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Von Nicola Klusemann: Das geteilte Kind

Getrennt, aber gemeinsame Sorge im sogenannten Wechselmodell: „Schleichende Kindeswohlgefährdung“

Eva* ist sechs und hat zwei Zuhause. Und doch kein richtiges. Als das Mädchen wenige Monate alt war, trennten sich seine Eltern, behielten aber beide das zuvor vereinbarte gemeinsame Sorgerecht. Eva ist montags und dienstags bei Vater Hans K.* in Babelsberg, Mittwoch bringt er seine Tochter noch in die Schule, nachmittags holt Mutter Doreen M.* sie dann ab und fährt mit ihr nach Potsdam-West. Für die nächsten Tage und über das Wochenende. In der nächsten Woche ist es dann umgekehrt. Dieses sogenannte Wechselmodell hat das Potsdamer Familiengericht festgelegt und damit eine Regelung getroffen, die gerecht sein soll – für die Eltern. Eva aber leidet. Ihre Tochter reagiere verstört auf das ständige Hin und Her, sagt Doreen M. Oftmals habe sie Fieber und Erbrechen, schlafe unruhig. Die Sechsjährige habe kaum Freunde und fasse schwer Vertrauen. Kein Einzelfall. Forschungserkenntnisse aus den USA, nachzulesen im Fachjournal „Familie, Partnerschaft, Recht“, kommen zu dem Schluss, dass selbst bei hoch motivierten und zufriedenen Eltern „etwa ein Drittel der Kinder auch nach mehreren Jahren der Regelung überfordert“ seien.

„Ein Kind braucht besonders in den ersten Lebensjahren einen Lebensmittelpunkt“, sagt Sabine Reisenweber, Sozialpädagogin und im Potsdamer Jugendamt Leiterin des Regionalteams im Sozialraum VI. Auch wenn beide Eltern das Sorgerecht hätten, rate sie in den meisten Fällen dazu, Vater oder Mutter zum Haupterzieher zu bestimmen und dem anderen Elternteil ein Umgangsrecht einzuräumen. In diesem Jahr führte ihr Team rund 350 solcher Beratungen durch. Hans K. aber besteht auf der Fifty-Fifty-Regelung. Selbst wenn Eva krank ist, soll die Mutter sie bringen. Die 41-Jährige hat kein Auto, muss deshalb Bus, Bahn oder Fahrrad für den Kindertransfer nutzen.

Bisher habe sie noch nie gegen den Willen eines Elternteils den wechselnden Aufenthalt eines Kindes bestimmt, sagt Ariane Künzler, Richterin am Potsdamer Familiengericht. Ein Wechselmodell könne nur funktionieren, wenn die Eltern „über erhöhte Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft“ verfügten. Andernfalls, so die Familienrichterin, sei eine große Anzahl von Schwierigkeiten vorprogrammiert.

„Eltern im Wechselmodell kommen immer wieder zur Beratung“, sagt George Papadopoulos, Psychologe und Geschäftsführer der Potsdamer Betreuungshilfe e.V. . Im Kopf der Erwachsenen sei nur das „mathematische Aushandeln der Umgangszeiten“ gerecht. Tatsächlich trage es aber in keinem Fall „zum Wohle des Kindes“ bei, so Papadopoulos. In seinem Verein würden jährlich über 50 Umgangskonzepte mit Elternpaaren vereinbart. In den vier bis sechs Beratungen pro Fall ginge es vor allem darum, einen Lebenskontext zu stricken, der vor allem gut für die Entwicklung des Kindes sei, erklärt der Psychologe. Wechselmodelle seien ganz selten darunter.

Evas Zuhause sind klar getrennt. Die Eltern wollen keinerlei Berührungspunkte. Doreen M. und Hans K. geben im Kampf um ihr Kind nicht nach. „Weil sie dem jeweils anderen nicht zutrauen, das gemeinsame Kind ebenso gut zu umsorgen, wie sie selbst“, sagt Reisenweber. Der stete Umfeldwechsel sei „schleichende Kindeswohlgefährdung“, sagt die Teamleiterin, die auch Spätfolgen fürchtet. Im Sinne des Kindes müsse deshalb schnell ein Kompromiss gefunden werden. Das ist, worauf sie in einer Vielzahl von Beratungsgesprächen immer wieder dringt. Auch ein Umgangsvater oder eine Umgangsmutter könne ein gutes Elternteil sein. Trotzdem würde die Sozialpädagogin ein gemeinsames Sorgerecht dem alleinigen Sorgerecht vorziehen. Seit der Novellierung des Kindsschaftsrechts im Juli 1998 können auch nicht-verheiratete Paare gemeinsame Sorge für ihr Kind übernehmen. In diesen zehn Jahren wurden alleine in Potsdam 3163 solcher Sorgerechtserklärungen beurkundet. Wie viele der Eltern inzwischen wieder getrennt seien, werde statistisch nicht erfasst, sagte Stadtsprecherin Rita Haack.

In dieser Woche ist die letzte Anhörung vor dem Familiengericht. Dann wird endgültig entschieden, wie Eva geteilt wird.

*)Namen von der Redaktion geändert

Nicola Klusemann

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