 ist diese erreichbar, es gibt auch einen Online-Chat unter www.telefonseelsorge.de. Für Notfälle ist auch die Psychiatrische Notaufnahme des städtischen Klinikum Ernst von Bergmann eine wichtige Adresse.

Wie viele Therapeuten gibt es in Potsdam?

Laut den Zahlen der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer (OPK) gab es im Mai 2018 in Potsdam 95 niedergelassene Psychotherapeuten für Erwachsene, 14 Kinder- und Jugendpsychotherapeuten sowie zwei, die beide Gruppen behandeln. In ganz Brandenburg sind 425 Erwachsenentherapeuten, 116 Kinder- und Jugendtherapeuten sowie 21 Therapeuten tätig, die alle behandeln. Der Bedarf an Kassensitzen für Psychotherapeuten sei in diesem Jahr neu berechnet worden, erkläutert OPK-Sprecherin Antje Orgass. Demnach sollen noch einige Kassensitze in Berlin-Nähe entstehen. Wie viele genau, stehe bislang allerdings noch nicht fest. 

Wie lang wartet man auf eine Therapie?

Wer eine Psychotherapie beginnen möchten, muss in Potsdam laut OPK derzeit 17 Wochen auf einen Platz warten – mehr als vier Monate. Seit 2017 habe jeder Patient aber Anspruch auf einen Termin im Rahmen einer Sprechstunde, auch wenn noch kein Therapieplatz frei ist. „Damit Patienten schneller ins System kommen“, erklärt Orgass. Diese bis zu fünf Stunden dienten der Diagnosestellung, um die angemessene Behandlungsform wie Verhaltenstherapie oder Psychoanalyse zu finden. „Man erfährt immer, wie es weitergeht“, sagt Orgass. Dennoch: Auch auf einen Ersttermin in der Sprechstunde müssten Patienten in Potsdam im Schnitt fünf Wochen warten. In Brandenburg ist die durchschnittliche Wartezeit noch länger: 23 Wochen sind es laut Psychotherapeutenkammer für einen Therapieplatz, etwa acht Wochen für ein Erstgespräch.

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