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2018 schneite es zum Frühlingsanfang in Potsdam.

© Andreas Klaer

Winterloses Potsdam: Leider rieselt kein Schnee

Allmählich verliert sich das Gespür für Schnee: In Europa hat sich die mittlere Schneehöhe seit 1951 um rund zwölf Prozent pro Dekade reduziert. Das hat Folgen für die Psyche im Winter und die Entwicklung von Pflanzen. 

Potsdam - Weihnachten gab es nichts, ebenso wenig zu Silvester, bald ist auch der Januar um - und noch immer ist kein Schnee in Sicht. Allzu viel fällt in Brandenburg und Berlin ohnehin meist nicht, doch dieser Winter sticht heraus. Schnee, vielmehr dessen Fehlen, könnte künftig zur Regel werden. Mit bedeutenden Folgen für Mensch und Natur.

„In Mitteleuropa sind wir darauf konditioniert, dass es Jahreszeiten gibt und jeder hat eine Vorstellung davon, wie Winter zu sein hat: weiß“, sagt der Sachbuchautor Bernd Brunner, der sich in „Als die Winter noch Winter waren“ über 238 Seiten mit der besonderen Jahreszeit befasst. Für ihn hat Schnee durchaus eine „kulturelle Bedeutung“. Man denke nur an das Erwachen nach nächtlichem Schneefall: „Es ist viel leiser, weil er den Schall schluckt, und heller, weil er das Licht reflektiert, selbst in einer Mondnacht kann man recht gut sehen.“ Solche Momente, Spaß am Rodelhang, eine Wanderung in verschneiter Landschaft hielten sich viel besser in unserer Erinnerung als eine Aneinanderreihung grauer Tage und Wochen. „Auch in der Kunst spielt Schnee eine wichtige Rolle, beispielsweise in eindrücklichen Texten über weiße Massen und Schneeblindheit“, sagt Brunner. Bildliche Darstellungen begannen mit der Kleinen Eiszeit ab dem 16. Jahrhundert, vor allem durch flämische Maler. „Es ist offen, warum solche Bilder nicht früher entstanden. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass Winter schwerer darzustellen ist als ein bunter Sommertag.“

Über Kunstschnee wird derzeit viel diskutiert

Wobei der Winter ja wider unsere Natur sei, wie Brunner erläutert. Unsere Vorfahren stammen aus den warmen Gebieten nahe des Äquators. „Infolge der Migration wurden sie, aus evolutionsbiologischer Sicht, in die winterkalten Regionen regelrecht hineinkatapultiert und mussten sich anpassen.“ Das habe viele Innovationen hervorgebracht: Warme Kleidung und Heizungssysteme, um der Kälte zu trotzen. Kufen aus Tierknochen und Schneeschuhe, um in der eisigen Landschaft voranzukommen. Später Skier und Snowboards mit raffinierten Schuhen und Bindungen, um das besondere Element Schnee zu genießen. Dazu kommen Liftanlagen, um die Abfahrten bequem erreichen zu können, und Schneekanonen, um den Spaß auch in milden Jahren zu ermöglichen.

Über Sinn und Unsinn des Kunstschnees wird seit Langem diskutiert. Umweltschützer beklagen kahle Hänge, die im Sommer erosionsgefährdet sind und einen enormen Verbrauch an Wasser, das anderswo fehlt. Die Verwaltungen der oft strukturschwachen Regionen halten die ökonomischen Effekte des Tourismus dagegen. Es wird zunehmend schwierig, Argumente für die Millioneninvestitionen zu finden, weil es selbst für Kunstschnee immer häufiger zu warm ist.

Das Schloss Sanssouci 2006.
Das Schloss Sanssouci 2006.

© Leo Seidel

Auch in Potsdam zieht sich die Schneedecke zurück

Umso deutlicher ist der Schwund bei der natürlichen Schneedecke. Wie Forscher um Gerard van der Schrier vom Meteorologischen Institut der Niederlande in den „Geophysical Research Letters“ berichten, nahm die mittlere Schneehöhe in ganz Europa seit 1951 um rund zwölf Prozent pro Dekade ab. Die maximale Schneehöhe sank um elf Prozent je Dekade, wobei die Trends seit den 1980er Jahren beschleunigt wurden.

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Der Verlust des Winters ist auch in den einzelnen Regionen zu beobachten. Für die PNN hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) Daten aus Potsdam zusammengestellt, die die Anzahl der Tage mit Frost sowie einer Schneehöhe von mindestens einem Zentimeter für jedes Jahr ausweisen (siehe Grafiken). Auch hier ist ein Rückgang erkennbar. Nicht überraschend, schließlich hat sich die mittlere Lufttemperatur in Deutschland laut DWD seit 1881 um 1,5 Grad erhöht. Mit fortschreitender Erwärmung dürfte es immer seltener Schnee geben, was auch das Wohlbefinden vieler Menschen beeinflusst.

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Im Winter braucht der Körper mehr Schlaf

„Schnee hat einen starken Effekt auf den Körper“, sagt Dieter Kunz von der Klinik für Schlaf- & Chronomedizin am Berliner St. Hedwig-Krankenhaus, und beginnt lebhaft zu erzählen von Skitouristen in den Alpen, die aus Eitelkeit auf eine Sonnenbrille verzichteten und ob der unzähligen Reflexionen an den Kristallen schneeblind wurden. Selbst Spaziergänger in einer verschneiten Stadt würden an einem sonnigen Tag die Augen zukneifen und eine schützende Brille hervorkramen. „Die Helligkeit und die besondere Farbtemperatur des Tageslichts während eines Schneetages haben vermutlich weitreichende Effekte auf die Physiologie“, sagt er. Zwar stehe die Forschung noch am Anfang, doch Kunz führt einige Indizien zusammen, um seine These zu untermauern.

Es beginnt mit dem Tag-Nacht-Rhythmus, der unseren Vorfahren half zu überleben. Nachts ist es kalt, selbst in der Savanne. Wer den Körper rechtzeitig in einen Ruhemodus bringt, spart Energie, die er in Wärme investieren kann. „Und zwar nicht erst, wenn es tatsächlich kalt ist, sondern ein paar Stunden früher“, betont Kunz. Das übernahm die „innere Uhr“, der circadiane Rhythmus, gesteuert von den Lichtreizen des Tages. Neben der allnächtlichen Energiesparphase entwickelten die Menschen auch eine saisonale, vor allem in höheren Breiten. Sie half, den kalten und nahrungsarmen Winter zu überstehen. Selbst heute, wo niemand mehr in einer Höhle lebt, sondern oft in urbanen Gegenden mit viel Kunstlicht, sei die saisonale Taktung vorhanden, sagt Kunz. „In einer Studie mit 100 Berlinerinnen und Berlinern im Arbeitsleben, allesamt kerngesund, schliefen diese im Winter im Schnitt eine Stunde länger als im Sommer“, berichtet er.

Schnee hebt die Stimmung

Der Forscher vermutet, dass auch hier wieder die natürliche Tageslänge und die Farbtemperatur zentrale Steuerfaktoren sind. Für die Phase, wenn es in die Winterruhe hineingeht, habe er in einer Studie mit 25 Überwinterern in der Antarktis, deutliche Hinweise entdeckt: Fehlt Tageslicht, gerät die „innere Uhr“ rasch durcheinander, die Physiologie verändert sich und das Schlafbedürfnis nimmt zu. „Um aus dem Energiesparmodus wieder herauszukommen, braucht man wohl etwas länger, um die vier Wochen“, schätzt Kunz. Dafür lägen aber noch keine Daten vor.

Da Schnee das Tageslicht so gut reflektiert, wirkt er wie ein Verstärker für die Lichtreize. „Wenn es geschneit hat, hebt das die Stimmung - genau wie eine Lichttherapie, die wir für die Behandlung der sogenannten Winterdepression nutzen“, sagt Kunz. Allzu lang halte der Effekt eines Schneetages indes nicht an, der Grundzustand des Körpers sei weiterhin im Ruhemodus. Den zu verlassen, gewissermaßen auf Frühling zu schalten, erfordere längerwährende Lichtreize, erläutert der Forscher. „Ich bin sicher, wenn wir vier Wochen Schnee in Berlin haben, kämen viel weniger Menschen wegen einer Winterdepression zu uns in die Klinik.“

Schnee liefert Bäumen Wasser

Wie den Menschen, tut der Schnee auch der Natur gut. „Er wirkt isolierend und verhindert, dass das Wasser im Boden tiefgreifend gefriert“, sagt Andreas Bolte vom Thünen-Institut für Waldökosysteme im brandenburgischen Eberswalde. „Gerade im Spätwinter, wenn die Sonnenstrahlung intensiver und die Transpiration der Bäume hoch ist, brauchen sie mehr Wasser.“ Wenn die Wurzeln es nicht erreichen können, weil es gefroren ist, drohe sogenannte Frosttrocknis, die zu Nadelverlust und Kronenschäden führt.

Eine Schneedecke ist zugleich Wasserreservoir. Im Frühjahr, nach dem Blattaustrieb, brauchen Bäume besonders viel - der tauende Schnee kommt wie gerufen. „Nach einem schneearmen, sonnigen Winter ist meist aber nicht genug Wasser im Oberboden“, sagt Bolte. Fehlen weiterhin Niederschläge, gehe es schnell ans Eingemachte, wie das Jahr 2019 gezeigt habe. Wie stark die Auswirkungen einer Trockenperiode im Sommer sind, hängt also auch von der Schneemenge im Winter ab.

Ein Temperatursturz im Februar könnte den Pflanzen gefährlich werden

Nicht allein der fehlende Schnee, auch die relativ hohen Temperaturen, können den Bäumen zum Verhängnis werden. Sie haben ein „Frostschutzprogramm“, bei dem Wasser in Zellzwischenräumen gespeichert oder spezielle Proteine gebildet werden, die das zerstörerische Wachstum von Eiskristallen verhindern, erläutert der Forscher Bolte. Je nach Temperatur werde dieses Programm angepasst, sodass hiesige Bäume durchaus minus 20 Grad überstehen. Aber das brauche Zeit. „Wenn es so warm ist wie derzeit, macht der Baum wenig, kommt dann im Februar ein Temperatursturz, schafft er es womöglich nicht, sich schnell genug anzupassen und es gibt Frostschäden.“

Warme Winter haben zudem zur Folge, dass Bäume früher aus der Winterruhe gehen und eher Blätter austreiben. „Damit steigt die Gefahr, dass diese von Spätfrösten geschädigt werden“, sagt Bolte. Die gefürchteten Frosteinbrüche hätten sich bisher nicht nach vorn verschoben und treten weiterhin bis in den Mai hinein auf. Eine Studie aus der Schweiz, die Klimadaten von 1975 bis 2016 mit der alljährlichen Entwicklung von Obst- und Forstbäumen vergleicht, kommt zu einem ähnlichen Resultat. In tieferen Lagen unter 800 Meter sei das Risiko unverändert. Die letzten Fröste würden zwar früher auftreten, aber zugleich die Vegetationsperiode eher beginnen, berichten die Forscher um Yann Vitasse im Fachblatt „Agricultural and Forest Meteorology“. In Höhen über 800 Metern seien die Trends ungleicher, so- dass die Gefahr für Bäume durch Spätfröste sogar zugenommen habe.

Sie raten daher zur Vorsicht, wenn neue Arten gepflanzt werden sollen, die mit der häufigeren Hitze und Trockenheit im Sommer besser zurechtkommen. „Ich kenne solche Fälle“, sagt der Eberswalder Waldökologe Andreas Bolte. „Da wurden Steineichen aus dem Mittelmeerraum gepflanzt, die schließlich bei Spätfrösten erfroren sind.“

So schnell sollte man den Winter also nicht abschreiben.

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