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Von Ulrich Zawatka-Gerlach: Ethik hat sich bewährt – und bleibt doch umstritten

Bildungssenator Zöllner fühlt sich von den Erfahrungen in den Schulen bestätigt Unterstützer der „Pro Reli“-Kampagne haben 70 000 Unterschriften gesammelt

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Religion oder Ethik – diese Frage bewegt Berliner Eltern. Der Träger des Volksbegehrens „Pro Reli“ hat inzwischen 70 000 Unterschriften gesammelt. Bis 21. Januar müssen es 170 000 Stimmen sein, damit es zum Volksentscheid kommt. Ob es zum Entscheid kommt, hängt auch davon ab, welche Erfahrungen mit dem im Schuljahr 2006/2007 eingeführten Pflichtfach Ethik ab Klasse 7 gemacht wurden. Kommt der Unterricht bei den Schülern an, gibt es genügend qualifizierte Lehrer, wird der freiwillige Religionsunterricht verdrängt? Nach Ansicht des Bildungssenators Jürgen Zöllner (SPD) hat sich das Berliner Modell bewährt. Den Schülern der 7. und 8. Klasse sei es inzwischen selbstverständlich, über grundlegende Probleme ihres Lebens und der Gesellschaft „offener – und miteinander zu sprechen“. Eben auch mit Andersdenkenden.

Dieser Einschätzung Zöllners wurde bisher nicht widersprochen. Obwohl die Einführung des Ethik-Unterrichts ein Kraftakt war. Im Schnelldurchgang wurden 750 Lehrkräfte ausgebildet, bis zum Ende des Schuljahrs 2008/09 werden weitere zwölf Weiterbildungskurse angeboten. Seit dem Wintersemester 2007/08 gibt es an den Universitäten das Fach Ethik für Lehramtsstudenten. Als religiös und weltanschaulich neutralen Unterricht und von der Überzeugung geprägt, dass es möglich ist, auch ohne religiöse Orientierung vernünftige Kriterien für moralisches Handeln aufzustellen, zu erlernen und weiterzugeben.

Im öffentlichen Streit um das Pflichtfach Ethik, der jetzt als Volksbegehren ausgefochten wird, hat das Bundesverfassungsgericht schon 2007 klar Position bezogen: „Der Landesgesetzgeber darf der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten Parallelgesellschaften entgegenwirken und sich um die Integration von Minderheiten bemühen. Integration setzt nicht nur voraus, dass die religiös oder weltanschaulich geprägte Mehrheit anders geprägte Minderheiten nicht ausgrenzt; sie verlangt auch, dass diese sich nicht selbst abgrenzt und einem Dialog mit Andersdenkenden und Andersgläubigen nicht verschließt.“

Die Karlsruher Richter halten es also für legitim, wenn der Gesetzgeber im Rahmen des staatlichen Erziehungsauftrags einen Ethikunterricht für alle Schüler ohne Abmeldemöglichkeit vorsieht. So wie in Berlin mit der Einführung des Faches Ethik – mit dem Schuljahr 2006/07 ab Klasse 7. Im Ethikunterricht sollen sich die Kinder, unabhängig von ihrer Herkunft, „gemeinsam mit grundlegenden kulturellen und ethischen Problemen des individuellen Lebens, des gesellschaftlichen Zusammenlebens und mit unterschiedlichen Wert- und Sinnangeboten konstruktiv auseinandersetzen.“

Erste Überlegungen, in Berlin einen Werteunterricht einzuführen, gab es schon 2002. Rot-Rot wollte das Pflichtfach – einerseits mit Blick auf die (West-)Berliner Schultradition seit 1949, die den Religionsunterricht als freiwilliges Zusatzangebot der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften begreift. Andererseits unter Berufung auf die Rolle Berlins als multikulturelle Metropole, in der Menschen aus 180 Nationen, organisiert in 130 Religionsgemeinschaften leben. Wobei die Mehrheit der Berliner konfessionslos ist und schon vor Einführung des Pflichtfachs Ethik nur 23 Prozent der Schüler am Religions- oder Weltanschauungsunterricht teilnahmen.

Mit sinkender Tendenz, denn manche Oberschüler melden sich wegen Stundenverdichtung und Schulstress von „Reli“ ab. Besonders für die evangelische und katholische Kirche, denen zurzeit 636 Religionslehrerstellen staatlich finanziert werden, ist das ein Problem. Trotzdem hat sich jetzt eine Initiative „Christen pro Ethik“ gegründet, die das Berliner Modell als beispielhaft für andere Bundesländer lobt. Sollte der Volksentscheid erfolgreich sein, bedeutet das: Die Schulen bieten Ethik als Wahlpflichtfach schon ab Klasse 1 an. Alternativ dazu wird Religionsunterricht ein benotetes Schulfach. Nicht nur für Protestanten und Katholiken, sondern es gibt dann getrennten Unterricht für neun Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, einschließlich Muslime und Buddhisten. In den christlichen Gemeinden geben diese Konsequenzen vielen Mitgliedern zu denken.

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