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Landeshauptstadt: Waschen. Trocknen. Prost!

Die „Waschbar“ in Potsdam-West ist zum Tummelplatz des Viertels geworden – nicht nur für Studenten

Potsdam-West - Die dicke Berta dreht durch. Das macht sie öfter, schließlich ist sie eine Waschmaschine. Und als Teil des Maschinen-Konvolutes in der „Waschbar“ in der Geschwister-Scholl-Straße 82 wird das Gerät, Fabrikat Miele, überdurchschnittlich oft frequentiert. Aber heute ist sie zickig. Sie wird laut. Ihr kreischendes Brüllen schallt durch den Raum, schreckt Gäste und Personal auf und macht die entspannende Hintergrundmusik für einige Sekunden unhörbar. Wäre der Ort der Handlung bloß ein Waschsalon - Bertas aufbrausen würde als kleiner Zwischenfall wahrgenommen werden. Doch wie schon dem Umstand entnommen werden kann, dass hier alle Maschinen zum Reinigen von Kleidung Frauennamen wie Berta, Olga oder Elke tragen, ist die „Waschbar“ kein gewöhnliches Reinigungsetablissement. Vielmehr ist es eine Bar, in der man, wie üblich, eine Kleinigkeit essen oder trinken kann - aber eben auch Waschen. Wer will, kann sich die Wartezeit auch mit Schach- oder Kartenspiel vertreiben.

Es ist die Welt von Klaus Kühn, dem Gründer und Inhaber dieses ungewöhnlichen Ladens in Potsdam-West. Gekleidet in schwarze Jeans und ein buntes Hawaiihemd, vor allem aber durch die zum Zopf gebundenen langen, schwarzen Haare wirkt der große und breitschultrige Mann ein wenig wie die mitteleuropäische Ausgabe eines Indianers. Der Eindruck des „Indianischen“ überträgt sich auch auf die „Waschbar“ selbst: Im Eingangsbereich ragt ein riesiger Totempfahl bis unter die Decke, an den orangefarbenen Wänden hängen Blechschilder mit Häuptlingen darauf, in einer Ecke über der Theke surrt eine Leuchtreklame mit der Aufschrift „Red Indian“.

Ja, er habe ein Faible für Amerika sagt Kühn, nippt an seinem Kaffee und zieht gelassen an einer Zigarette. „Aber mehr für die atemberaubende Landschaft, weniger für die Leute.“ Damit meint der 37-Jährige allerdings nicht die amerikanischen Ureinwohner, die er bei diversen Reisen in die USA kennen gelernt hat – vor allem die Navajo in deren Reservat im US-Bundesstaat Arizona.

Überhaupt ist er viel herumgekommen, bevor der Häuptling der Waschmaschinen sein Zelt in der Geschwister-Scholl-Straße aufschlug. Nachdem der gebürtige Hallenser 1989 über Ungarn nach Bayern kam, machte Kühn dort eine Ausbildung zum Heilerzieher beim Diakonischen Werk. Ab 1992 arbeitete er zehn Jahre lang beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) in Berlin. Zwischendurch trieb es ihn immer wieder nach Australien und Amerika. Auf seinen Reisen musste er zwangsläufig den ein oder anderen Waschsalon besuchen. So kam ihm auch der Gedanke, einen außergewöhnlichen Waschladen zu gründen. „Es war so langweilig in diesen Salons in den USA. Da habe ich mir gedacht: Warum nicht etwas schaffen, was einem die Wartezeit angenehmer macht.“ Doch gesagt war noch lange nicht getan. Zwischen dem Zeitpunkt, wo Kühn sich sagte „jetzt mach ich''s“ und der Eröffnung der Bar im Sommer 2003 lagen zwei Jahre Vorbereitungszeit. Klaus Kühn, der bis dato nie im unternehmerischen Bereich tätig war, ging zu Fortbildungen der Volkshochschule, nahm an einem Existenzgründerkurs des Arbeitsamtes teil. „Das war extrem wichtig“, erklärt er.

Schließlich musste er die passende Location finden. Nach Berlin wollte Kühn nicht. Da gab es Derartiges bereits. So sei zuerst Babelsberg als Standort im Visier gewesen, dies habe sich jedoch „nicht realisieren“ lassen. „Die Finanzierung war das Problem. Die Waschmaschinen und Trockner, alle von Miele, sind sehr teuer“. Bei einer Potsdamer Bank wusste man seine Idee schließlich zu würdigen. Dort machte man Kühn den Vorschlag, die „Waschbar“ in der Innenstadt zu eröffnen. Die City sei aber „menschenleer“ gewesen, schmunzelt Kühn. „Ein Projekt wie die ,Waschbar braucht Kiez!“

Zum Glück für Kühn gab das Kreditinstitut grünes Licht für einen anderen Ort. So setzte sich der 1,90 Meter-Mann auf sein Fahrrad und fuhr durch Potsdam-West. Als er den ehemaligen Konsum entdeckte, habe er gespürt, dass dies der richtige Ort für seine Bar sei. „Ich wusste genau, wo was stehen soll“, schwärmt Kühn. Doch zunächst musste er den Standort analysieren. Tagelang stand an er an der Tramhaltestelle „Bahnhof Charlottenhof“, gleich vor dem Flachdachgebäude, und beobachtete, wer ein- und ausstieg. „Ich dachte besonders an die Studenten hier in Potsdam-West“.

Mittlerweile hat Kühn festgestellt, dass die Jüngeren verhältnismäßig wenig in seiner Bar waschen. „Die meisten haben eine Maschine zu Hause und kommen nur zum Trinken in die ,Waschbar“, erklärt der Bar-Besitzer.

So wie Jakob und Lena, die noch nie zum Wäschewaschen hergekommen sind. Ihnen gefalle einfach die gemütliche Atmosphäre. „Wenn auch die Einrichtung der Bar absolut kitschig ist“, grinst der 28-jährige Architekt. „Dafür kommt Kiez-Feeling auf“, wirft die 26-jährige Lena ein.

Tatsächlich tummeln sich in der „Waschbar“ die unterschiedlichsten Leute – so zum Beispiel ein lustiger und redseliger Herr mit Brille, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Der Mann in dem kurzärmligen Hemd erzählt, dass er von einer Arbeitskollegin auf die „Waschbar“ aufmerksam gemacht worden sei und nun hier zum zweiten Mal wasche. „Die Parkplatzsituation ist allerdings schlecht. Ich muss schließlich mit dem Wagen kommen, will aber nicht mit der Wäsche durch das halbe Viertel laufen“, erzählt der 50-Jährige und bestellt sich ein Bier. Trotzdem käme er gerne wieder.

Zur Freude von Klaus Kühn, dem das Klientel jedoch gar nicht mehr so wichtig ist. „Der Kunden-Mix ist sehr schön“, sagt er. „Es kommen die verschiedensten Leute: Soldaten, Mitarbeiter der Sparkassenakademie, Schauspieler, die in Babelsberg drehen. Und einmal kam sogar ein australischer Bauer in den Laden“, grinst Kühn und stochert in seinem Kaffee.

Sieben studentische Angestellte arbeiten mittlerweile in der „Waschbar“. „Die müssen alles können“, sagt der Chef. „Thekendienst, Küche, die Maschinen bedienen. Und bei Veranstaltungen aushelfen“.

Kleine Events waren neben dem normalen Betrieb ebenfalls von Anfang an geplant, sagt Kühn, der das erste halbe „Waschbar“-Jahr noch alles alleine machte und quasi in seinem Laden wohnte. Das sind Theaterstücke, Lesungen und Konzerte, so wie zuletzt der Auftritt des Johnny Cash Doubles „Heinrich Doc Wolf“ Anfang Februar.

Wie lange er das noch durchhält, weiß Kühn nicht. Zwar wohnt er mittlerweile auf der anderen Straßenseite, ist aber so gut wie jeden Tag da und kümmert sich um das Geschäft. „Ein paar Jahre geht´s schon noch“, grinst er. Dann nimmt er noch einen letzten Schluck Kaffee und steht auf. „Es gibt zu tun“, sagt Kühn und begibt sich hinter die Theke.

„Waschbar“ Potsdam, Geschwister-Scholl-Straße 82. Öffnungszeiten: Täglich ab 10 Uhr bis open end

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