zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Wandern zwischen den Welten

Der Bedarf an Schulsozialarbeitern ist enorm. Doch mehr Geld ist nicht in Sicht. Stattdessen soll ein Umdenken stattfinden

Annette Kühn hat ihr Büro in der Käthe-Kollwitz-Oberschule in Potsdam- West. Als Teil des Schulbetriebs sieht die 47-jährige Sozialarbeiterin sich trotzdem nicht. „Lehrer müssen immer bewerten, ich kann einfach schauen, was jetzt gerade ist und muss auch nicht disziplinarisch eingreifen“ , sagt Kühn. Die Schüler wissen das zu nutzen: In ihre Sprechstunde kommen die Jugendlichen, wenn sie einfach mal reden wollen, wenn sie sich in der Klasse ausgegrenzt fühlen, sie zu Hause oder in der Schule nicht mehr klarkommen. Kühn ist eine von zwölf Sozialarbeitern an Potsdamer Schulen.

Geht es nach dem Willen der Schulleiter, könnten es viel mehr sein. Von den 43 Schulen haben 25 Bedarf nach einem Sozialarbeiter beim Jugendamt angemeldet. Nicht einmal die Hälfte, lediglich zehn Stellen, sind genehmigt. Das Budget dafür ist seit 18 Jahren gleich: eine halbe Million Euro bekommt der Verein Paragraph 13, der die Schulsozialarbeit in der Stadt übernimmt, für Personal und Sachkosten. Es knirsche an allen Ecken, sagt Leiterin und Sozialarbeiterin Ike Borg: „Wir müssen die Buchhaltung selbst machen, an dringend nötige Supervision ist nicht zu denken.“

Der Landeselternrat (LER) fordert, dass in Brandenburg jede Schule über einen Sozialarbeiter verfügt. Laut einer Umfrage würde auch die Mehrheit der Landtagsfraktionen das begrüßen, heißt es vom LER. Würde das umgesetzt, würde das mehrere Millionen Euro kosten. Auch die Linke in Potsdam fordert in ihrem Kommunalwahlprogramm, in den nächsten zehn Jahren einen Sozialarbeiter an jeder Schule zu verankern. Wer das finanzieren sein soll, weiß keiner.

Statt mehr Geld ins System zu pumpen, will Jugendamtsleiter Reinhold Tölke die ganze Struktur der Sozialarbeit an Schulen auf neue Füße stellen. Der 56-Jährige ist seit vergangenem Oktober im Amt, zuvor hat er im Bezirksamt Spandau massiv Kosten eingespart und den Schuldenberg in seiner Abteilung abgetragen. Tölke zieht mit den Händen Kreise auf dem Tisch in seinem Büro in der Behlertstraße. Jeder Kreis eine Welt für sich – Schule, Hort, Jugendhilfe – seit fast 20 Jahren. „Der Kosmos Schule und der Kosmos Jugendhilfe müssen sich wieder aufeinander zu bewegen“, sagt er. Einzige Wanderer zwischen den Welten sind die Schulsozialarbeiter. „Die Jugendhilfe kennt die Potsdamer Schulen nicht“, sagt Sozialarbeiterin Borg. Schule und Jugendhilfe funktionieren so anders, sagt ihre Kollegin Kühn. Und das System Schule selbst funktioniere auch nicht mehr. „Wenn die Schüler durch das Schultor gehen, sind sie in den 70ern.“ Kein Wunder, dass die Problemfälle zunehmen und immer häufiger Psychologen und Sozialarbeiter hinzugezogen werden müssen.

Nach Ansicht Tölkes können die Schulen ihren Erziehungsauftrag nicht einfach dem Jugendamt überlassen. Und auch sein Bereich muss aktiver werden: „Die Jugendhilfe braucht sich nicht zu verstecken, sie verfügt über gutes Know-how im sozialpädagogischen Bereich, wovon auch die Schulen profitieren.“

Um die Welten wieder anzunähern, scheinen Jahre nötig. Die Stadt Potsdam will zuerst ein neues Gesamtkonzept erstellen. Aus der Schulsozialarbeit soll Sozialarbeit an Schulen werden. Seit anderthalb Jahren ist ein Prozess im Gange, der Zuständigkeiten und Aufgaben neu regeln soll. Von Schnittstellen, Koordinierungen, zielgerichteter Steuerung ist da die Rede. Letztlich geht es auch darum, dass Jugendhilfe und Schule mehr miteinander kommunizieren. Doch das scheint nicht so einfach. „Wir müssen neu definieren, was Aufgabe von Schulsozialarbeit sein soll“, sagt Tölke.

Ein Ende der Grundsatzdiskussion ist erst Anfang 2015 in Sicht. Bis dahin gibt es Arbeitsgemeinschaften, Workshops, Werkstadtgespräche, eine Fachtagung. Alle sollen beteiligt werden. Paragraph- 13-Leiterin Ike Borg sitzt inzwischen ganz oft in solchen Treffen: Sie breitet die Arme aus und stöhnt. „Das ist ein Riesenverwaltungsaufwand und ganz viel Theorie“, sagt sie. Dass es Zeitverschwendung ist, würde sie nicht sagen. Aber zusätzlich bezahlt bekommt sie die Arbeit auch nicht. Sie sagt nur, dass sie in der Zeit auch EU-Gelder beantragen könnte, wenn sie wüsste, was auf ihren Verein im nächsten Jahr zukomme, ob sie dann überhaupt noch Schulsozialarbeit in Potsdam machen werde.

Fest steht für alle Beteiligten immerhin eins: Schulsozialarbeit muss vor Ort sein und nicht etwa in einem Jugendklub angesiedelt. Allein ein Jahr Beziehungsarbeit brauche es, sagt Sozialarbeiterin Kühn, um von den Schülern angenommen zu werden.

Jugendamtsleiter Tölke verteidigt die Langsamkeit der Verwaltung. Denn es gehe darum, dass Menschen ihre Sichtweisen ändern und diese „Geschwindigkeit ist nicht beliebig steigerbar. Die immer wiederkehrende Forderung nach mehr Geld nervt ihn: „Eine neue Struktur braucht nicht unbedingt mehr Geld, sondern ein Umdenken und eine neue Haltung.“ Erst danach ließe sich der finanzielle Bedarf berechnen. Und dann müsse auch das Bildungsministerium umdenken. „Es kann nicht sein, dass die Kosten nur zulasten der Kommune gehen.“ Auch Ike Borg hat Ideen, wie das System verbessert werden kann. Wenn schon nicht jeder Schule einen Sozialarbeiter bekomme, so könne es eine Art „fliegendes Klassenzimmer“ geben. Ein Beratungsbüro der Schulsozialarbeiter für Lehrer, Schüler, Eltern und Jugendhilfe. Teams von Sozialarbeitern halten außerdem Kontakt zu jeder Schule. Neulich hat Borg übrigens den Leiter eines Oberstufenzentrums kennengelernt. Händeringend brauche er jetzt Hilfe, sagt Borg. „Da brennt die Luft.“ Die Sozialarbeiterin hat ihm ihre Telefonnummer gegeben. Sie könne die Arbeit ihres Vereins an einem Projekttag an der Schule vorstellen. Er sei so dankbar gewesen, erzählt Borg, endlich einen Ansprechpartner und eine Telefonnummer zu haben.

Grit Weirauch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false