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Von Werner Kurzlechner: Die Küche muss weg

Alle reden vom gesunden Essen, aber eine Pankower Schule soll jetzt ihr vorbildliches Angebot verlieren

Koch Bert Heimann gibt einem Erstklässler ein Glas Apfelsaft. Der Junge strahlt, als er an der Hand einer Betreuerin mit seinem Getränk von dannen zieht. Derweil guckt Küchenhilfe Marlies Wilhelm dem 18-jährigen Daniel über die Schulter, der Kartoffeln schält und schnippelt. Szenen wie diese gehören an der Panke-Schule für geistig behinderte Kinder in Niederschönhausen noch zum Alltag, im Jahr 2009 aber möglicherweise nicht mehr. Der Bezirk Pankow plant, die Stellen des Kochs und der Küchenhilfe zu streichen. Die Küche wäre dann nicht mehr Zentrum des Schulgeschehens, in dem die Schüler mit frischen Zutaten und ihrer Zubereitung in Berührung kommen und auf Vertrauenspersonen treffen.

Und das in Zeiten, in denen die Bundesregierung in großen Kampagnen für gesunde Ernährung wirbt und Spitzenköche wie Jamie Oliver in Großbritannien und neuerdings Sarah Wiener in Berlin Schulkinder für gutes Essen sensibilisieren. Die Eltern in Pankow und Schulleiterin Emilija Fichtner wollen diesen Widerspruch nicht hinnehmen.

Es fehlt ihnen nicht an guten Argumenten, warum gerade ihre Schule Leben in der Schulküche braucht. Das beginnt schon bei den besonderen und individuellen Ernährungsbedürfnissen der behinderten Kinder. „Unsere Schüler haben die unterschiedlichsten Stoffwechselkrankheiten“, sagt Fichtner. Das bedeutet in der Praxis, dass viele Mädchen und Jungen bestimmte Zutaten nicht essen dürfen: bei einigen ist es Fleisch, bei anderen sind es Milchprodukte oder Nüsse. „Koch Bert“, wie die Schüler Heimann rufen, ist auch dafür da, hier den Überblick zu behalten. „Bei einem Mädchen ist der Darm nach außen verlegt“, berichtet er. „Ihr darf ich zum Beispiel keine Zwiebeln geben.“ Seit 2002 achtet Heimann darauf, dass jeder der rund 100 Schüler verträgliche Speisen auf den Teller bekommt – und darauf, dass es ihm schmeckt.

Behinderte Kinder haben auch häufig Probleme beim Schlucken. Ihre Speisen müssen vorher in den Mixer. In vielen Einrichtungen vermischt man ganze Gerichte auf einmal – beispielsweise Fleisch, Nudeln und Gemüse – zu einem breiigen Einerlei. Die Panke-Schule legt indes Wert darauf, dass der Koch ihres Vertrauens sämtliche Zutaten einzeln püriert. „Wir wollen unseren Kindern die Reize der verschiedenen Geschmäcker und Gerüche vermitteln“, sagt Maud Materson, deren Sohn Magnus die Schule besucht. Eltern und Lehrer wollen ihr Küchenpersonal auch deshalb unbedingt behalten, weil sich die Schule in den vergangenen Jahren ein Ernährungsprofil verpasst hat. Zum einen deshalb, weil man über das Essen die Sinne der Kinder ansprechen und bilden will. Zum anderen, weil Schüler der Abschlussstufe wie Daniel in der Küche ein Praktikum machen können und in der Gastronomie eine der wenigen Perspektiven auf dem regulären Arbeitsmarkt haben. Dreimal im Jahr veranstalten die Klassen der Oberstufe einen öffentlichen Restaurantabend zu Themen wie bayerische oder mittelalterliche Küche. Für dieses Projekt gewannen sie 2004 den Preis „Praktisches Lernen“.

Neben den speziellen Ernährungsbedürfnissen der Schüler und dem Profil der Schule sprechen auch pädagogische Gründe dafür, dass der Koch an der Schule bleibt. „Herr Heimann ist eine Autorität für die Kinder“, sagt Schulleiterin Fichtner. Jemand, mit dem die Kinder auf andere Weise als mit den Lehrern Freude und Kummer teilen. Und der damit auch eine pädagogische Rolle einnimmt. So berichtet Nicole Fischer davon, dass ihr schüchterner Sohn Niklas mit Heimanns Hilfe Selbstbewusstsein tanken konnte: „Alleine den Essenswagen zum Koch zu bringen und mit ihm die Spülmaschine einzuräumen, hat seiner Entwicklung unheimlich gutgetan.“

Die Mütter wollen nicht glauben, dass das zweiköpfige Personal in der Schulküche den Sparzwängen des Bezirks zum Opfer fallen und das Essen ab Januar von einem Caterer kommen soll. Maud Materson arbeitet selbst in einer geriatrischen Einrichtung, wo es ebenfalls individuelle Ansprüche ans Essen gibt. „Da muss ich mich mehrmals die Woche beim Caterer beschweren, weil irgend etwas nicht passt“, so Materson.

Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), Pankows Schulstadträtin, sagt, sie verstehe die Standpunkte: „Ich habe früher selbst in der Behindertenhilfe gearbeitet.“ Ihr bleibe aber keine Wahl. Sie müsse für 2009 in ihrem Etat 520 000 Euro kürzen, umgerechnet 15 Stellen. Nach mehreren Sparrunden in der Vergangenheit gehe es nun in jedem Fall ans Eingemachte. In Pankow müssten schon einige Schulen ohne Hausmeister oder Sekretärinnen auskommen, auch dieses Personal sei existenziell. „Wir sind zurzeit der einzige Bezirk, der noch Köche und Küchenhilfen an Schulen beschäftigt.“ Bis zum Jahreswechsel wird das so sein: Dann fällt neben der Panke-Schule auch an der Helene-Haeusler-Schule das Küchenpersonal weg.

Auf Bezirksebene hat die Panke-Schule das Gefecht trotz eines Appells an die Bezirksverordnetenversammlung im Juni verloren. Demnach müssten Marlies Wilhelm und Bert Heimann ab 2009 in den zentralen Stellenpool des Landes wandern. „Dann muss ich vielleicht im Ordnungsamt Knöllchen verteilen“, sagt Wilhelm lapidar. Die Schule gibt aber nicht auf und hofft nach wie vor auf eine andere Lösung, die auf einer Zusammenarbeit mit der Konrad-Zuse-Oberschule basieren soll.

Die ebenfalls in Niederschönhausen gelegene Sonderberufsschule bildet Küchenpersonal aus, verfügt aber nicht über eine eigene Küche. Die Idee von Schulleiterin Fichtner: Gemeinsam könnte man Koch Bert als Betreuer für die Auszubildenden der Zuse-Schule anfordern, dafür aber die Küche der Panke-Schule als Ort des Geschehens nutzen. Über dieses Ansinnen entscheidet in den kommenden Monaten der Senat.

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