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Landeshauptstadt: Wenn die Zikaden lärmen

Der argentinische Künstler Edgardo Rudnitzky lässt im Naturkundemuseum künstliche Zikaden singen. Damit will er erklären, wie die Evolution funktioniert

Die Geräuschkulisse lässt Urlaubsstimmung aufkommen: Ein Sommerabend vor einer lauschigen Taverne am Mittelmeer oder eine Exkursion in den vor Hitze dampfend heißen Urwald kommen einem in den Sinn, wenn man mit geschlossenen Augen in der neuen Ausstellung des Naturkundemuseums in der Breiten Straße steht. Ein Heer von 50 künstlichen Zikaden knäckert, zirpt und schnurrt dort in einem Raum – mal im Chor, mal im Wettbewerb, dann wieder chaotisch durcheinander. Und vor allem: ziemlich laut.

So laut, dass es einen Sensor-Mechanismus gibt, der die posierlichen Tierchen aus Messing und origami-artig gefalteten Pergamentpapiertütchen zum Verstummen bringt, wenn kein Besucher in der Nähe ist. „Sonst wäre es ein Alptraum für die Museumsmitarbeiter“, sagt Edgardo Rudnitzky und lächelt. Der argentinische Klangkünstler und Komponist hat das „elektromechanische Klangkunstwerk zur Evolution“ unter dem Titel „Cicadas“ – Zikaden – entwickelt. In Potsdam gastiert das Insektenensemble, das in fünf Holzrahmen jeweils auf Glasfiberstäbchen im Raum schwebt, ab dem heutigen Donnerstag ein knappes halbes Jahr bis zum 9. Februar 2014.

Das Knäcker-Konzert soll den Besuchern die Vorgänge der Evolution verdeutlichen, erklärt der Biologe Frank Steinheimer von den Naturwissenschaftlichen Sammlungen der Martin-Luther-Universität Halle, auf dessen Initiative hin „Cicadas“ entworfen wurde. Zu hören ist nämlich nicht nur mehr oder weniger schöner Krach, sondern auch das, was der Naturwissenschaftler einen „Einnischungsprozess“ nennt: Die künstlichen Zikaden bilden – wie ihre Vorbilder in der Natur – mittels immer neuer Melodien Gruppen, die sich so weit verfestigen können, dass sie sich untereinander nicht mehr verstehen. Da nur die Zikadenmännchen singen, hätten sie irgendwann keine Chance mehr auf ein Weibchen aus der anderen Gruppe. „So entsteht eine neue Art“, erklärt Museumsleiter Detlef Knuth.

Auch über diese Hintergründe informiert die Sonderausstellung. Mehr als 40 000 Zikadenarten gibt es weltweit, allein in Brandenburg sind 387 Arten bekannt. Anders als ihre Gefährten aus wärmeren Gefilden ist der Gesang der heimischen Zikaden für das menschliche Ohr aber nicht wahrnehmbar. Auch optisch machen die Kollegen aus den Tropen oder vom Mittelmeer deutlich mehr her, wovon sich der Ausstellungsbesucher beim Vergleich der präparierten Insekten überzeugen kann. Während es sich bei den hiesigen Tieren um nur wenige Millimeter große grasgrüne Hüpfer handelt, kommen die Zikaden anderswo auf Flügelspannen von bis zu 22 Zentimetern. Vor Fressfeinden schützen sie sich mit auffälligen Flügeldesigns, zum Beispiel mit einem Augenmuster.

Ihren Gesang erzeugen die Zikaden-Männchen über einen speziellen Resonnanzkörper, erklärt der Biologe Steinheimer: Seitlich am Hinterleib sitzen elastische Platten, die von einem starken Muskel eingedellt werden – ähnlich dem Klickmechanismus bei Metalldeckeln von Schraubgläsern. Bis zu 500 Mal pro Sekunde kann der Muskel angespannt und so das typische knäckernde Geräusch erzeugt werden.

Gesungen wird bei den Zikaden im Grunde genommen nur für ein einziges Ziel: die Fortpflanzung. Die Männchen signalisieren mit damit dreierlei, erklärt Steinheimer. Sie informieren die Weibchen von ihrer Anwesenheit, wollen andere Männchen zum Verschwinden bewegen und sich vor interessierten Weibchen als tollster Partner anpreisen.

Dabei wählen die Insekten Strategien, wie sie der Künstler Rudnitzky vom Komponieren schon kannte: Sie singen entweder dieselbe Melodie, wählen eine alternative Tonfolge darüber oder darunter oder bleiben still. Was genau die Kunstzikaden in der Ausstellung machen, bleibt aber auch dem Zufall überlassen. Denn der Gesang wird mittels eines komplexen Computerprogramms und eines Zufallsgenerators gesteuert, erklärt der Künstler: „Das Kunstwerk wird immer wieder anders klingen.“

Fast ein Jahr habe er im Auftrag der Hallenser Universität und mit Unterstützung der Kulturstiftung des Bundes an dem Projekt gearbeitet, erzählt er. Die eigentlichen Zikadenkörper aus Messing und dem Pergamentpapier entwarf dabei der südafrikanische Industriedesigner Oliver Proske. Wie gut die Imitation gelungen ist, davon können sich Besucher auch an einer Hörstation mit Originalaufnahmen einen Eindruck verschaffen. Zudem können sie aus ihrem Eintrittsticket eine eigene Kunst-Zikade falten und sie zu Hause singen lassen. Und dazu die Urlaubsfotos vom Sommer herauskramen.

„Cicada“ ist bis zum 9. Februar 2014 im Naturkundemuseum, Breite Straße 13, zu erleben. Geöffnet ist dienstags bis sonntags von 9 bis 17 Uhr sowie am ersten Montag des Monats von 9 bis 18 Uhr. Eintritt 4, ermäßigt 2, für Kinder bis zwölf Jahre 1 Euro.

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