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Landeshauptstadt: Wir brauchen mehr Ringe

Schüler einer Willkommensklasse und das Theater Poetenpack führen „Nathan der Weise“ auf

Wunderbar, aber auch bedrückend nennt Andreas Hueck, Theaterleiter vom Poetenpack, diesen Zufall. Dass das Stück „Nathan der Weise“ von Lessing genau jetzt und mit Beteiligung der ganzen Stadt realisiert wird. Denn dass sich die Flüchtlingskrise so sehr verschärfen würde, das war im Frühjahr, als Poetenpack das Stück zum Thema Toleranz plante, nicht abzusehen. Nun ist es umso schöner und wichtiger, dass alles umgesetzt werden kann. Aus dem Theaterprojekt ist dabei ein Miteinander von vielen Beteiligten geworden. Am 29. Oktober, 330. Jahrestag des Toleranzedikts des Großen Kurfürsten, findet die Premiere in der Französischen Kirche statt.

Am gestrigen Freitag zeigten die Schauspieler erste Szenen: Clara Schoeller spielt Recha, die einst von Nathan, gespielt von Teo Vadersen, als Tochter angenommen wurde. Er ist Jude, Recha getaufte Christin, aber das weiß sie nicht. Nur die Gouvernante Daja weiß Bescheid und hofft, dass das Mädchen aus Jerusalem zurück ins christliche Abendland heiraten wird. Es ist eine verwickelte Geschichte um das Miteinander der drei großen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam. Deren Protagonisten im Laufe des Stücks lernen, einander zu achten und zu tolerieren.

Potsdam ist nicht die einzige Stadt, in der man das Stück aufgrund seiner Aktualität auf dem Spielplan findet, allein in Berlin laufen derzeit 16 Inszenierungen. Die in Potsdam zeichnet sich allerdings darin aus, dass hier viele Mitwirkende außerhalb des Theaters beteiligt sind. So stellt die Französisch-Reformierte Gemeinde ihre Kirche, einst von Knobelsdorff für die in Frankreich verfolgten Hugenotten gebaut, als Aufführungsort zur Verfügung. Die Servicestelle für ein tolerantes und sicheres Potsdam förderte das Vorhaben mit 5000 Euro, aus dem Kulturetat der Stadt gab es 4000 Euro extra für „Nathan“. Das Land gab 10 000 Euro, und der Verein Neues Toleranzedikt Potsdam organisierte die Crowdfunding-Kampagne, mit der 30 000 Euro von Privatpersonen, Firmen und Organisationen eingeworben werden konnten.

In dieser Phase wurde auch Kerstin Richter, Lehrerin an der Da-Vinci-Gesamtschule, auf das Projekt aufmerksam. Und rief die Theatermacher an: Sie könne sich eine Beteiligung ihrer Willkommensklasse an dem Projekt vorstellen. 16 Jugendliche, die zum Teil erst seit wenigen Monaten in Deutschland sind, begleiten nun das Stück, vornehmlich drei Szenen, in denen es um religiöse Rituale geht: eine katholische Erstkommunion, ein muslimisches Morgengebet und eine jüdische Hochzeit und Beerdigung. Die Jugendlichen selbst sind christlich und muslimisch. Ein jüdisches Kind ist jedoch nicht dabei. Und so half Ud Joffe, Potsdamer und Dirigent aus Israel, beim Lernen des Kaddisch, des jüdischen Totengebets. „Es war alles sehr aufregend, sehr spannend, eine große sprachliche Leistung für die Schüler“, sagt Kerstin Richter. Zwar sei das Stück für die Schüler neu gewesen und zum Teil schwer verständlich. Aber die zentrale Fragestellung haben sie verstanden. Im ersten Theaterworkshop erklärte Hueck die Ringparabel: Vom Vater, der nicht weiß, welchem seiner drei Söhne er den kostbaren Familienring vererben soll, „der seinen Träger vor Gott und den Menschen angenehm macht“. Und der schließlich in einer Art Doppelblindverfahren drei Ringe weitergibt. Das verstanden die Schüler sofort. „Einer sagte, da brauchen wir noch viel mehr Ringe“, sagt Andreas Hueck begeistert. Auch Kerstin Richter erlebt derzeit, wie die Schüler sich begeistern lassen. „Über die Kinder beginnt vielleicht ein neues Nachdenken. Das sie dann auch zu Hause kommunizieren. Die Eltern haben ja oft ganz andere, praktische Sorgen. Wo sie Winterjacken für ihre Kinder herbekommen vielleicht.“

Premiere am 29. Oktober um 19 Uhr in der Französischen Kirche am Bassinplatz. Bis 28. November sind insgesamt 13 Vorstellungen geplant, fünf davon für Schulklassen. Der Eintritt kostet 14 bis 22 Euro, für Schüler drei Euro.

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