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Oksana Klymonchuk, hier noch auf einem Bild an der Glienicker Brücke in Potsdam.

© privat

Von Potsdam nach Kiew: Warum eine Ukrainerin in ihrer Heimat notfalls kämpfen will

Die 39 Jahre alte Oksana Klymonchuk hat in Potsdam gelebt und gearbeitet. Nach dem Überfall Russlands ist sie in die ukrainische Hauptstadt gefahren. Was sie dort jetzt erlebt.

Von Potsdam fuhr sie mit einem neu angeschafften Auto die ukrainische Kriegsregion: Oksana Klymonchuk ist 39 Jahre alt. In der Ukraine studierte sie romano-germanische Philologie und Rechtsprechung, zuletzt arbeitete sie im bekannten Potsdamer Sterne-Restaurant "Kochzimmer". Sie lebte zweieinhalb Jahre in Potsdam, bevor sie nun zurück in ihre von Russland angegriffene Heimat gefahren ist. Das Interview mit ihr führte Henri Kramer am Freitagvormittag (11.3.).

Frau Klymonchuk, viele Menschen fliehen gerade aus der Ukraine. Sie dagegen sind zu Beginn des Kriegs von ihrem Wohnort Potsdam in die Ukraine gefahren. Warum?
Jeder, der kann und keine Kinder beschützen muss, muss in dieser besonderen Zeit in seiner Heimat sein und hier tun, was er kann. Ich habe keine große Erfahrung mit Waffen – aber meine Heimat braucht jede Hand. Auch Freunde und Verwandte, die seit vielen Jahren in unterschiedlichen Ländern der Welt gelebt haben, sind nun zurückgekommen, um sich der Armee anzuschließen. Sie haben keinen Angst und wollen lieber als freie Menschen sterben, statt als Sklaven von Russland zu leben.

Wie können Sie sich vor Ort einbringen?
Ich leiste und koordiniere humanitäre Hilfe, habe auch Medikamente mitgebracht. Bei der Caritas habe ich geholfen, für andere Menschen Lebensmittel und andere Dinge zu holen. Es ist noch sehr kalt hier. Die Regierung kann sich nicht um alles kümmern, jeder muss tun, was er kann. Ich kommuniziere auch mit deutschen Medien, weil alle Menschen außerhalb wissen müssen, was in diesem Krieg passiert. Ich habe schon früher als Journalistin gearbeitet und habe nun wieder angefangen, zu schreiben.

Ukrainer überqueren einen improvisierten Weg unter einer zerstörten Brücke auf der Flucht aus Irpin nordwestlich von Kiew.
Ukrainer überqueren einen improvisierten Weg unter einer zerstörten Brücke auf der Flucht aus Irpin nordwestlich von Kiew.

© dpa

Werden Sie selbst zum Gewehr greifen?
Ja, wenn es nötig wird und Kyiv verteidigt werden muss. Momentan ist es aber noch nicht soweit.

Haben Sie dafür trainiert?
Ein wenig. Allerdings sind an den Trainingsstellen die Warteschlangen lang und Männer werden dort bevorzugt. Allerdings hat mir mein Freund, der im ersten Schutzring am Rande von Kyiv kämpft, gezeigt, wie man ein automatisches Gewehr benutzt.

Ihr Freund ist auch in der Armee?
Er ist in der Freiwilligenarmee. Ich habe wenige Nächte bei ihm übernachtet, das ist erlaubt bei uns – dort hörte man die ganze Nacht die Bomben und Luftabwehrgeschütze. Aber leider haben wir davon zu wenig. Wir brauchen mehr, sonst sterben noch mehr unschuldige Menschen.

Wo leben Sie aktuell in der Hauptstadt?
In meiner alten Wohnung. Im Gegensatz zu Städten wie Mariupol funktionieren Strom, Wasser und selbst die Müllabfuhr hier noch. 

Wie verpflegen Sie sich?
Man kann noch einkaufen, obwohl die meisten Geschäfte geschlossen sind. Apotheken haben ein paar Stunden pro Tag offen, auch manche Supermärkte. Viele Regale sind aber leer, das ist manchmal ein schlimmes Gefühl, weil man auch da sieht, dass etwas nicht in Ordnung ist. Vorgestern gab es wieder Butter, da habe ich mich gefreut. Anderswo in Kiew gibt es schon keine Lebensmittel mehr, und es fehlen viele Hygieneartikel wie Windeln. Es fehlt an allem, das ist eben Krieg.

In Potsdam haben Sie zuletzt im Sterne-Restaurant „Kochzimmer“ gearbeitet. Wie finanzieren Sie nun ihr Leben?
Ich habe mir nach Kriegsbeginn ein Auto gekauft, um hierher zu kommen. Aber ich habe jetzt noch ein bisschen Erspartes. Wie lange das reicht, hängt auch von der Kriegsdauer ab.

Wie hat Ihre Familie darauf reagiert, dass Sie hier hergefahren sind?
Meine beiden Brüder sind inzwischen auch hier. Meine Mutter lebt in Spanien. Sie wollte nicht, dass ich hierher fahre, ich habe es ihr vorher auch nicht gesagt. Inzwischen hat sie sich damit abgefunden, wir rufen uns regelmäßig an.

Sind noch andere Freunde aus Brandenburg mitgekommen?
Gefahren bin ich zusammen mit einer Berlinerin, die zu ihrer Familie in Chernihiv nördlich von Kyiv wollte. Die Stadt ist aber gerade völlig blockiert. Daher wollte sie zuerst in Lviv schießen lernen.

Haben Sie Kontakt nach Deutschland?
Ja, viel. 90 Prozent der Mitglieder der Freiwilligenarmee haben zum Beispiel noch Kontakte ins Ausland und versuchen zum Beispiel, schusssichere Westen oder Helme zu besorgen. Mein Freund hat solche Ausrüstung aus Berlin geschickt bekommen. Unglaublich, dass das funktioniert hat.

Was hat sich noch in der Stadt geändert?
Es werden keinerlei Fotos mehr gemacht oder veröffentlicht, damit niemand sieht, wie wir uns verteidigen wollen. Und: Es gibt keine Straßenzeichen und Hinweisschilder mehr. Alle sind von uns abgenommen worden, zur Verteidigung. Wenn man sich nicht orientieren kann, kann man schnell verloren sein.

Auch in Potsdam gibt es noch einige, die die Kreml-Propaganda glauben, Russland führe keinen Angriffskrieg. Was würden Sie solchen Menschen gern sagen?
Sie können gern in die Ukraine kommen und sich diese Verbrechen ansehen. Bei uns nehmen wir die russischen Fakes gar nicht so wahr, zum Beispiel zu angeblichen biologischen Waffenlabore in der Ukraine. Damit suchen diese Tiere aber nur Ursachen, damit sie uns bombardieren können. 

Mit „Tieren“ meinen Sie die russischen Soldaten?
Sie sind schlimmer. Normale Menschen töten jedenfalls keine unschuldigen Kinder oder schwangere Frauen. Das machen Menschen nicht. Doch die russischen Soldaten machen das gezielt. Um Panik zu verbreiten, schießen sie unschuldige Menschen ab.

Haben Sie gar keine Angst?
Natürlich gibt es Ängste. Vor allem wissen wir nicht, was wir von diesem kranken Menschen im Kreml noch erwarten müssen, ob er chemische Waffen oder Schlimmeres einsetzt. Wir haben Atomkraftwerke, die zerstört werden können. Es geht bei diesem Krieg nicht nur um uns, sondern um ganz Europa. Davor kann man sich nicht wegducken, sonst wird Putin weitermachen – wie bei Hitler, wie bei Stalin. Daher wünschen wir uns auch eine Flugverbotszone gegen die Bombardierungen.

Glauben Sie, dass Sie nach dem Krieg nach Potsdam zurückkehren?
Wenn wir gewinnen, möchte ich eher bei den Menschen hier bleiben und mein Land wieder mit aufbauen.

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