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Lebt seit 15 Jahren in der Stadt. Der Potsdamer Imam Kamal Mohamad Abdallah.

© Andreas Klaer

Was Muslime in Potsdam bewegt: „Integration ist keine Einbahnstraße“

Der Imam Kamal Mohamad Abdallah spricht im PNN-Interview über den großen Zuwachs in seiner Moschee, die Ereignisse in Köln und das Zusammenleben in der Stadt.

Von Matthias Matern

Herr Abdallah, wie ist die Situation für Muslime in Potsdam?

Die Zahl der Muslime bei uns hat sich durch die Flüchtlinge mehr als verdreifacht. Früher waren wir beim Freitagsgebet vielleicht 150 Leute. Jetzt sind es manchmal mehr als 400. Es kommen nicht nur Muslime aus Potsdam zu uns, sondern auch aus Teltow oder Bad Belzig. Wir bieten bereits zwei Freitagsgebete an. Doch das reicht immer noch nicht. Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll. Uns fehlt einfach der Platz.

Die Vorfälle am Hauptbahnhof in Köln und in anderen Städten in der Silvesternacht haben bundesweit für Empörung gesorgt. Wie beurteilen Sie die Vorfälle?

Wir verurteilen jede Gewalttat, vor allem aber gegen Frauen. Wenn so etwas in islamischen Ländern passiert, werden die Täter in aller Öffentlichkeit hart bestraft. Die Vorfälle in Köln sind eine Schandtat. Ich habe aber auch das Gefühl, dass die Situation von manchen Leuten missbraucht wird, um strengere Gesetze gegen Ausländer durchzubringen und gegen Flüchtlinge zu hetzen.

Haben die Vorfälle im Verhältnis zwischen Muslimen und der hiesigen Bevölkerung etwas verändert?

Wir spüren nichts. Es gibt nach wie vor sehr gute Kontakte zu christlichen Organisationen. Diese Taten müssen von allen Menschen verurteilt werden. Dabei gucken wir nicht, woher ein Straftäter kommt. Wenn ein Deutscher eine Straftat begeht, sagen wir auch nicht explizit: Das war ein Deutscher. Die Hauptsache ist, dass diese Taten bestraft werden.

Wie erklären Sie sich diese Ausschreitungen?

Das kann man nicht erklären, es gibt dafür keine Rechtfertigung. Es spielt auch keine Rolle, dass manche der Täter alkoholisiert waren. Ich kenne viele Flüchtlinge aus Syrien, die über die sozialen Netzwerke fragen, ob jemand einen oder mehrere der Täter kennt, damit sie die Namen der Polizei weitergeben können.

Die Islamwissenschaftlerin und erste Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, Lamya Kaddor, sieht die Ursachen eher in einem kulturell verankerten Rollenbild der Frau als in der Religion. Teilen Sie diese Ansicht?

Diese Ansicht teile ich nicht. Es ist zudem einfach unerheblich, ob die Gründe dafür in der Kultur oder in der Religion liegen könnten. Diese Leute haben Straftaten begangen. Es gibt nun einmal Menschen, die sind gut, und manche, die sind schlecht. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass solche Taten in Deutschland passieren. Laut dem Polizeibericht der Stadt Köln aus dem Jahr 2015 hat es dort 199 Fälle von sexuellen Übergriffen gegen Frauen gegeben. Sechs davon fanden während des Kölner Karnevals statt. Außerdem gibt es sexuelle Übergriffe auch am Arbeitsplatz oder in Diskotheken.

Als Reaktion auf die Vorfälle in der Silvesternacht wird jetzt in Deutschland eine „harte Antwort“ gefordert. Welche Konsequenzen muss es geben?

Neue Gesetze brauchen wir jedenfalls nicht, es gibt genügend. Die Hauptsache ist, dass wir diese Gesetze durchsetzen. Es ist aber vor allem ein gesellschaftliches Problem. Wir müssen zusammenrücken und zusammenhalten. Wichtig ist, dass die Menschen nicht weggucken, sondern handeln, wenn sie etwas sehen.

Die Bundesregierung hat sich darauf verständigt, kriminelle Ausländer schneller auszuweisen. Ein notwendiger Schritt?

Abschiebung wird nicht immer funktionieren. Etwa, wenn die Betreffenden aus Kriegsländern kommen.

Wie werden die Vorfälle in Köln und Hamburg bei Muslimen in Potsdam diskutiert?

Viele sind empört. Vor allem die Muslime aus Syrien. Es sollen ja auch Syrer an den Vorfällen beteiligt gewesen sein. Zudem gibt es gerade auch in Köln viele Muslime. Deren Frauen und Töchter sind ja manchmal auch allein in der Stadt unterwegs. Viele haben ebenfalls Angst vor Übergriffen. Vor diesem Hintergrund begrüße ich sehr den offenen Brief, den Potsdamer Flüchtlinge in der vergangenen Woche veröffentlicht haben. Sie zeigen Gesicht und stellen sich gegen Gewalt.  

Was sagt der Koran über die Rolle der Frau in der Gesellschaft?

Im Islam ist die Frau die Stütze der Gesellschaft. Sie ist nicht nur eine Ehefrau. Im Koran steht, Frau und Mann sind vor Allah gleich. Ich kenne eine britische Buchautorin, die sogar schreibt, dass die Frau im Islam als Königin angesehen wird. Sie hat die Rolle der Frau im Islam untersucht und selbst nach den Regeln gelebt. Außerdem führt für Muslime der Weg ins Paradies über die Liebe und Fürsorge für die eigene Mutter. Ich bin selbst auch seit Jahren verheiratet und habe meine Frau natürlich niemals schlecht behandelt.

Sie geben Frauen nicht die Hand. Wieso?

Das ist eine religiöse Vorschrift. Ein Muslim darf einer fremden Frau nicht die Hand geben. Das ist im Judentum übrigens genauso. Auch Rabbiner geben fremden Frauen nicht die Hand (Anm. d. Red.: Es gibt orthodoxe Rabbiner, die so verfahren; für liberale und konservative Rabbis ist das aber kein Thema).

Die anfängliche Euphorie gegenüber Flüchtlingen in Deutschland ist einer zunehmenden Skepsis gewichen. Davon profitiert die Pegida-Bewegung und die rechtspopulistische Partei AfD. Am Mittwoch wollen Pegida-Anhänger wieder in Potsdam demonstrieren. Bereitet Ihnen das Sorgen?

Wir haben keine großen Sorgen, aber wir glauben auch, dass jedes Problem klein anfängt. Was Pegida veranstaltet, erinnert uns ein bisschen an die Anfangszeit des Nationalsozialismus. Die Ausgangssituation war natürlich eine andere. Trotzdem muss das sehr gut beobachtet werden und die Polizei sollte schon jetzt handeln und nicht warten, bis die Probleme außer Kontrolle geraten. Es kommt ja bereits immer häufiger auch zu Übergriffen gegen Ausländer und Moscheen, fast wöchentlich.

Auch in Potsdam gibt es bei der Integration von Flüchtlingen gelegentlich Schwierigkeiten. Potsdams Arbeitsagenturchefin hat etwa von einem Asylbewerber berichtet, der bei seiner Arbeit in einem Hotel Probleme mit seiner weiblichen Vorgesetzten und mit dem Alkoholkonsum der Gäste hatte. Aus Kitas wird berichtet, dass in einigen Fällen Väter von Flüchtlingskindern weiblichen Erzieherinnen nicht die Hand reichen wollen. Wie soll man in der deutschen Gesellschaft damit umgehen?

Integration ist keine Einbahnstraße. Natürlich ist das Leben hier anders als zum Beispiel in Afghanistan. Deswegen erklären wir auch den neuen Brüdern, wie die Gesellschaft hier funktioniert. Aber ich habe manchmal auch kein Verständnis, wenn man kein Verständnis für uns hat. Zum Beispiel das mit dem Händeschütteln. Es ist einfach eine religiöse Vorschrift. Wir dürfen das nicht. Wir leben doch in einer demokratischen Gesellschaft. Man kann mich doch nicht dazu zwingen. Was die geschilderte Situation im Hotel betrifft, da muss sich derjenige natürlich vorher darüber im Klaren sein, dass hier in einem Hotel auch Alkohol ausgeschenkt wird. Wenn jemand damit ein Problem hat, muss er sich eine andere Arbeit suchen. Dass eine Frau Chef ist, ist eigentlich kein Problem. Die erste Frau des Propheten Mohammed war auch eine Geschäftsfrau.

Welchen Beitrag leistet Ihr Verein derzeit bei der Integration?

Wir erklären den Neuankommenden als Erstes, dass es das Wichtigste ist, die deutsche Sprache zu lernen. Wie bieten auch Nachhilfe an für diejenigen an, die in ihren Sprachkursen nicht so ganz mitkommen. Wir begleiten Flüchtlinge zur Ausländerbehörde, zum Arbeits- oder Wohnungsamt. Aber wie gesagt, unsere Hände sind etwas gebunden. Wir haben keine finanziellen Mittel, machen das alles ehrenamtlich. Wir finanzieren uns ausschließlich aus Spenden, die beim Freitagsgebet gesammelt werden. Manchmal ist es viel, manchmal wenig.

Sie erhalten keine weitere finanzielle Unterstützung, zum Beispiel vom Land Brandenburg?

Nein, null. Wir wollen uns aber auch nicht an Botschaften oder andere Moscheen wenden. Wenn sie uns etwas geben, wollen sie vielleicht auch Einfluss nehmen. Das wollen wir nicht. Wir haben aber auch nicht genug Platz, um den Flüchtlingen mehr zu helfen. Sehen Sie, der Computerbildschirm steht da oben auf dem Fensterbrett. Wir hatten damals drei Computer und haben bei Bedarf gezeigt, wie man mit Computern umgeht, wie man zum Beispiel Bewerbungen schreibt. Wir hatten auch ein Extrazimmer für Frauen, wo sie sich treffen und unter sich sein können. Aber auch diesen brauchen wir jetzt für die Freitagsgebete. Frauen sind nicht verpflichtet, zur Moschee zu gehen. Sie können auch zu Hause beten.

Welche Folgen hat das Platzproblem?

Manche unserer neuen Brüder weichen bereits nach Berlin aus. Wir wollen aber nicht, dass unsere Leute irgendwo auf einem Hinterhof in Berlin in eine Moschee gehen, wo sie eventuell extremistische Ansichten gepredigt bekommen.

Vergangenen Oktober hat der Potsdamer Oberbürgermeister Ihnen Unterstützung bei der Suche nach einem neuen Standort versprochen. Wie ist der aktuelle Stand?

Bis jetzt ist gar nichts passiert. Herr Jakobs war zweimal bei uns und hat einen sehr guten Eindruck hinterlassen. Aber die Frage wird sein, ob wir auch finanzieren können, was uns angeboten wird. Wir wollen nichts kostenlos, aber kostengünstig.

Das Interview führte Matthias Matern

ZUR PERSON: Kamal Mohamad Abdallah (45) ist ehrenamtlicher Imam der Potsdamer Al Farouk Moschee und erster Vorsitzender des Vereins der Muslime in Potsdam. Geboren wurde Abdallah im Libanon. Seit 15 Jahren lebt er in Potsdam. Der Verein der Muslime in Potsdam wurde 1998 gegründet. Praktiziert und gelehrt wird nach eigenen Angaben der klassisch-sunnitischen Islam. Derzeit hat der Verein rund 50 eingetragene Mitglieder.

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