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Halbe Treppe. Dass ihr Haus alles andere als modern ist, finden die Bewohner nicht schlimm - im Gegenteil. Hier im Bild zu sehen sind Anja Henke, Ingo Albrand und Jördis Borak (v.l.).

© Andreas Klaer

Widerstand in Babelsberg: Mieter wehren sich gegen den Verkauf ihres Hauses

Die Pro Potsdam will die Tuchmacherstraße 8 verkaufen, eines der letzten unsanierten Häuser in der Straße. Die Mieter fürchten sich vor einer Luxussanierung und dass sie nicht mehr lange dort wohnen können.

Von Katharina Wiechers

Babelsberg - Wer bei Anja Henke in der Tuchmacherstraße 8 klingelt, muss ein wenig warten, bis er hineingelassen wird. Denn in dem fast 100 Jahre alten Mehrfamilienhaus gibt es keine Gegensprechanlage, die Bewohner müssen bis zu drei Stockwerke nach unten laufen, um die Haustüre zu öffnen. Auch sonst ist das Haus alles andere als auf dem neuesten Stand, es ist eines der letzten unsanierten Gebäude der Straße. Die Toiletten sind auf der halben Treppe, viele Wohnungen haben kein richtiges Bad, die Fassade bröckelt. Doch Anja Henke und die anderen Mieter stören sich nicht an den Alterserscheinungen ihres Zuhauses. Im Gegenteil: Geht es nach ihnen, soll alles so bleiben, wie es ist. Doch spätestens seit diesem Sommer wissen sie, dass sich wohl einiges ändern wird – und sie womöglich nicht mehr lange hier wohnen können.

Denn der bisherige Eigentümer des Elf-Parteien-Hauses, die städtische Pro Potsdam, will das Gebäude verkaufen. Vor allem dass die Bauholding an den Höchstbietenden verkaufen will, sorgt bei den Mietern für große Sorgen. „Ein Investor, der es sich leisten kann, den Höchstpreis zu zahlen, wird das Haus bestimmt luxussanieren“, befürchtet Jördis Borak. Die 31-Jährige lebt seit sechs Jahren in der Tuchmacherstraße 8, sie mag die Lage, den gemeinsam genutzten, zugewachsenen Garten im Hinterhof, den Charme des Altbaus. Gemeinsam mit Anja Henke, Ingo Albrand und weiteren Mietern wehrt sie sich gegen den Verkauf. Zumindest in dieser Form.

Von sozialer Verantwortung sei nicht die Rede gewesen

Schließlich habe sich die Stadtpolitik doch dazu bekannt, bezahlbaren Wohnraum zu schützen, sagen sie und verweisen auf das wohnungspolitische Konzept der Stadt, das 2015 von der Stadtverordneten verabschiedet wurde. Dort heißt es in der Tat, dass städtische Objekte „bevorzugt an sozialverantwortliche Neubesitzer“ verkauft werden sollen. „Bei dem Verkauf unseres Hauses spielt aber nur ein tragfähiges Finanzierungskonzept eine Rolle, das wurde uns schriftlich so mitgeteilt“, sagt Henke. Von sozialer Verantwortung sei hingegen nicht die Rede gewesen.

Die Pro Potsdam bestätigt auf Nachfrage, dass an den Höchstbietenden verkauft wird. Dies hätten die Aufsichts- und Kontrollgremien der Pro Potsdam so beschlossen, so Sprecherin Anna Winkler. Schließlich werde der Erlös benötigt, um Vorgaben der Stadt umsetzen zu können – etwa die energetische Bestandssanierung aller Wohnungen, die Bereitstellung von Sozialwohnungen und der Bau von 2000 neuen Wohnungen bis 2027. Finanziert wird all das unter anderem durch eine sogenannte Bestandsbereinigung, also den Verkauf von sanierungsbedürftigen Wohnungen in Top-Lagen, die „in Kürze mehr Probleme bereiten würden, als sie uns nützen“, wie Pro-Potsdam-Chef Bert Nicke es kürzlich ausdrückte. Dazu zählen neben der Tuchmacherstraße 8 auch drei Holländerhäuser in der Mittelstraße, die Rosa-Luxemburg-Straße 26, die Friedrich-Ebert-Straße 73, die Berliner Straße 93 sowie die Rubensstraße 8. Auf die Sanierung zu verzichten, ist für die Pro Potsdam keine Option. Schließlich könnte das langfristig die Bausubstanz gefährden. Und zeitgemäß seien die Wohnungen auch nicht.

Mieter bemängeln die Kommunikationspolitik der Pro Potsdam

„Wir verstehen, dass die Pro Potsdam als GmbH unter Druck steht, weil sie profitabel sein muss“, sagt Borak. Doch dass günstige Bestandsmieten – im Schnitt zahlen die Bewohner hier nach eigenen Angaben fünf Euro pro Quadratmeter – für Neubauten geopfert werden, wo mindestens zehn Euro pro Quadratmeter aufgerufen werden, sei für sie unverständlich. Außerdem bemängeln die Mieter die Art und Weise, wie sie vom Verkauf ihres Hauses erfahren haben. Offiziell mitgeteilt habe die Pro Potsdam dies erst zum letztmöglichen Zeitpunkt, nämlich sechs Wochen vor dem Start der Ausschreibung. Auf die Bitte, eine Informationsveranstaltung für die Mieter anzubieten, sei nicht eingegangen worden. Mit der „guten Kommunikation“, die im wohnungspolitischen Konzept gefordert werde, habe das nichts zu tun, so Henke. Bei der Pro Potsdam hält man dagegen: Die Vermarktungsgesellschaft Polo habe auf Rückfragen der Mieter stets ausführlich geantwortet. Auch Gespräche seien angeboten worden.

Einige Mieter haben sich nun zusammengetan und wollen selbst ein Gebot für das Haus abgeben. „Wir werden aber sicherlich unter dem Höchstgebot liegen“, sagt Borak. Zudem läuft ihnen die Zeit davon: Schon am Sonntag endet die Bewerbungsfrist. Um mehr Zeit zu fordern, aber auch als allgemeiner Protest gegen die Privatisierung städtischen Wohnraums, haben sie deshalb für Samstag zu einer Demonstration aufgerufen, ab 14 Uhr am Lustgarten. 300 Teilnehmer seien angemeldet, so Borak, viele Freunde und andere Betroffene sowie Mitglieder der Initiative „Potsdamer Mitte neu denken“ hätten ihre Unterstützung angekündigt.

"Unzumutbare Mieterhöhungen" ausgeschlossen

Bei der Pro Potsdam versucht man, die Mieter zu beruhigen. Man verstehe die Sorgen und sei bemüht, ihre Interessen zu berücksichtigen. In dem Vertrag werde festgehalten, dass Kündigungen wegen Eigenbedarfs für zehn Jahre sowie sogenannte Luxussanierungen und „unzumutbare Mieterhöhungen“ ausgeschlossen sind. Daran glauben will in der Tuchmacherstraße 8 keiner so recht. Schließlich ist „unzumutbar“ ein dehnbarer Begriff. Ersatzwohnungen seien ihnen zumindest offiziell nicht angeboten worden, so Henke. Jördis Borak würde eine solche auch gar nicht wollen. „Ich will nicht nach Drewitz ziehen. Ich bin in Babelsberg aufgewachsen und will hier bleiben.“

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Soll die städtische Pro Potsdam Altbauten verkaufen, um neue Häuser zu bauen? Darüber diskutieren die PNN-Autoren Peer Straube und Matthias Matern. Hier geht es zu ihren Pro- und Contra-Kommentaren >>

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