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Von Polen begeistert. Hans-Dieter Rutsch ist mehrmals im Jahr für Dreharbeiten in unserem Nachbarland, etwa zehn Dokumentarfilme hat er zu der Region bereits produziert.

© M. Thomas

Landeshauptstadt: Wo Fontane Urlaub machte

Der Potsdamer Filmemacher und Buchautor Hans-Dieter Rutsch hat ein Buch über Schlesien und die Deutschen geschrieben

Die Annäherung an Schlesien brauchte Zeit. „Für manches muss man älter werden“, sagt Hans-Dieter Rutsch. Der Potsdamer Filmemacher und Buchautor, 60 Jahre alt, hat gerade an seinem zweiten Buch über Polen geschrieben, das am 29. August bei Rowohlt erscheint: „Das preußische Arkadien. Schlesien und die Deutschen“. Nach der Arbeit an „Die letzten Deutschen“, erschienen vor zwei Jahren über deutsche Familien, die nach dem Zweiten Weltkrieg im heutigen Polen blieben, habe er nun die Magie der Region Schlesien entdeckt.

In dem neuen Buch geht es um diese Landschaft, die historische und kulturelle Bedeutung Schlesiens. Denn wer dieses Gebiet auf den Sehnsuchtsort aller Vertriebenen reduziere, der tue diesem Landstrich mitten in Europa Unrecht. „Das ist mein therapeutischer Beitrag, die Deutschen von ihrer Schlesien-Neurose zu befreien“, sagt Hans-Dieter Rutsch.

Es sei ein magisches Land. Seine Familie stammt aus dieser Region, doch als er mit elf Jahren das erste mal mit seinen Eltern über die Oder fuhr, blieb ihm Polen zunächst fremd. Mittlerweile ist er mehrmals im Jahr für Dreharbeiten dort, etwa zehn Dokumentarfilme hat Rutsch bereits produziert: beispielsweise über Schlösser in Schlesien und immer wieder über menschliche Schicksale zwischen Polen und Deutschland.

Für das „Preußische Arkadien“ hat der Autor, neben seinen eigenen Reiseeindrücken, viele historische Quellen herangezogen: Briefe und Reisebeschreibungen aus dem 18. und 19. Jahrhundert, vor allem über das romantische, sanfte Hirschberger Tal, das märchenhafte Riesengebirge. Goethe wanderte hier und verliebte sich – als alter Mann – noch einmal heftig. Der Dichter Gerhart Hauptmann fand hier in einem Dörfchen einen Rückzugsort. Aus Dresden kam der Maler Caspar David Friedrich zu Fuß und kehrte mit Hunderten Skizzen aus dem Hirschberger Tal zurück. Rutsch wählte für das Buchcover ein Bild des Malers aus: Caspar David Friedrich selbst vor einer weiten Gebirgslandschaft, im Hintergrund der Gipfel der Schneekoppe.

Hierher treibt es auch den Brandenburger Theodor Fontane – zum Arbeiten. „Zu seinem Gepäck gehört das unfertige Manuskript des dritten Bandes seiner ’Wanderungen durch die Mark’. Er will ihn hier vor der Kulisse des Riesengebirges überarbeiten“, schreibt Hans-Dieter Rutsch. „Noch weitere neun Sommer wird Fontane in Hirschberg aus dem Zug steigen, schließlich in der Schlingelbaude für sich und seine Frau Emilie zwei Zimmer mieten. In manchem Jahr auch drei, wenn seine stets kränkelnde Tochter Mete mitreist.“

Doch nicht nur Künstler, auch die Hohenzollern entdeckten jenes „preußische Arkadien“, eine Landschaft mit mildem Klima, fast wie in Italien – nur eben nicht so weit weg. Schinkel baute hier Schlösser, Lenné legte Gärten an. Der sogenannte „Schlesische Barock“ würde auch nach Brandenburg passen, sagt Rutsch.

Ebenso schreibt Rutsch – dann allerdings kaum noch in dem leichtgängigen Plauderton, der dem größeren Teil des Buches zu Grunde liegt – über das Erbe der Nazizeit, die Verwüstungen in Breslau im Februar 1945. „Ganze Straßenzüge werden gesprengt, um Kampflinien einzurichten. Und dann gibt es in Breslau Männer, die mitten im Chaos den Auftrag haben, die verbliebenen Kunstschätze vor dem Inferno zu bewahren.“ Diese polnischen „Monuments Men“ schaffen die Schätze heimlich aufs Land – wieder eine Geschichte, die Rutsch lebhaft schildert.

Es ist eben ein Lesebuch, keine wissenschaftliche Abhandlung. Rutsch nennt es „Nachempfindung“, wenn er diese Bruchstücke aus historischen Quellen, alten Zeitungen beispielsweise, mit eigener Fantasie ausfüllt – Dichtung und Wahrheit. Und gerade deshalb macht es Lust, einfach einmal loszufahren, dieses etwas in Vergessenheit geratene Fleckchen Erde zu erkunden. Auch wenn hier und da das Land auf Touristen noch nicht eingestellt zu sein scheint, die Ausschilderung oft sparsam ist und der Lift zur Schneekoppe hinauf eine unbequeme Wackelpartie verspricht. Dafür bekomme man aber jederzeit Quartier – ob in einer einfachen Hütte oder einem liebevoll restaurierten Schloss.

Letztlich spannt Rutsch den Bogen bis in die Gegenwart, schildert, wie heute junge Leute aus Berlin in Schlesien, der Heimat ihrer Vorfahren, eine neue Heimat für sich selbst finden. Ohne Verbitterung. Und in Schlesien spüre man eine Bereitschaft, das deutsche Erbe anzunehmen, mit diesem kreativ umzugehen. „Es ist dort mittlerweile egal, ob man Deutscher ist oder Pole. Schlesien – das ist jetzt Europa“, sagt Rutsch. Steffi Pyanoe

In der Nacht zum Dienstag um Mitternacht zeigt die ARD Hans-Dieter Rutschs Film „Polen und seine Deutschen“, am 1. 9. um 19 Uhr liest Rutsch aus dem neuen Buch im Literaturladen Wist, Dortustr. 17. „Das preußische Arkadien“ von Hans-Dieter Rutsch ist 2014 erschienen bei Rowohlt, 267 Seiten, 19,95 Euro

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