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Hinter Glas. Im Februar 1912 steht Stummfilmstar Asta Nielsen in der Stahnsdorfer Straße vor der Kamera  Der Totentanz ist der erste Babelsberg-Film, Regie führt Urban Gad (links, mit Hut). Das Glasatelier hatte die Deutsche Bioscop im Winter 1911/1912 errichten lassen (rechts).

© Deutsche Kinemathek Berlin

Von Jana Haase: Ein Glashaus für die Diva

Seit 1912 wird in Babelsberg Kino gemacht. Die PNN haben zum Potsdamer „Jahr des Films“ zwölf wichtige Babelsberg-Filme ausgewählt und erzählen ihre Geschichten: Meilensteine auf dem Weg von der Wiege des deutschen Films zum Hollywood der Republik. Heute Teil 1: Der Totentanz

In Berlin traut sie sich nicht mehr auf die Straße. Aus Angst vor den Fans. Wenn sie nicht gerade in Babelsberg vor der Kamera steht, spielt sich ihr Leben „im Auto oder in meinen vier Wänden“ ab, erinnert sich Asta Nielsen in ihrer Autobiografie. Einkäufe muss sie erledigen lassen, beim Theaterbesuch versteckt sie sich hinter dem zugezogenem Vorhang einer Loge. Kommt ein neuer Film mit ihr in die Kinos, wird die Polizei vorher informiert, „damit berittene Truppen das Publikum in Schach halten konnten“. Der Handel mit Bildern, Postkarten und sogar Büsten der Schauspielerin floriert. Als die Nielsen einen Prozess dagegen führt, verliert sie. Sie sei, erklären die Richter, „zum öffentlichen Eigentum“ geworden.

Asta Nielsen gilt nicht nur als erster internationaler Star in der Geschichte des Kinos überhaupt. Die dänische Stummfilmikone ist auch der Star des ersten Babelsberg-Filmes. „Der Totentanz“ begründet 1912 die Geschichte der legendären Studios, einer Traum-, manchmal auch Albtraumfabrik, die heute bereits vier politische Systeme überlebt hat. Gebaut wurde das erste gläserne Filmatelier auf der Industriebrache im Niemandsland vor Berlin für Asta Nielsen, die „Schweigende Muse“.

Heiligabend 1911 steht die Anzeige in der Zeitung. Aufgegeben von der Deutschen Bioscop, einer von mehreren Pionierfirmen im deutschen Filmgeschäft, Sitz ist die Friedrichstraße in Berlin. Es ist die Goldrausch-Ära des Kinos. Produzenten haben die unerklärliche Anziehungskraft der Filmstars gerade entdeckt, eine Kraft, die das Publikum in Massen in die Lichtspieltheater lockt. Das Geschäft mit dem Film verheißt schwindelnde Gewinne. Die Annonce im Berliner Tageblatt ist nicht zu übersehen, reicht quer über die ganze Seite. „Von Neujahr ab“, ist zu lesen, „finden unsere kinematographischen Aufnahmen nur noch statt in unserem eigenen neuerbauten Riesen-Atelier Neubabelsberg, Stahnsdorfer Straße 99-101.“

Knapp sechs Monate vorher hatte die Deutsche Bioscop einen für damalige Verhältnisse gigantischen Auftrag an Land ziehen können: Für 700 000 Reichsmark soll sie acht Filme mit Asta Nielsen in der Hauptrolle produzieren. Er gilt als der bis dahin größte Auftrag in der Geschichte des Kinos.

Erst 1910 hatte die schmale Theaterschauspielerin mit den charakteristisch großen Augen im Alter von 29 Jahren in Kopenhagen ihr Filmdebüt gegeben. Mit „Abgründe“ in der Regie ihres Lebensgefährten Urban Gad landete sie auf Anhieb einen internationalen Erfolg und bekam Angebote aus ganz Europa. Am 1. Juni 1911 wird die „Internationale Film-Vertriebs-Gesellschaft“ gegründet, die insgesamt 24 Nielsen-Filme auf den Markt bringen will. Für Drehbücher und Regie wird ihr späterer Ehemann Urban Gad verpflichtet. Die Bioscop übernimmt das erste Drittel dieser Serie. Und bekommt damit die finanzielle Kraft, endlich den längst nötigen Studio-Neubau anzugehen. Das Berliner Atelier in einem Dachgeschoss in der Chausseestraße umgeben von Wohnhäusern war bereits von der Feuerschutzpolizei kritisiert worden. Filmen ist zu dieser Zeit ein hochexplosives Gewerbe, das Zelluloid-Material der pure Zunder.

Im Herbst 1911 findet Guido Seeber, der technische Leiter und Kameramann der Firma, ein passendes Gelände für den Neubau. In Babelsberg, das damals noch Nowawes hieß, gibt es eine leerstehende ehemalige Kunstblumenfabrik mit viel Platz rundherum und ohne störende Nachbarn. In der Fabrik können nach der Renovierung die Werkstätten, Garderoben, Büros sowie die Entwicklungslabore unterkommen, an der Stirnseite soll das neue Atelier entstehen – ein Glashaus von 15 mal 20 Metern Grundfläche.

Wenn Urban Gad 1921 in seinem Handbuch „Der Film“ die ideale Lage für ein Studio beschreibt, hat man das Neubabelsberger Atelier vor Augen: „Das Terrain muss so gelegen sein, dass es bequeme Verbindungen mit der Stadt hat, damit der Transport von Personen und Dingen so schnell wie möglich von sich gehen kann.“ Damit die Aufnahmen optimal gelingen, brauche es „reichlich Sonnenlicht“. Die Filmfabrik könne daher „nicht in der Mitte einer rauchigen und staubigen Stadt liegen“.

Nowawes also. Und die Behörden spielen mit: Am 14. Oktober 1911 reicht die Bioscop den Bauantrag ein, schon am 3. November kommt die Genehmigung, wie Corinna Müller im Jubiläumsband zum 90-jährigen Bestehen der Babelsberger Studios schreibt. Gebaut wird den harten Winter hindurch, Fotos zeigen das Glashaus mit Richtkrone im Schnee, auf anderen Bildern posieren Bauarbeiter auf den Metallstreben. Es ist das erste Atelier dieser Art in Deutschland. Mit einer kittlosen Spezialverglasung und einer speziellen Strebenkonstruktion soll möglichst viel Licht in das Studio hineingelassen werden.

Denn die Zeit der großen Scheinwerfer ist noch nicht gekommen. Die künstliche Beleuchtung ist in den Anfangsjahren des Films ein Problem, besonders in Babelsberg, wo die Bioscop nur einen Wechselstrom-Anschluss hat und deshalb nicht die nur für Gleichstrom geeigneten leistungsfähigen Quecksilberlampen verwenden kann. Stattdessen nutzt man Bogenlampen, aufgebaut wie ein Schweißgerät: Zwischen zwei Kohlestiften entsteht beim Übersprung der Spannung ein Lichtbogen. Nebenbei aber auch eine enorme Hitze und UV-Strahlung: Um Bindehautentzündungen zu vermeiden, tragen einige Schauspieler dunkle Brillen, die sie erst kurz vor Drehstart abnehmen. Asta Nielsen spricht in ihren Erinnerungen von „unmenschlicher Hitze“, Urban Gad berichtet, wie Schmetterlinge in Scharen zu dem „glühenden Glashaus“ flattern und die Aufnahmen vermasseln.

Für Schmetterlinge ist es noch zu kalt, als am 12. Februar 1912 die erste Klappe in Babelsberg fällt. Bilder aus dem Studio zeigen die Nielsen und ihren Co-Star Fritz Weidemann in theatralischen Posen vor der Kulisse, umgeben von lauter Männern in weißen Kitteln – der damals üblichen Kleidung am Filmset. Bei der noch jungen Filmkunst ist wie in einem Labor viel Chemie im Spiel. Das Glashaus ist mit großen weißen Stoffsegeln gegen das direkte Sonnenlicht abgeschirmt.

Trotzdem soll es einige Tage dauern, bis die Diva und ihr Regisseur mit dem zufrieden sind, was Guido Seeber hier in den Kasten bekommt. „Ich weiß noch, wie anfangs das neue Atelier zum ersten Mal von Asta Nielsen benutzt wurde, da haben die wochenlang probiert, um scharfe Bilder zu bekommen“, erinnert sich der Seeber-Mitarbeiter Karl Hasselmann: „Das war sozusagen unsere Goldgrube, die Nielsen-Filme, und denen“ – gemeint sind Gad und Nielsen – „musste gehorcht werden. Die haben sich bei den Probevorführungen direkt vor die Leinwand gesetzt, und sowie eine kleine unscharfe Bewegung kam: ‚Halt, aufhören, unscharf, noch mal!'' Anderntags wurde die Szene wiederholt, nochmal gedreht, das ging ’ne ganze Weile so.“ Schon bald avanciert das Gespann Seeber-Gad-Nielsen aber zum eingespielten Team, ein Film wird in nur einer Woche abgedreht. „Allerdings unter Aufbietung aller zur Verfügung stehenden Kräfte und nur nach einem im voraus in allen Einzelheiten ausgetüftelten Fahrplan“, berichtet Asta Nielsen. Vor der Kamera scheint ihre Wandlungsfähigkeit unbegrenzt, sie gibt die empfindsame Geliebte, den Backfisch oder die Berliner Dirne, ist Japanerin, Zigeunerin und tritt in Mannskleidern auf. Das Publikum ist begeistert. „Der Gewinn an den Theaterkassen überschreitet Millionen“, jubelt ein Werbezettel für die Kinobesitzer.

„Der Totentanz“ feiert am 7. September 1912, vier Tage vor Nielsens 31. Geburtstag, in Berlin Premiere. 905 Meter lang ist der erste Babelsberg-Film geworden, eine knappe Stunde. Er bekommt Jugendverbot. Wie in ihrem ersten Erfolg „Abgründe“ steht die Nielsen zwischen zwei Männern. Am Ende wird sie einen umbringen.

Das Drama bekommt gemischte Kritiken. Die Schauspielerin wisse zwar „ergreifend alle Nuancen des Seelenlebens zu malen“, die Handlung grenze aber „bedenklich an Hintertreppenliteratur“, heißt es zum Beispiel in „Lichtbild-Theater“ vom 21. November 1912.

Da bauen sie in Nowawes schon am zweiten, noch größeren Glasatelier für die Diva. Die erste Blütezeit für Babelsberg hat begonnen.

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