zum Hauptinhalt

Von Kay Grimmer und Jan Brunzlow: Glatteis auf Gehwegen: Andrang in den Notaufnahmen

Weil viele Potsdamer ihrer Streupflicht nicht nachkommen, haben Ärzte in den Kliniken alle Hände voll zu tun. Alles über Streupflicht, Salz und Haftung

Das Eis erhitzt die Gemüter: Immer mehr Potsdamer wünschen sich ein Ende der Kältewelle, die Kliniken melden so viele Patienten mit Knochenbrüchen wie selten zuvor, die Polizei gibt weiterhin leicht erhöhte Unfallzahlen aufgrund der Witterung bekannt und die Stadtverwaltung hat so viele Bußgelder wegen mangelnder Schneebeseitigung an Hauseigentümer verschickt wie noch nie im Winter. Und ein Ende ist nicht in Sicht: Meteorologen geben keine Entwarnung, die ganze Woche soll es weiter frostig bleiben und gelegentlich wieder schneien.

Selbst akute Notsituationen würden vom städtischen Ordnungsamt und dem Winterdienst nicht mehr bearbeitet, wirft Hubert Schuster der Potsdamer Verwaltung in einem Schreiben vor. Der Anwohner der Brandenburger Vorstadt fordert die Stadt auf, nun auch in den Nebenstraße aktiv zu werden und das Eis auf der Fahrbahn zu beseitigen. Hinweise auf die allgemeine Wetterlage seien nicht gerechtfertigt, da die Hauptstraßen befahrbar und somit Räumkapazitäten frei sind, meint Schuster. Die städtische Ordnungsbeigeordnete Elona Müller verwies dagegen erneut auf die Straßenreinigungssatzung, in der auch der Winterdienst geregelt ist. „Es existiert eine gesetzliche Streupflicht.“ Und zwar für die Grundstückseigentümer. Die Stadt reinigt 360 der mehr als 1000 Straßen und einen Gehweg – den am Hauptbahnhof. Alles andere ist Anliegerpflicht.

Doch selbst Müller sprach von einem Streu-„Patchworkteppich“ in der Stadt. Dabei ist die städtische Satzung eindeutig: Schnee und Glätte sollen werktags zwischen 6 und 20 Uhr, sonn- und feiertags zwischen 9 und 20 Uhr „unverzüglich“ beseitigt werden. „Gerade wenn es während des Tages etwas wärmer wird, lässt sich der Schnee und das Eis relativ einfach entfernen“, rät Müller. Ihr Tipp: Bei der derzeitigen Witterung sollte der Gehweg zwei- bis dreimal pro Tag abgestumpft werden, „und zwar komplett und nicht nur stellenweise.“ Allerdings gilt in Potsdam wie in vielen anderen Städten auch: Salzlösungen kommen lediglich auf die Straße, die teilweise zentimeterdick vereisten Gehwege dürfen nur in „besonderen klimatischen Ausnahmefällen wie Eisregen“ oder an besonders gefährlichen Stellen gesalzt werden. Ansonsten sind nur abstumpfende Mittel wie Splitt oder Granulat erlaubt.

Salz ist ohnehin ein Reizwort beim städtischen Winterdienst. Da die Vorräte zur Neige gegangen sind, wird auch auf den Straßen ein Splitt- Salzgemisch gestreut. In den Speichern der Autobahnmeisterei Rangsdorf ist dagegen genug Salz vorhanden. 700 Tonnen sollen dort liegen, doch sei dieser üppige Vorrat bei den Autobahnmeistereien im Land Brandenburg „nicht die Regel“, sagte Cornelia Mitschka vom Landesbetrieb für Straßenwesen. Dass das Land Berlin oder anderen Kommunen wie Potsdam, die nur noch über geringe Mengen an Salz verfügen, davon etwas abbekommen, sei nicht vorgesehen. Nur in akuten Notsituationen sei das denkbar, sagte Mitschka. Die Eisglätte auf Gehwegen und Nebenstraßen bekommen auch die Ärzte in Potsdams Unfallstationen zu spüren.

Bis zu 20 Sturz-Patienten zählt die Rettungsstelle des Klinikums „Ernst von Bergmann“ täglich. Und auch beim zweiten Notfall-Krankenhaus der Stadt, dem katholischen „St. Josefs“ häufen sich die Zahlen der Knochenbruch-Behandlungen. „Allein am Wochenende hatten wir vier Unterschenkelfrakturen – normalerweise erleben wir so einen Bruch einmal im Monat“, berichtete die Chefärztin der Chirurgie, Christiane Laun. Gut 30 Brüche, vom Sprunggelenk über den Oberschenkel bis zum Handgelenk, behandelte das Chirurgie-Team des „St. Josefs“ in den vergangenen sieben Tagen. „Wir empfehlen vor allem älteren Menschen, lieber in den Mittagsstunden außer Haus zu gehen“, so Laun. Am Morgen und Abend sei es durch das einsetzende Überfrieren noch glatter. „Bei den derzeitigen Umständen ist ein spitzer Stock hilfreich, da sollte die Eitelkeit lieber vernachlässigt werden.“ Beigeordnete Müller riet zudem zu sogenannten Spikes, die man unter die Schuhe schnallen kann.

Im Büro des Potsdamer Rechtsanwaltes Mark Eplinius häufen sich die Klagen gegen die Räum-Muffel. Der Fachanwalt für Verkehrsrecht sieht gute Chancen für Geschädigte: Eigentümer, die ihrer Räumpflicht nicht nachkommen, können auf Schadensersatz verklagt werden, sagte Eplinius. Denn „die Haftungspflicht liegt beim Anlieger“. Selbst wenn der Eigentümer einen Winterdienst beauftragt hat, sei er dennoch weiter in der Haftung. Das gelte auch bei allen öffentlichen Straßen, die nicht von der Stadt und ihrem Winterdienst geräumt werden. Auch dort müssen Eigentümer Schnee schaufeln und Eis bekämpfen. Allerdings gelte dabei: Wenn es offensichtlich glatt ist, müsse in erster Linie der Fahrer aufpassen. Der Bund der Versicherten (BdV) rät daher zu einer privaten Haftpflichtversicherung für Mieter sowie einer Haus- und Grundbesitzerhaftpflicht für Vermieter. Die würde im Schadensfall einspringen.

Das Videowurde uns freundlicherweise von PotsdamTV zur Verfügung gestellt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false