zum Hauptinhalt
Auch sie brauchen besondere Förderung: Schlaue Kinder.

© dpa

Landeshauptstadt: Weit entfernt vom Eldorado

Besonders begabte Kinder werden in der Stadt zu wenig gefördert, beklagen Eltern. Ein Systemproblem, denn die Noten entscheiden, wer besonders gefördert wird.

Das Wort „anders“ fällt immer wieder am Dienstagabend im Café Heider. „Die Lehrer sagen, Laura ist anders“, sagt etwa die Mutter einer Viertklässlerin, die ihren Namen und den ihrer Tochter nicht in der Zeitung lesen will. Immer gehe es darum, Kinder „von unten an die Mitte heranzuholen“, sagt Gundula Schielicke. Sie hat 2011 das monatliche Treffen von Eltern, zumeist Müttern, hochbegabter Kinder ins Leben gerufen. „Aber das andere versteht man nicht.“

Das andere sind Kinder mit einem weit überdurchschnittlichen Intelligenzquotienten. Sie, glaubt man Schielicke, werden in der Stadt viel zu wenig gefördert. Stattdessen erleben die drei Mütter des Stammtisches etwa Verhaltensauffälligkeiten ihrer Schützlinge. Lehrer würden das aber nicht im Zusammenhang mit der Begabung sehen. Auch soziale Isolation, Frust, Langeweile wegen Unterforderung werden beklagt. „Wir haben es wirklich schwer“, so Schielicke, die einen Sohn in der 6. Klasse hat. Dabei dachte sie, Potsdam sei das „Eldorado für Hochbegabte“, als sie in die Stadt zog.

Angesichts der vielen wissenschaftlichen Einrichtungen gebe es in Potsdam „ein geballtes intellektuelles Potenzial“, sagt Beate Czech, Oberstufenkoordinatorin des Humboldt-Gymnasiums und Mitarbeiterin des Landes-Begabtenstützpunkts an der Schule. Aber auch viele ambitionierte Eltern, fügt sie hinzu. Zwar existieren in der Stadt fünf Leistungs-und Begabungsklassen (LuBK) mit verschiedenen Profilen, so viel wie sonst nirgends im Land. „Ein Luxus“, sagt Czech. 80 Prozent der hochbegabten Kinder von Stammtisch-Eltern seien in diesen Klassen jedoch nicht aufgenommen worden, erklärt Schielicke.

Ursache dieses Streits ist das Aufnahmeverfahren für den Übergang von der vierten Klasse auf das Gymnasium: Grundvoraussetzung für eine Bewerbung für die LuBK ist die Zahl „5“. Höher darf die Notensumme in vier relevanten Fächern wie Deutsch, Mathe und Englisch nicht sein. So hat es das Land gesetzlich festgelegt. Das Ministerium habe diesen „Killer“ eingebaut, sagt Czech. Leider sei es so, dass manche besonders Begabte das nicht leisten können. Stattdessen denken sie laut Schielicke zu kompliziert und schaffen die Aufgaben nicht im vorgebenen Zeitraum oder träumen bei Standardfragen lieber vor sich hin. Nicht besonders Begabte würden in diesen Klassen gefördert, sondern Hochleister, schimpft Schielicke. Dabei handelt es sich Czech zufolge aber um ein Systemproblem. Die Eltern „müssten lauter werden und die Politik darauf aufmerksam machen“.

Neben der Notensumme ist auch die Empfehlung der Grundschule nötig. Entscheidend ist außerdem das Gespräch des Kandidaten mit der Schulleitung und ein prognostischer Test, bei dem Begabungen diagnostiziert werden können. Dieser Begabungstest müsste Vorrang haben, fordert Schielicke. „Sonst werden gerade unsere Kinder aussortiert.“ Ausgrenzung ihrer Kleinen erfahren die Stammtisch–Mütter anscheinend bereits in der Grundschule. „Solange das Kind bessere Leistungen erbringt, an die man ein Haken machen kann, ist es okay“. Sobald das Kind aber nicht funktioniere, gebe es Probleme. Deswegen sei auch der Umgang mit den Lehrern das Schwierigste. Oft handelt es sich dabei Czech zufolge um ein Kommunikationsproblem. „Die Eltern erwarten etwas, aber kommunizieren es nicht“, sagt sie. Im Gegenteil habe sie jahrelang das Gespräch mit den Lehrern gesucht, erwidert Schielicke. Oft ohne Erfolg.

Viele Lehrer hätten Berührungsängste mit dem Thema, räumt Czech ein. Ihr Begabungsstützpunkt will deswegen auch die Lehrkräfte sensibilisieren, damit man auf die Kinder aufmerksam wird. Selbst wenn Lehrer die besondere Begabung erkennen, seien sie noch lange nicht in der Lage, ihren Unterricht umzustellen, kritisiert Schielicke. Sie sieht auch die Politik in der Verantwortung: Der damalige Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) hat sich 2007 die Begabtenförderung auf die Fahnen geschrieben. Seine Nachfolgerin Martina Münch habe aber offenbar kein Interesse daran, diesen Prozess weiterzuführen.

Im November vergangenen Jahres hatte die märkische CDU auf ihrem Parteitag einen Leitantrag beschlossen, der die Aufhebung der Begrenzung der landesweit 35 LuBK fordert. Für Schielicke wäre das „wunderbar, weil der Bedarf in der Stadt höher ist als das Angebot.“ Allerdings, fordert sie, dann LuBK im Sinne von Förderung von wirklich Begabten. Und die vielen Kinder, die nicht in eine LubK kommen? Für sie plant die Humboldt-Schule gerade ein Projekt mit dem Extavium als zusätzliches Nachmittagsangebot. Schielicke begrüßt das: „Aber die Kinder müssen auch aus der Langeweile-Schiene in der Schule raus.“

Grit Weirauch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false