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Der Tatort. Auf der Elisabethhöhe in Glindow deutet heute nichts mehr auf die Tragödie hin, die sich dort vor gut einem Jahr abgespielt hat.

© Andreas Klaer

Vor den Plädoyers im Mordfall Glindow: In Gefahr geraten

Am 11. Mai 2020 ertränkte Wolfgang L. laut Anklage seine Frau, weil sie ihn verlassen hatte. Er hatte bereits gedroht, sie zu töten. Warum musste es so weit kommen?

Von Carsten Holm

Werder (Havel) - Ein Jahr und sechs Tage ist es her, dass ein idyllisch gelegener Goldfischteich im Werderaner Ortsteil Glindow zum furchtbaren Tatort wurde. Dort wurde die 40 Jahre alte Polin Dorota L. grausam umgebracht. Aller Wahrscheinlichkeit nach, weil ihr Ehemann Wolfgang nicht damit umgehen konnte, dass sie ihn verlassen hatte. Vier Wochen zuvor war sie mit ihren Kindern aus der Familienwohnung in Marquardt in eine Ferienwohnung neben dem Teich gezogen. Als sie sich weigerte, zu ihm zurückzukehren, stach ihr Mann laut Anklage auf sie ein und ertränkte sie vor den Augen ihrer Kinder. Wegen Mordes steht der 65 Jahre alte frühere Dachdeckermeister vor dem Landgericht, heute halten die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung ihre Plädoyers. L. muss bei der Urteilsverkündung am Donnerstag mit Lebenslang rechnen.

Notfallsanitäter versuchten vergeblich, Dorota L. zu reanimieren

Nichts deutet auf der Elisabethhöhe, einem rund 80 Meter hohen Hügel über Glindow, auf die Tragödie hin. Ruhig liegt der Gartenteich da. Durch Bäume hindurch schweift der Blick über das Gatter einer Pferdeweide, eine weiße Buddha-Figur unterstreicht die friedliche Atmosphäre. Am Ufer des Tümpels versuchten Notfallsanitäter am Abend des 11. Mai 2020 vergeblich, Dorota L. zu reanimieren. Auf seinem Grund, sagten die Eigentümer der Ferienwohnung am Rande des Strafprozesses, liege wohl noch immer eine Goldkette. Die Frau wird sie vermutlich verloren haben, als sie mit ihrem Ehemann im Wasser um ihr Leben kämpfte.

Tat ist ein sogenannter Femizid

Was Wolfgang L., der unmittelbar nach dem mutmaßlichen Mord mit seinem Auto bei einem Suizidversuch gescheitert war, antrieb, hat die 1. Große Strafkammer akribisch rekonstruiert. Die Tat ist ein sogenannter Femizid, auch wenn der Begriff noch immer nicht den Weg ins Strafgesetzbuch gefunden hat, was etwa die Frauenrechtsorganisation Terre des femmes seit langem fordert. Denn Dorota L. stirbt, weil sie eine Frau ist und sich ihrem Mann nicht länger unterordnen will. Ohne Frage entspricht der Femizid von Glindow dem klassischen Muster solcher Straftaten, deren Täter, so die Soziologin Monika Schröttle im MDR, nicht akzeptieren, „dass die Frau frei ist und ihre eigene Entscheidung trifft“. Alle Formen solcher Gewalt seien „eingebettet in patriarchalische Kontroll- und Dominanzmuster“.

Mit 117 roten Schuhen machten das Netzwerk brandenburgischer Frauenhäuser und der Frauenpolitische Rat am 25. November 2020, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, vor dem Landtag auf das Thema aufmerksam. Im Jahr 2019 waren allein in Deutschland 117 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet wurden.

Perfides System von Herrschaft und Knechtschaft

Als Dorota L. 1998 nach Deutschland kommt, ist sie 18 Jahre alt, eine attraktive, eher schüchterne Frau. Wolfgang L. ist 24 Jahre älter, ein damals wohlhabender Firmenchef mit bis zu 30 Mitarbeitern. Es ist ein leichtes Spiel für ihn, seine Frau zu dominieren und ein perfides System von Herrschaft und Knechtschaft zu etablieren. Jetzt, im Strafprozess nach ihrem Tod, tritt Dennis D. als Zeuge auf, ein Mann in den Vierzigern, mit dem Dorota L. ihre Zukunft neu plante. Er wirkt wie der personifizierte Gegenentwurf zu dem cholerischen, in rüdem Ton daherredenden Wolfgang L. Dennis D. präsentiert sich ruhig, höflich, intelligent, gepflegt, seine Worte wägend.

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Nach Ostern, am 15. oder 16. April, erzählt Dorota L. ihrem Ehemann, dass sie ihn wegen dieses Mannes verlassen werde. Ihr Ehemann schlägt ihr ins Gesicht. 25 Tage, bevor er sie umbringt. Wenig später, am 18. April, einem Samstag, werden Polizeibeamte nach Bornim gerufen, wo sich Dorota L. mit ihren Kindern und ihrer Tante im Auto auf dem Gelände einer Autofirma versteckt. An diesem Tag will ihr Ehemann sie zwingen, die neue Beziehung zu beenden. „Wenn du das nicht tust, wirst du den heutigen Tag nicht überleben, und ich werde dich wahrscheinlich töten“, gibt die Polizei die Drohung von Wolfgang L. in einem Fax an das Jugendamt wieder. Zudem habe er angedroht, auch die zwölfjährige Tochter, den zwei Jahre älteren Sohn und Dennis D. zu erschießen. Zu Dorota L. sagt er: „Ich habe bereits geträumt, wie ich dich töte. Ich werde es auch tun, wenn es sein muss.“

Anzeige wegen Körperverletzung gab es bereits zuvor

Daraufhin flüchtet Dorota L. mit ihren Kindern und ihrer Tante aus der Wohnung in Marquardt nach Bornim. Die Beamten nehmen eine Anzeige wegen Körperverletzung gegen Wolfgang L. auf, Kollegen suchen sogar mit einem Hubschrauber nach dem flüchtigen Mann. Seine Frau hat von einem Revolver berichtet, der in einer Schublade liege; sie weiß nicht, dass es eine Schreckschusspistole ist. Die Polizei macht ihn ausfindig und bringt ihn in die „Aue“ nach Babelsberg, die Psychiatrische Klinik des Bergmann-Klinikums. Außerdem halten die Beamten eine sogenannte Gefährderansprache und sprechen eine „Wegweisung“ aus, ein Betretungsverbot der Wohnung in Marquardt für zehn Tage, dazu ein Rückkehrverbot.

Dorota L. hat, so scheint es, alles richtig gemacht. Zunächst hält der Polizeiobermeister Sch. fest, dass trotz der Todesdrohung „für die Geschädigte und die Kinder keine konkrete Gefahr“ bestehe, „da sich Wolfgang L. in der Aue befindet“. Die Anschrift von Dennis D. kenne L. nicht, deswegen bestehe auch für ihn keine Gefahr.

Zwei Tage später, am Montag, liest der Diplom-Sozialarbeiter Marcel S. im Potsdamer Jugendamt das Fax der Polizei. Er will von der Klinik erfahren, ob Wolfgang L. dort noch untergebracht sei. „Das musste ich wissen, um die Gefährdungssituation für die Kinder abschätzen zu können“, sagt er im Zeugenstand. Ihm sei für diese wichtige Information eine telefonische Rückmeldung für den 20. oder 21. April (Montag oder Dienstag, d. Red) angekündigt worden: „Ich bekam leider keine.“ Das habe er „an dieser Stelle häufiger“ erlebt.

Wolfgang L. ist wieder zurück in gemeinsamer Wohnung

Der Mann vom Jugendamt erkennt die Gefahr und setzt nach. Er ruft in der Wohnung der Familie L. in Marquardt an, zu seiner Überraschung ist Wolfgang L. trotz der sogenannten Wegweisung bereits wieder vor Ort – das spätere Opfer hat dem Täter die Tür geöffnet. „Sie hatte Mitleid und hat ihn reingelassen“, sagt Marcel S. Damit ist das polizeiliche Betretungsverbot, der erste, große Schritt zur Entspannung der gefährlichen Situation, hinfällig geworden. Dorota L. hätte auch ein Annäherungsverbot und ein Kontaktverbot erwirken können, das auch Anrufe und Mails umfasst. Nun aber hat es der Mann, der seine ganze Familie mit dem Tod bedroht hat, geschafft, wieder mitten unter den Seinen zu leben. Er habe „das alles nicht so gemeint“, sagte er dem Sozialarbeiter. Und seine Frau glaube ihm.

Die Gleichstellungsbeauftragte Martina Trauth (Linke) hat eine Erklärung dafür, dass Frauen in solchen Situationen so oder ähnlich handeln wie Dorota L.. „Manche treibt ein schlechtes Gewissen um“, sagt sie, „sie empfinden sich leider noch immer als fürsorgendes Wesen, das zur Versöhnung bereit sein muss. Und dann schieben sie ihre Angst zur Seite.“

Frau in dieser Lage „braucht Beratung“

Rosmarie Priet von der Opferberatung und Traumaambulanz weiß, dass Frauen auch Anzeigen wegen Körperverletzung gegen ihre Partner oder Ehemänner „oft zurückziehen“, weil sie „ein Rest von Mitgefühl für den Vater ihrer Kinder haben, der nicht vorbestraft sein soll“. Eine Frau in dieser Lage „braucht Beratung“. In Niedersachsen seien gute Erfahrungen mit Fallkonferenzen gemacht worden, bei denen sich „alle Akteure von den Gerichten über das Jugendamt und die Opferberatungsstellen treffen und zum Beispiel Gefahrenprognosen abstimmen“.

Urteil: lebenslänglich? Wolfgang L. (vorn)  steht wegen Mordes vor Gericht.
Urteil: lebenslänglich? Wolfgang L. (vorn)  steht wegen Mordes vor Gericht.

© Carsten Holm

Auch Dorota L. zieht ihre Anzeige gegen Wolfgang L. zurück. Im Fall der Familie gibt es am 21. April 2020 ein Gespräch im Jugendamt. Marcel S. informiert Dorota L. im Einzelgespräch auch über das Angebot des Frauenhauses. Aber sie will lieber mit ihrer Tante und den Kindern in die Ferienwohnung nach Glindow ziehen. Am 22. April ruft Wolfgang L. überraschend bei Marcel S. an. Er wolle die Trennung akzeptieren. Er behält für sich, dass er heimlich prüfen will, ob auch Dennis D. in Glindow übernachtet. Die Auswertung seines Handys zeigt, dass er am 29. April dort war und dessen Auto fotografiert hat. Am 5. Mai will er die Fahrräder der Kinder nach Marquardt bringen, was Mutter und Kinder entschieden ablehnen. Sechs Tage später ereignet sich der mutmaßliche Mord.

Sozialarbeiter S., der vor Gericht einen rührigen Eindruck macht, will die ungeklärte Besuchssituation zwischen Vater, Mutter und den beiden Kindern klären. Er lädt die Familie für Dienstag, dem 12. Mai, um 13 Uhr ins Jugendamt ein. Da ist Dorota L. bereits tot. Fünfzehneinhalb Stunden zuvor, am 11. Mai 2020 um 19.25 Uhr eine Notärztin neben dem Goldfischteich in Glindow ihren Tod festgestellt.

Hilfe für Frauen in Not

  • Bundesweites Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen”: Tel. (08000) 116 016. 365 Tage rund um die Uhr
  • Frauenhaus Potsdam: Tel. (0331) 964 516. Anonyme Adresse. Erste Hilfe für akut von häuslicher Gewalt betroffene Frauen, 365 Tage rund um die Uhr
  • Frauenberatungsstelle Potsdam: Garnstr. 33, 14482 Potsdam Tel. (0331) 974695
  • Opferberatung/Traumaambulanz: Jägerstraße 36, 14467 Potsdam, Tel. (0331) 2802725, Sprechzeiten montags 12 bis 16 Uhr, mittwochs 15 bis 19 Uhr.
  • EJF Beratungsstelle Lösungsweg: Charlottenstraße 127, 14467 Potsdam, Tel. (0331) 6207 799. Evangelisches Jugend-und Fürsorgewerk (wenn mindestens ein Kind im Haushalt lebt)
  • Weißer Ring: Bundesweites Opfer-Telefon116 006, 7 Tage, 7 bis 22 Uhr. Potsdam: Gert Korndörfer, Tel. (0151) 55164716

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