zum Hauptinhalt

Von Liva Haensel: Eine Schule wird aufgegeben

Die Zehlendorfer Leistikow-Hauptschule schließt – sie hat keinen Weg in die Zukunft gefunden

An der apricotfarbenen Wand hängen Bilder mit gezeichneten Herzen darauf. Elf Stühle stehen gestapelt auf dem Tisch, als würde gleich die Putzfrau das Klassenzimmer betreten, um zu wischen. Aber vier Schüler der 9. Klasse halten noch die Stellung. Sie sitzen auf ihren Plätzen und blicken nach vorne an die Tafel. „Mein Sitz ist hier“, steht auf einem der Holzstühle hinten mit weißem Stift.

Normale Schulen haben 300 bis 600 Schüler. Die Leistikow-Hauptschule an der Krummen Lanke in Zehlendorf hat nur noch 65. Ihre Schließung ist amtlich. In zwei Wochen werden die letzten Schüler das großflächige Gelände mit den hohen Kiefern und dem 20er-Jahre-Bau verlassen. „Ich bin schon ein bisschen traurig darüber“, sagt Julia, die wie viele ihrer Mitschüler an eine der Steglitzer Hauptschulen wechselt – „das ist schon alles geregelt“. Die 15-Jährige mit den hellrot lackierten Fingernägeln und den weißen Ballerinas dreht an ihrem Zopf. Vorbei mit Leistikow. Eine Problemschule macht zu. „Klar war es hier manchmal schwierig mit all der Gewalt“, sagt Julia.

Heute wird Schulleiter Heinz Winkler bei der Abschiedsfeier, die an der Pestalozzi-Schule stattfindet, noch einmal vor das Publikum treten. „Ich werde etwas zu der Schulentwicklung sagen und zu dem Namensgeber“, sagt er. Die Schule wurde 1954 gegründet. Vier Jahre später wurde sie nach Walter Leistikow, dem Landschaftsmaler, benannt. Das ist genau 50 Jahre her: ein Grund zum Feiern trotz der Schließung. Winkler wird anschließend in den Ruhestand gehen. Dass das Sekretariat unbesetzt ist und seit zwei Jahren kein Hausmeister mehr durch die Flure läuft, ist für ihn quasi Leistikower Normalität. „Vor zwei Jahren sollten wir ja schon einmal geschlossen werden“, sagt Winkler.

Der 65-Jährige leitete die Schule seit 1997. Ein Jahr später kam sie in die Schlagzeilen: Winkler hatte die Polizei zu einer Razzia gerufen, weil ihm ein Klassensprecher erzählt hatte, dass es „einen bewegten Drogenhandel um den Schulhof herum“ gäbe. Die Ausbeute war ein Schock für ihn: Die Beamten fanden mehrere Gaspistolen und Messer bei den Schülern. Winkler bedauert, dass die Schule dadurch in der Öffentlichkeit in Verruf geriet. „Wir hatten immer Schüler, die zu uns kamen, weil sie von anderen Einrichtungen bereits verwiesen wurden. Die Klientel sind nun mal Kinder aus problematischen Familienverhältnissen. Aber in der Presse wurde die Leistikow immer nur negativ dargestellt.“ Für die schönen Dinge – die Schulstation mit Sozialarbeitern, die Cafeteria oder die Gärtner-AG – gab es keine Aufmerksamkeit, sagt er.

In guten Zeiten hatte die Leistikow 300 Schüler von der siebten bis zur zehnten Klasse – die meisten seien aus den umliegenden Kinderheimen wie dem „Don Bosco“ am Wannsee in den Hartmannsweilerweg gekommen, berichtet Winkler. Das habe sich dann aber durch die vielen Kürzungen der Jugendhilfe geändert: Die Leistikow-Schule wurde Sammelbecken für gestrauchelte Jugendliche aus der ganzen Stadt. „Die meisten unserer Kinder leiden unter Vernachlässigung“, sagt Winkler über die noch übriggebliebenen 65. Über die Hälfte von ihnen wird vom Sozialamt betreut.

Das galt auch für Ken. Der Zehlendorfer Junge kam aus der sogenannten Thermometer-Siedlung im Süden des Stadtteils. Seine Schulkarriere endete an der Leistikow 2004, weil der damals 16-Jährige ein Mädchen mit einem Mitschüler zusammen in eine Toilette gezerrt und bedrängt hatte. Er flog von der Schule und brachte deren Namen dennoch ein Jahr später wieder in die Schlagzeilen: Ken hatte einen kleinen Nachbarsjungen erst sexuell missbraucht und dann erschlagen. „Zu dem Zeitpunkt war er aber gar nicht mehr an der Leistikow“, sagt Winkler achselzuckend. Doch auch das hätte der Schule wieder einmal einen schlechten Ruf eingebracht.

Eigentlich hatte Winkler große Pläne mit der Schule. Er wollte einen Ganztagsbetrieb mit Mittagessen und Freizeitangebot schaffen. Es gab Gespräche mit der Schulbehörde und dem Bezirk. „Damit hätten wir die Jugendlichen auffangen können“, sagt er. In den Sommermonaten hätten viele Schüler aufgrund ihrer schwierigen familiären Situation auf Parkbänken geschlafen und seien dann morgens früh zur Schule gekommen – ohne geduscht oder gefrühstückt zu haben. „Denen hätte ich gerne Mahlzeiten und ein Badezimmer zum Frischmachen angeboten“, sagt der Schulleiter. Doch Winkler setzte die Pläne nicht durch. „Sicher, wir hätten früher damit beginnen müssen. Jetzt ist es zu spät“, fasst er das Ende der Leistikow-Schule zusammen.

In seinem Büro stehen die Akten noch säuberlich im Regal. Durch die geöffneten Fenster hört man Baulärm und die Geräusche eines Schweißgerätes. Das Grünflächenamt baut Parkplätze für seine Mitarbeiter. Es wird künftig in den Neubau, den Winkler einst für den Ganztagsbetrieb auserkoren hatte, einziehen. Die benachbarte Pestalozzi-Schule wird einen Teil der Schul-Räume übernehmen. Im ersten Stock des Gebäudes bereitet ein Lehrer-Seminar seit einigen Monaten schon seine Referendare auf ihren Beruf vor. „Man hätte hier so viel machen können mit den Schülern. Das ist ein Juwel mit der Lage hier im Grünen. Schade“, sagt eine Lehrerin.

Liva Haensel

Zur Startseite