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Landeshauptstadt: Wo die „Mädchen in Uniform“ lebten

Erstmals in seiner über 100-jährigen Geschichte öffnet sich das Kaiserin-Augusta-Stift dem Publikum

Erstmals in seiner über 100-jährigen Geschichte öffnet sich das Kaiserin-Augusta-Stift dem Publikum Nauener Vorstadt - Von der Seitenwand blickt bleich Lenins Stuckbildnis in den Altan der Stiftskapelle. Hier stand ab 1946 und bis Mitte der 50er Jahre statt des Altars ein Richtertisch, an dem das Sowjetische Militärtribunal politische Gefangene zum Tode oder zu langjähriger Zwangsarbeit im sibirischen Straflager Workuta verurteilte. Anlässlich des Denkmaltages werden erstmals Interessenten Gelegenheit erhalten, das Kaiserin-Augusta-Stift Am Neuen Garten und damit auch diesen Ort des Schreckens zu besichtigen. Dafür sorgt der Potsdamer Architekturverein Architrav in Abstimmung mit dem Hauseigentümer, der Prinz von Preußen Bauträgergesellschaft. Der Vereinsvorsitzende Thomas Sander hat vor kurzem eine Arbeit über die Geschichte des 1872 durch Kaiserin Augusta für Adels-, Offiziers-, Pfarrer- und Beamtentöchter begründeten Stifts vorgelegt. 1902 zog es aus Berlin-Charlottenburg in den durch den Architekten Lothar Krüger im Stil eines (neo)romanischen Burghofes konzipierten Neubau am Neuen Garten um. Architrav hat eine Ausstellung erarbeitet, die die Geschichte des Komplexes bis zu jenem finsteren Nachkriegskapitel weiterverfolgt, als der KGB-Geheimdienst das Stift in sein „verbotenes Städtchen“ einbezog und erst 1994 freigab. Thomas Sander wird am Wochenende auch die Führungen durch das riesige Gebäude übernehmen. Im Erdgeschoss erreicht man von der Empfangshalle, in der eine Büste der Kaiserin Augusta stand, unter anderem den Speisesaal, in dem an langen Tischen 88 Mädchen und ihre Erzieherinnen Platz fanden, sowie die Turnhalle, die von den Sowjets als Kinosaal genutzt wurde. Dabei passiert man das „Mäntelzimmer“, in dem die Schülerinnen ihre Wintersachen unterbrachten. Treppauf geht es in das „Kaiserinzimmer“, für die auf Augusta folgende Protektorin Kaiserin Auguste Viktoria als mondäner Salon ausgestattet, in den Wohnraum der Oberin, den als Treffpunkt der Schülerinnen eingerichteten „Tagesraum“ und die daneben liegende Bibliothek. Unter dem Turm hatte die „Hausdame“, die Wirtschaftsleiterin, ihren Wohnraum. Darüber liegt unter dem Dach ein Turmzimmer mit schönem Ausblick. Von der Innenausstattung der Räume, den Täfelungen und Wandmalereien haben die russischen Besatzer mit Ausnahme von Kaiserinzimmer und Speisesaal allerdings wenig gelassen. Den Stiftsalltag spiegeln die Schlafsäle für je zehn Mädchen, zugeordnet stets das Zimmer einer Erzieherin und Waschräume, die Klassenzimmer, Zeichensaal, Waschräume, Krankenrevier – hier hatte der KGB eine Funkstation eingebaut, deren Reste noch erkennbar sind – und der Wirtschaftstrakt wieder. Im „Schrankzimmer“ standen bis 1937 70 Spinde für die persönlichen Sachen. Danach wurde es unterteilt und bot den ein halbes Jahr vor der Entlassung stehenden Schülerinnen als so genanntes Primanerheim einen Ort, an den sie sich zurückziehen und etwas freier leben konnten. Dies ist bekannt durch das Erinnerungsbuch „Mädchen in Uniform“ von Christa Winsloe, das 1931 (und in einem Remake 1958) verfilmt wurde. Der Film aus dem Jahr 1931 wird am Sonnabend in der Ausstellung gezeigt. Er verdeutlicht, dass die Mädchen streng in preußischer Tradition erzogen wurden, sich mitunter aber auch dagegen auflehnten Während der Öffnung wird das vom Bauträger beauftragte Büro von Geisten Marfels Architekten (GMA) über die bevorstehende Sanierung und neue Nutzung des Komplexes für Wohnzwecke berichten. Dazu wurde eine Musterwohnung eingerichtet. Beim Umbau sollen die Belange des Denkmalschutzes beachtet werden. So soll die Kapelle wieder hergestellt werden und als Museum über die Geschichte des Stifts berichten. Dazu sammelt Architrav Zeitzeugenberichte von den noch etwa 400 lebenden ehemaligen Schülerinnen. Vorgesehen ist ebenfalls die Wiederherrichtung des Innenhofes mit großem Blumenrondell und Springbrunnen sowie des sich westlich anschließenden Englischen Parks. Erleichtert werden diese Vorhaben durch einen Plan des Stifts, den Architrav-Mitglieder im Stadtarchiv aufgefunden haben. Erhart Hohenstein Freitag, 9. September: 18.30 Uhr Ausstellungseröffnung, Führung durch das Gebäude. 19.30 Uhr Vortrag zum Militärstädtchen Nr. 7 und den KGB. 21 Uhr Vortrag zur Geschichte des Stifts. Sonnabend, 10. September: 18 Uhr Führung, 19.30 Uhr Film „Mädchen in Uniform“. Sonntag, 11. September: ab 9 Uhr Einlass, 10, 12.30 und 15 Uhr Führungen, 11 bis 15 Uhr stündlich Informationen über die Sanierungs- und Umbauplanungen einschließlich Besichtigung der Musterwohnung.

Erhart Hohenstein

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