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Toskanafraktion. Gründer und Mitinhaber Giorgio Cuccia neben Studentin Ursula Majewska, die im Sommer als Kellnerin arbeitet, Koch Paolo Pardini und Francesco Mattalone vom Service (v.r.n.l.). Die antike handbetriebene Schwungradschneidemaschine, eine Berkel 115 (u.r.), hat Cuccia restaurieren lassen. Sie sieht schick aus und schneidet den italienischen Schinken perfekt – auch ohne Strom.

© Andreas Klaer

Landeshauptstadt: Vor der Pizza sind alle gleich

Als Giorgio Cuccia und Vincenzzo Cannizzaro das Piazza Toscana eröffneten, wurde es schnell zum angesagten Nachbarschaftsitaliener. Jetzt haben sie es sogar in „Die Zeit“ geschafft

Potsdam - Kein Griebnitzsee-Anrainer, sondern Linke-Finanzminister Christian Görke lobte das Piazza Toscana kürzlich in der „Zeit“, als in der Serie „Das neue Glück im Osten“ endlich die Stadt Potsdam an der Reihe war. Der Minister sollte erzählen, wo man in der Landeshauptstadt gut essen kann. Görkes „Geheimtipp“: der Italiener am Hiroshima-Nagasaki-Platz, zwischen Vereins-Fußballplatz mit Bushaltestelle, dem noblen, historischen Villenviertel am Griebnitzsee und dem HPI-Campus. Sieben Euro kostet hier die Pizza Margherita, sagte der Finanzminister, da könne man nicht meckern. Aber noch wichtiger sei, dass man seine Pizza hier ungestört essen kann, gerne auch mit prominenten Kollegen. Auf der vielleicht schönsten Terrasse in Babelsberg.

Restaurantinhaber Giorgio Cuccia kennt den Text, ein Gast hat ihm die Zeitung gezeigt. Es hat ihn sehr gefreut. Überrascht hat es ihn weniger. Er sieht und erlebt jeden Tag, dass das Geschäft gut geht, sehr gut sogar. An einem normalen Montag füllt sich mittags innerhalb weniger Minuten die Terrasse mit Geschäftsleuten und Studenten, Schauspielern auf Mittagspause, Touristen, Radwanderern. Abends sind es Anwohner, Familien mit Kindern und Großeltern, aber eben auch Lokalpolitiker, Geschäftspartner oder solche, die es werden wollen. Hier werden bei Trüffelnudeln und Primitivo oder Nero d’Avola Handschlaggeschäfte gemacht und Verträge aufgesetzt.

Auch Goldgräber müssen graben

Giorgio Cuccia sagt, er habe mit der Zeit ein Gespür dafür entwickelt, wann er einen Tisch auch mal in Ruhe lässt. Die Gäste schätzen es, dass sie hier ungestört sind – ohne sich in einem Hinterzimmer verstecken zu müssen. Wer kommt, der kommt. Ob Hasso Platter, der gleich um die Ecke wohnt, wenn er in Potsdam ist, ob Minister Görke oder das GZSZ-Team: „Wir behandeln alle gleich“, sagt der Chef. Natürlich stimmt das nicht ganz. Wenn beispielsweise Kai Diekmann anruft, um einen Familientisch zu bestellen, „dann weiß Giorgio, was zu tun ist“, sagt der Chef verschmitzt. Hier saßen auch schon Udo Jürgens, Helene Fischer und Roger Cicero. Und niemals käme jemand vom Service auf die Idee, um ein Selfie oder Autogramm zu bitten. Es gibt auch keine Fotowand hinterm Tresen mit Schnappschüssen oder Unterschriften, wie man sie anderswo findet. „Die haben die Unterschriften, wir haben die Gäste“, sagt Cuccia und lächelt.

Drei Jahre ist er alt, als seine Eltern von Sizilien nach Berlin auswandern. 15 ist er, als sie zurückgehen. Auf Sizilien macht er eine Ausbildung zum Elektrotechniker, arbeitet als solcher auch in Restaurants und bekommt Lust auf Gastronomie. Er geht wieder nach Berlin, jobbt als Kellner, lernt Restaurantfachmann und wird bald das erste Mal Geschäftsführer. 2007 holt man ihn ans Il Teatro nach Potsdam, ein Jahr später eröffnet er sein erstes Restaurant in der Lindenstraße. Das ist immer voll und eines Abends witzelt sein Kompagnon Vincenzzo Cannizzaro: „Du brauchst einen größeren Laden.“ Er hat auch schon eine Idee. Noch in der Nacht sehen sie sich das Haus an, das in der DDR mal ein Konsum war. Es ist Herbst, es ist dunkel, es ist eine Ecke, an der auch sonst nie was los ist damals. „Aber ich hatte dieses Gefühl“, sagt Cuccia. Zwölf Stunden haben sie überlegt und dann zugegriffen.

2009 ist Eröffnung, ein Jahr später eröffnen sie ein Eiscafé am Eckhaus gegenüber – eine eigene kleine Erfolgsgeschichte. 13 Mitarbeiter, dazu Saisonkräfte und zwei Chefs, die 100-Stunden-Wochen schieben, bis heute. So ist das eben, sagt Cuccia, der längst Familienvater ist. „Alle sagen immer: ,Oh, das Piazza ist eine Goldgrube.’ Aber ein Goldgräber muss eben auch graben.“

Für die Pasta aus dem Käselaib kommen Gäste auch von weiter her

Alles steht und fällt natürlich in der Küche. Italienisch von Nord nach Süd, Trüffelnudeln aus Piemont, Penne Norma mit Auberginen aus Sizilien. Cuccia hat nie Koch gelernt, aber sein Großvater hatte eine Bäckerei. Den Geruch des Brotes aus dem Steinofen erinnert er bis heute. Und irgendwie habe man als Italiener vielleicht ein besonderes Gespür, so ein Gefühl, das man auch zum Kochen von vermeintlich einfachen Dingen wie einer Bolognese braucht. Schon am Blubbern im Topf erkenne man, ob sich alles gut zusammenfügt. Im Piazza Toscana komme übrigens mehr Rind als Schwein in die Soße – mehr möchte er zum Hausrezept nicht verraten. Selbstverständlich ist stets alles frisch und manches auf der Karte überraschend schnörkellos. Wenn der Fisch gut ist, sagt Cuccia, braucht es nur Olivenöl und Zitrone. Eine komplizierte Spezialität gibt es aber doch – Pasta aus dem Käselaib. Dafür kommen Gäste auch von weiter her. Das Gericht wird direkt am Tisch zubereitet, die heißen Bandnudeln im ausgehöhlten Parmesanrund geschwenkt, die Soße in der Pfanne mit einer beeindruckenden Zeremonie flambiert.

Insgesamt gibt sich das Piazza aber bodenständig, mit Holz und Terrakotta für ländlichen Charme. Und nie würden sie die klassischen rot-weiß-gewürfelten Tischdecken gegen weißes Leinen austauschen. Cuccia ist fast täglich da. Viele Gäste begrüßt er persönlich, er weiß, dass das Piazza für so einige mit den Jahren zum Esszimmer geworden ist. Deshalb gibt es auch keinen Ruhetag. Nur am 24.12. ist geschlossen, obwohl er Jahr für Jahr mehr Anfragen auch für diesen Tag bekommt. Und irgendwann, wenn er mal Zeit hat, sagt er zuletzt, wird er sich darum kümmern, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen. „Ich möchte wählen gehen“, sagt er. „Ich möchte auch da meinen Senf dazugeben.“

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