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Landeshauptstadt: „Wir fahren die Ernte ein“

Oberbürgermeister Jann Jakobs über Potsdamer Widersprüche, praktische Kommunalpolitik und Straßenbahnen mit Scharfenberg-Kupplungen

Wenn Sie Silvester auf das Potsdam-Jahr 2007 anstoßen, was darf es sein – Wasser, Bier, Sekt, Champagner, Herr Jakobs?

Champagner natürlich.

Natürlich?

Potsdam hat eine riesige Entwicklung gemacht, darauf können wir stolz sein. Noch vor einem Jahr haben wir gerätselt, was mit der Potsdamer Mitte geschehen wird. Die Potsdamer haben bei der Befragung Anfang des Jahres dazu eine wichtige Entscheidung getroffen: den Landtag auf den Alten Markt zu bauen. Die Speicherstadt wird entwickelt, ebenso das ehemalige RAW-Gelände. Potsdam hat mit 8,3 Prozent jetzt die niedrigste Arbeitslosenquote seit der Wende, es ist die kinderfreundlichste Stadt Deutschlands. Im Ranking der dynamischsten Regionen der Republik stehen wir auf Platz 15. Summa summarum – da kann man schon ein Fläschchen Champagner leeren.

Ging es Ihnen als Oberbürgermeister seit Ihrem Amtsantritt im Oktober 2002 jemals besser als heute?

Dieses Jahr ist gut gelaufen. Wir hatten zwar auch Probleme, aber das Positive überwiegt. Das merkt man. Es wird überall gebaut, das bekommt jeder mit. Zwei Überschriften des „Spiegel“ fassen die Entwicklung gut zusammen: 1997 hieß es „Der Jammer-Ossi hat einen Namen: Potsdam!“, jetzt heißt es „Potsdam - die heimliche Hauptstadt Deutschlands“. Beides ist natürlich pointiert, aber es zeigt, wie sich das Image dieser Stadt gewandelt hat.

Was ist das Geheimnis des Potsdam-Erfolges?

Wir fahren die Ernte ein, deren Saat schon vor Jahren gesät worden ist – mit politischen Grundsatzentscheidungen. Ein Beispiel sind die Sanierungssatzungen für das Holländische Viertel, die Zweite Barocke Stadterweiterung, für Babelsberg. Die stammen aus den 1990er Jahren. Sie sind Maßstab und Orientierung für die Stadtentwicklung und haben für Investoren Sicherheit gebracht. Sie sind ein Stück geronnene Vision.

Das war die Zeit der oft kritisierten Nachwende-Stadtväter.

Mag sein. Bei allen Fehlern – der jetzige Erfolg zeigt, dass vieles durchaus richtig war und auch das beharrliche Festhalten daran.

Welche Frage mussten Sie 2007 als Oberbürgermeister am häufigsten beantworten?

Die Antwort wird nicht überraschen: Wie es weiter geht mit dem Stadtschloss und dem neuen Landtag. Es hat auch überzogene Forderungen gegeben, es gibt sie noch. Wer glaubt, dass man das Schloss tutti kompletto wiederherstellen kann, der weiß nicht, was er redet. Der Landtagsbeschluss besagt, dass ein funktionsfähiger Landtag gebaut wird, der sich am Stadtschloss orientiert. Was dafür nötig ist, muss in dem Gebäude untergebracht werden. Alles andere würde dem Willen des Parlamentes widersprechen.

Dank der 20 Millionen Euro, die SAP-Gründer Hasso Plattner gespendet hat, kann die Schlossfassade errichtet werden. Nur wenige Tage später wird darüber geklagt, dass es immer noch nicht genug Knobelsdorff geben werde. Was ist da los?

Potsdam ist widersprüchlich. Einerseits ist es gut, dass diese Diskussionen geführt werden. Sie beweisen, dass die Bürgerschaft große Anteilnahme zeigt. Und natürlich ist Potsdams Mitte und das, was dort entstehen wird, emotional besetzt. Andererseits bergen die Debatten die Gefahr, dass sich im Land eben dieses Gefühl breit macht: Die Potsdamer kriegen den Hals nicht voll, sind undankbar und führen permanent elitäre Diskussionen. Die Sensibilität für die Realitäten im Land Brandenburg ist in der Stadt nicht sehr verbreitet.

Das Gleiche gilt für das Stadtparlament, dem Sie den Spiegel vorgehalten haben: Es hinke der Entwicklung Potsdams hinterher. Stehen Sie dazu?

Als ich das gesagt habe, ging es mir vor allem um das politische Klima. Einerseits haben wir eine sehr engagierte Bürgerschaft, auch abseits der Berliner Vorstadt. Das wollen und brauchen wir. Andererseits werden in der Stadtverordnetenversammlung manchmal klein karierte Diskussionen geführt, die von außen mit Kopfschütteln wahrgenommen werden. Dieses Missverhältnis habe ich gemeint, im Übrigen durchaus auch selbstkritisch.

Es wird längst gewitzelt, dass Potsdam einen echten und zwei heimliche Oberbürgermeister habe – TV-Journalist Günther Jauch und Linke-Fraktionschef Hans-Jürgen Scharfenberg. Eine Bürde?

Das sehe ich gelassen. Wenn es zum Schwur kommt, habe ich noch keinen Nicht-Politiker kennen gelernt, der wirklich auf diesen Posten scharf wäre. Es ist gut, dass Vorschläge gemacht werden – ob sie von Jauch oder Scharfenberg kommen.

Ist es auch gut, wenn Investoren erst bei den Linken anklopfen, der stärksten Fraktion, und dann im Rathaus?

Es ist nicht zu verurteilen, dass ein Investor wie das Möbelhaus Porta zur Linken geht und versucht, die Situation abzuschätzen, nachdem bei der Drewitzer Brache schon vieles in die Binsen gegangen ist. Meine Aufgabe ist es dann, Strukturen und Bedingungen zu schaffen, um sinnvolle Vorschläge umzusetzen. Das ist praktische Kommunalpolitik.

Es fällt schwer, das zu glauben. Dass Hans-Jürgen Scharfenberg die Porta-Ansiedlung verkünden konnte, eine der größten in Potsdam seit Jahren, hat Sie nicht getroffen?

Mir ist jeder Investor lieb, der nach Potsdam kommt. Wir haben nun mal komplizierte Mehrheitsverhältnisse in der Stadtverordnetenversammlung, das hat sich eben herumgesprochen.

Wer treibt Sie mehr, Jauch oder Scharfenberg?

Beide Persönlichkeiten beschreiben einen typischen Spannungsbogen Potsdams. Aber beide bedienen nur in Ausschnitten die Realitäten. Darin liegt ein Widerspruch, aber auch etwas Produktives, dass diese Stadt lebendig macht. Ich will allerdings dafür sorgen, dass das nicht überdreht wird. Denn es kann zerstörerisch wirken, wenn sich zwei Kulturen gegenüber stehen, die für sich beanspruchen, diese Stadt auszumachen und sie damit zweiteilen. Ich möchte überbrücken.

Der Symbolort für die Spannung ist seit Jahren der Uferweg am Griebnitzsee.

Da hat sie sich manifestiert, das ist richtig. Wir haben uns bemüht, den öffentlichen Uferweg zu sichern, auch mit juristischen Mitteln, aber gleichzeitig gesprächsbereit zu sein. Die Zahl der See-Anrainer, die sich partout gegen einen öffentlichen Weg stellen, ist überschaubarer geworden.

Erst vor wenigen Wochen ist die Stadt vor Gericht unterlegen: Der Weg ist keine freie Landschaft. Potsdam könnte jetzt bei Enteignungen sehr hohe Entschädigungen zahlen müssen. In Konstanz wurde Ende der 1970er Jahre ein Uferweg nach Streit mit den Anrainern gebaut, indem einfach vor den Grundstücken Erde aufgeschüttet wurde. Wäre das nicht des Rätsels Lösung?

Man kann über vieles nachdenken. Unser Bebauungsplan sieht bisher einen Weg vor, der auf dem Lande verläuft. Daran werden wir uns zunächst halten. Welche Regelungen wir finden, werden die Verhandlungen zeigen.

In Konstanz hat man sich das gespart.

Rein theoretisch wäre das möglich. Aber es wäre nicht im Interesse der Anrainer, die Bootshäuser und eigene Stege bauen wollen wie im Bebauungsplan vorgesehen. Ich lehne es ab, einen Weg zu bauen, der eine Schikane darstellt.

Sondern?

Wichtig ist, auf welchen Kaufpreis wir uns mit dem Bund für seine Ufergrundstücke am Griebnitzsee einigen. Dies wird die Richtschnur dafür sein, wie hoch die Entschädigungen sein werden. Ich möchte, dass wir im ersten Halbjahr 2008 zu festen Vereinbarungen kommen. Im städtischen Haushalt ist das Geld dafür vorgesehen.

Ein anderer wichtiger Ort der Stadt liegt brach: Der Brauhausberg, auf dem das Niemeyer-Freizeitbad gebaut werden sollte. Gibt es noch Hoffnung?

Es wird kein Freizeitbad geben, weil es dafür kein Geld gibt. Da braucht sich keiner Hoffnungen zu machen. Jetzt gucken wir, wie teuer es ist, die Brauhausberg-Schwimmhalle zu sanieren und was der Betrieb langfristig kosten wird. Dem gegenüber stellen wir die Kalkulation für einen Neubau. Dem Hauptausschuss werden wir im Januar die Varianten vorstellen. Baustart wird auf jeden Fall 2008 sein.

Dass am Brauhausberg auch ein Neubau ernsthaft in Frage kommt, ist bisher nicht bekannt.

Wir haben diese Variante aufgenommen, weil es nicht nur um die Bau- sondern auch um die späteren Betriebskosten geht. Für den Neubau wollten wir nicht noch einmal Planungen bezahlen, deshalb nutzen wir dafür die Niemeyer-Entwürfe. Aber es wird kein Niemeyer-Bad, denn wir werden keine Kuppeln bauen.

Sanierung oder Neubau – was wollen Sie?

Wenn der Neubau zwei oder drei Millionen Euro teurer sein sollte – auch im Betrieb – ist er aus dem Rennen. Aber soweit ist die Kalkulation noch nicht.

Die Stadt hat die Freizeitbad-Pläne von Oscar Niemeyer gekauft. Sie könnten jederzeit verwirklicht werden?

Theoretisch ja. Aber da müsste schon ein Kuppel-Freak kommen, der sagt: Ich finde das so wunderbar, ich spendiere euch das – so wie Hasso Plattner es beim Schloss getan hat.

Willkür im Potsdamer Bauamt – das war Schlagzeile des Sommers. Mit seiner Kritik hatte Günther Jauch das Rathaus in Krisenstimmung gebracht. Hat sich seit dem Battis-Untersuchungsbericht überhaupt etwas geändert?

Wir haben die „Clearingstelle“ – eine Art Schlichtungsstelle – gegründet, sie arbeitet an ihrem ersten Fall. Das Verfahren wird geprüft, evaluiert. Wir haben die Schnittstellen zwischen der Bauverwaltung und den anderen Ämtern angepackt. Das klingt sehr technisch, ist aber wichtig. Wir sind dabei, Genehmigungsverfahren schneller zu machen, die Mitarbeiter werden geschult. Bis alle Maßnahmen greifen, wird es noch ein halbes Jahr dauern.

Die Stadtverordneten waren bisher weitgehend enttäuscht von den Ergebnissen.

Die Kleinarbeit, die geleistet werden muss, um die Behörde wieder nach vorne zu bringen, ist unspektakulär. Aber diese Arbeit muss gemacht werden. Ich rede mit den Mitarbeitern, sie sind hoch motiviert. Sie wollen auch nicht mit einem schlechten Image leben. Wer das abtut, wird ihnen nicht gerecht.

Im Herbst 2008 ist Kommunalwahl. Droht Ihrer Partei ein neues Fiasko?

Ich wünsche mir eine starke SPD-Fraktion und stabile Mehrheiten. Es muss anders werden als im Jahr 2003, als die SPD zahlreiche Sitze im Stadtparlament verloren hat.

Beobachter meinen, die Potsdamer SPD suche ihr Profil.

Die SPD muss sich nicht verstecken. Sie hat seit der Wende den Oberbürgermeister gestellt, Potsdam nachhaltig geprägt. Dessen sollte sie sich bewusst sein. Das Wahlprogramm für 2008 wird derzeit mit breiter Beteiligung der Bürger erarbeitet. Die Themen liegen auf der Hand: Potsdam muss sich gleichzeitig entwickeln, es darf keiner zurückbleiben. Es müssen gleiche Lebens- und Entwicklungschancen bestehen. Die Familienpolitik wird eine große Rolle spielen, die Wirtschaft und der Verkehr.

Matthias Platzeck wird zur Landtagswahl 2009 nicht mehr in Potsdam kandidieren, sondern in der Uckermark, Rainer Speer gibt im Frühjahr 2008 den Potsdamer SPD-Vorsitz auf. Sie gewinnen Einfluss?

Ich werde mich stärker einbringen. Aber wir sind Teamspieler, viele können Verantwortung übernehmen.

Sie lieben bekanntlich Anekdoten. Haben Sie aus dem Jahr 2007 eine besonders schöne parat?

Unsere Stadtverordneten lieben es ja, in Details zu schwelgen. Dieses Mal ging um den Kauf der neuen Straßenbahnen. Man diskutierte ewig. Da habe ich gefragt, ob denn die Bahnen auch eine Scharfenberg-Kupplung haben – die gibt es wirklich.

Sie scherzen!

Überhaupt nicht. Und dann habe ich gesagt, unter der Voraussetzung, dass sie eine Scharfenberg-Kupplung hätten, würde ich darauf bestehen, dass sie auch Jakobs-Drehgestelle haben. Martin Weis, Chef des Verkehrsbetriebs, hat darauf geantwortet: Das sei zutreffend, die Straßenbahnen würden tatsächlich über Scharfenberg-Kupplungen verfügen. Und auch Jakobs-Drehgestelle gebe es wirklich. Allerdings seien die nur bei Hochgeschwindigkeitsbahnen zugelassen.

Das Interview führte Sabine Schicketanz

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