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Von Stefan Jacobs: Die Torschützer von Neukölln

Seit einem Jahr bewachen Sicherheitsleute Schulen in Berlins Problembezirk. Wer mitmacht, ist begeistert – andere verzichten gern

Der Mann im dunkelblauen Dress braucht ungefähr 1,5 Sekunden von seinem Kabuff zum Eingangstor der Liebig-Schule. „Bitte steigen Sie vom Fahrrad ab!“, lautet seine Ansage, wobei die Betonung auf dem Ausrufezeichen liegt. So einem gehorcht man lieber.

So einem gehorcht auch der Neuköllner Nachwuchs, wie Jörg Gericke zu berichten weiß. Der Konrektor der verbundenen Haupt- und Realschule in der Gropiusstadt hat die Wachleute seit einem Jahr vor der Tür. Damals startete das bundesweit einmalige und höchst umstrittene Projekt, das der Bezirk nach einer ganzen Reihe von Gewalttaten initiiert hatte. Den Vorfällen gemein war, dass die Angreifer nicht der jeweiligen Schule angehörten, sondern von außerhalb kamen und es auf Schüler oder Lehrer abgesehen hatten.

Gericke sieht aus, als käme er gerade vom Harley-Davidson-Treffen, und er mag klare Worte. „Hier traten fast täglich fremde Jugendliche auf, die irgendwas zu erledigen hatten: eine Freundin abzuholen oder jemanden zu verkloppen beispielsweise“, erzählt er. „Meist waren es so drei, vier Leute, manchmal auch mit Kampfhund.“ Während man als Lehrer mit den eigenen Schülern allemal fertig werde, komme man gegen solche Gruppen schwer an. Zumal auch Anrufe bei der Polizei wenig geholfen hätten, weil den Rowdys durch das weithin hörbare Tatütata genug Zeit zum Rückzug blieb.

Seit die beiden Wachleute am Tor postiert sind, „haben wir von außen her keine Probleme mehr“. Und von innen her sind die Verhältnisse auch geordneter, weil die Wachschützer den Stundenplan kennen und jenen Schülern den Weg versperren, die nach der dritten Stunde genug vom Unterricht haben oder sich Stunden bei einem ungeliebten Lehrer ersparen und stattdessen in den Gropiuspassagen bummeln gehen wollen. Gerade sei ein neues Wachschutzduo angetreten. „Die sind genauso toll wie die erste Belegschaft“, sagt Gericke. „Die Zusammenarbeit mit denen ist klasse.“

Man respektiere einander, bestätigt einer der Wachleute. Manche Schüler hätten gemault, dass Kollegen nachsichtiger gewesen seien, „aber ich bin ja nicht hier, um Freundschaften zu schließen, sondern zum Arbeiten“.

Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang (SPD) musste sich anfangs Kritik von der Landesregierung gefallen lassen – Parteifreunde inklusive. Innensenator Ehrhart Körting hatte von „paramilitärischen Einheiten“ gesprochen. Jetzt meldet Schimmang: „Alle beteiligten Schulleiter haben erklärt, dass sie zufrieden sind.“ Der Erfolg resultiert nach seiner Ansicht auch daraus, dass die Wachschützer nur mit Zustimmung der Schulkonferenz geordert werden und man sich regelmäßig mit dem Unternehmen Germania abstimme, das die Ausschreibung gewonnen hatte. Die 500 000 Euro pro Jahr haben man „aus allen anderen Abteilungen zusammengestoppelt“, der Senat steuere nach wie vor nichts bei. Dass das Geld anderswo – etwa beim Ausbau der Ganztagsschulen – besser angelegt wäre, lässt Schimmang nicht gelten: „Mein Glaube an das Gute im Menschen ist nach den Erfahrungen hier extrem zurückgefahren.“ Und zusätzlich zum Geld für den Wachschutz habe das Bezirksamt weitere 750 000 Euro für zehn neue Schulstationen zusammengekratzt, in denen schwierige Schüler sozialpädagogisch betreut werden.

Eine andere Frage ist die, wo die Not endet und der Luxus beginnt. Das Hannah-Arendt-Gymnasium am fast ländlichen Südzipfel von Rudow hat seit September ebenfalls zwei Wachleute. Sie seien nach zwei glimpflich ausgegangenen Vorfällen geholt worden: „Da sind Jugendliche durchs Gebäude vagabundiert und haben sich Opfer gesucht“, sagt Schulleiter Wolfgang Oehmicke, der in seinem dunklen Anzug gut in die aufgeräumte Atmosphäre des Neubaus passt. „Die Wachleute gehören so selbstverständlich dazu wie die Lehrer und der Cafeteria-Betreiber.“ Die Akzeptanz beruhe auch auf ihrem Auftreten: „entschlossen, aber diplomatisch“. Das Motto „Wehret den Anfängen“ sei richtig. Ein Schüler, der rauchend vor dem Eingang steht, drückt es so aus: „Wir brauchen die nicht, aber die stören auch nicht.“

Doch trotz der positiven Erfahrungen leben andere Neuköllner Schulen ebenso gut ohne Aufpasser. „Es war eindeutig richtig, dass wir uns gegen Wachschützer entschieden haben“, sagt Detlef Pawollek, der die Kurt-Löwenstein-Hauptschule leitet. Bei ihm reichten „eine gute Aufsicht“ und eine verschlossene Schultür: Wer rein will, muss klingeln. Das habe Schulfremde ferngehalten. Allerdings sei es auch eine Frage des Schulgeländes. Verwinkelte Objekte bräuchten den Wachschutz wohl eher.

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