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Gottesdienst im modernen Gewand. Pastor Michael Lefherz (l.) und Gemeindemitglied Alfred Schaper im schlichten Betsaal der Baptistenkapelle. Am 6. März 1960 wurde das Gebäude eingeweiht (o. r.), erbaut aus den Ruinen der Kapelle des Großen Militärwaisenhauses (u. r.).

© Andreas Klaer / Repros: PNN

Von Peer Straube: Kirche der „lebendigen Steine“

Potsdams Baptisten feiern in diesem Jahr gleich zwei Jubiläen – das 100-jährige Bestehen der Gemeinde und das 50-jährige ihrer Kapelle

Von Peer Straube

Innenstadt - Nein, das Klischee einer Kirche erfüllt dieses Haus weiß Gott nicht. Keine goldenen Monstranzen, keine schweren Eichenholzbänke, keine Ölgemälde mit Kreuzigungsmotiv.

Schon das helle, freundliche Innere der Baptistenkirche in der Schopenhauerstraße 8 vermittelt den Eindruck, dass über Kirche und Gott hier anders gedacht wird als in der anderswo üblichen strengen Liturgieabfolge, vom Geist der Jahrhunderte in Beton gegossen. Nur das schlichte Holzkreuz an der Wand und die Orgel auf der modernen Empore lassen den Betsaal erkennen, der sonst von Zweckmäßigkeit bestimmt ist: einfache, variable Bestuhlung, ein Konzertflügel, sogar Videokamera und Beamer. „Wir haben ein bisschen Platzprobleme“, sagt Pastor Michael Lefherz lächelnd. „Mit der Kamera übertragen wir den Gottesdienst in den Eltern-Kind-Raum.“ Und der Beamer wirft für die Gläubigen die Liedtexte an die Wand, auch Teile der Predigt. Kirche im 21. Jahrhundert.

Das ganze Gebäude repräsentiert das Selbstverständnis der Baptisten. Aus dem Griechischen abgeleitet, steht das Wort für „untertauchen“ oder „taufen“. Dieser Akt steht im Mittelpunkt der Evangelischen Freikirche – weil die Taufe erst nach dem aus freiem Willen abgelegten Glaubensbekenntnis durchgeführt wird und damit nicht bei Babys oder Kindern.

Lefherz steht einer Gemeinde vor, die in diesem Jahr gleich zwei Jubiläen feiert. Heute vor 50 Jahren wurde die neue Kapelle eingeweiht. Am 22. Mai kann die Baptistengemeinde Potsdam auf ihr 100-jähriges Bestehen zurückblicken. Obwohl es bereits 1851 die erste baptistische Taufe in Potsdam gegeben hat – die des Kleidermachermeisters Rudolph Bentz – dauerte es noch ein gutes halbes Jahrhundert, bis sich genug Jünger für eine eigene Gemeinde fanden. Die bislang unter der Hoheit der Baptistengemeinde Charlottenburg arbeitenden Brüder und Schwestern durften sich zu Pfingsten 1910 als eigene Gemeinde gründen. Die zunächst 122 Mitglieder verteilten sich auf Potsdam, Nowawes und Brandenburg an der Havel. Nur wenige Monate später wurde in der Yorckstraße 4-5 mit dem Bau der Kapelle begonnen, die am 2. Juli 1911 geweiht und bis Kriegsende genutzt wurde. Fünf Bombentreffer zerstörten das Gotteshaus, nach mehreren Übergangsdomizilen erhielten die Baptisten das Grundstück in der Schopenhauerstraße zugesprochen. Darauf stand eine sakrale Ruine, die Reste der Kapelle des Großen Militärwaisenhauses. Aus ihren Steinen erschufen sich die Baptisten ihr neues Gotteshaus.

Bis heute ist die Zahl der Gemeindemitglieder stabil geblieben. Gut 220 sind es derzeit, die Hälfte davon unter 30, schätzt Alfred Schaper, der bis 1985 ehrenamtlicher Gemeindeleiter war. Vor allem von den Hochschulen profitiere die Gemeinde, sagt er. Pastor Lefherz zählt auch die umfangreiche Jugendarbeit zu den Trümpfen der Baptisten. Neben einer Eltern-Kind- und einer Jugendgruppe gibt es drei Kindergottesdienste, außerdem Hauskreise, wo man Gott im privaten Umfeld dient.

Das vielleicht prominenteste Mitglied ist Michael Hirte, jener Mundharmonikaspieler, der vor gut einem Jahr von den RTL-Zuschauern zu Deutschlands „Supertalent“ gewählt wurde. Früher habe er bei den Gottesdiensten auch Mundharmonika gespielt, erzählt Schaper. Überhaupt ist Musik ein wichtiger Bestandteil des Gottesdienstes. 20 Minuten bestehen aus Liedern und Gebeten, gestaltet von jungen Baptisten. Die Predigt hält Pastor Lefherz „in Zivil“, Priestergewänder spielen bei seiner Kirche kaum eine Rolle.

Auch die Zusammenarbeit mit der Potsdamer Tafel, die auf dem Baptistengrundstück eine Ausgabestelle unterhält, ist für Lefherz Ausdruck dessen, was Baptismus ausmacht – das Fördern sozialer Gemeinschaft. Das Gebäude biete Möglichkeiten für vieles. „Aber das Wesentliche ist nicht das Haus, sondern die Menschen“, betont Lefherz. „Wir sind eine Kirche der lebendigen Steine.“

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