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Von Henri Kramer: Die Beschimpften

Seit die ViP mehr Sicherheitsleute einsetzt, gibt es mehr Beschwerden und mehr erwischte Schwarzfahrer

Der junge Mann mit der Bierflasche in der Hand ist sichtlich wütend. „Das ist eine Frechheit. Ihr Vögel!“, herrscht er Sonja und Thomas an, während sie seine Personalien aufnehmen. Die Augen der Fahrgäste in der Straßenbahnlinie 92 sind auf die beiden Sicherheitsleute und ihre dunklen Westen gerichtet, nicht jeder Blick wirkt freundlich. Sonja und Thomas – ihre echten Namen nennen sie lieber nicht – kennen diese Situation. Weil manche Menschen sich eben ärgern, wenn sie ohne Fahrschein erwischt werden. Und so bleiben die zwei ruhig, selbst als der Schwarzfahrer sich weigert, den ausgestellten Beleg zu unterschreiben. Zugeschickt bekommt er die Rechnung über 40 Euro sowieso, plus extra Gebühren. „Solche Leute darf man in so einem Moment nicht noch aggressiver machen“, sagt Thomas. Den verächtlichen Blick des Ertappten im Rücken, steigen er und seine Kollegin aus der Bahn.

Ingesamt vier junge Sicherheitsleute im Alter zwischen 20 und 30 Jahren sind an diesem Freitagabend auf der Straßenbahnstrecke zwischen Rehbrücke und Hauptbahnhof im Einsatz. Es nieselt, ist kalt. Und der Ablauf immer gleich. Erst steht das Quartett an der Haltestelle. Sehen sie eine Bahn, teilen sie sich auf. Pro Tür einer und immer zusammen. Sind sie drin und die Türen geschlossen, klingt die Aufforderung kurz und knackig: „Die Fahrkarten, bitte.“

Manche Gesichter in der Bahn wirken in diesem Moment schuldbewusst, Hände nesteln nervös in Jackentaschen herum. „Den Fahrschein muss der Hund gefressen haben“, ist die Ausrede, die Sonja am meisten hört, wenn das Ticket trotz aller Sucherei nicht auftaucht.

Ist die Prozedur des Kontrollierens beendet und möglicherweise ein weiterer Ausweis abgeschrieben, verlassen die Vier die Tram. Wieder kalt, wieder Regen, der kurze Weg zur gegenüberliegenden Haltestelle. Und bald die nächste Bahn. 28 Personen ohne Fahrschein stellt das Quartett innerhalb von vier Stunden. Manchmal seien es 100 pro Tag. Und überraschenderweise zumeist ältere Erwachsene.

Angestellt sind Sonja, Thomas und die anderen bei der Wisag, dem Sicherheitsunternehmen, das der Verkehrsbetrieb in Potsdam (ViP) für seine Image-Kampagne „Mehr Service für Potsdam – sauber, sicher, lebenswert“ angeworben hat. Sie sollen den Kunden ein größeres Sicherheitsgefühl vermitteln. Und eben auch Fahrscheine kontrollieren. Dass ihr zusätzlicher Einsatz sich für das Unternehmen lohnt, belegen die Zahlen: Laut ViP haben sich die Fahrgastzahlen gerade in den Abendstunden erhöht. Dazu erwischt der ViP laut eigenen Angaben 2007 noch 4294 Schwarzfahrer, mit Beginn der Aktion ein Jahr später 9617 – mehr als doppelt so viele. „Sinn der Sache ist, dass alle Fahrgäste einen gültigen Fahrschein haben“, sagt Sonja.

Doch der verstärkte Einsatz bleibt nicht ohne Reaktion. Gab es laut ViP 2007 zwei Beschwerden über Kontrolleure und Sicherheitspersonal, waren es im vergangenen Jahr 17. Eine davon richtete sich auch gegen Sonja. Sie erzählt von einer „Dame“, die sich „eindeutig“ erst in der Bahn eine Fahrkarte am Automaten kaufen wollte, als die Kontrolleure auftauchten. Dass so etwas nicht möglich sei, hätte die Frau nicht akzeptiert, sagt Sonja: „Und wenn sie sich danach noch beschwert – da kann ich wirklich nur den Kopf schütteln.“

So gehören auch solche für Sonja unverständlichen Fälle zur steigenden Zahl der Beschwerden, die inzwischen längst schon die Stadtpolitik interessiert. Zu den Kritikern der ViP-Sicherheitsleute gehört die Wählergemeinschaft Die Andere. In der vergangenen Stadtverordnetenversammlung hat die Gruppe einen Antrag eingebracht, die „Quasi“-Kontrolleure selbst zu überprüfen – besonders ihren Umgangston und ob sie ihre Befugnisse überschreiten. „Verschiedene Bürger haben uns geschildert, dass ihr Auftreten aggressiv und einschüchternd war“, sagt Andere-Chef Lutz Boede. Dazu hätten Kontrolleure befristete Fahrverbote für einzelne Jugendliche erteilt, obwohl diese auf die Straßenbahn angewiesen seien. Im nächsten Ausschuss für Stadtentwicklung am 24. März soll der Antrag diskutiert werden: Boede kündigt schon jetzt an, dass einige Betroffene dann über ihre Erlebnisse sprechen.

Der ViP wehrt sich gegen die Vorwürfe: Die Fahrverbote würden nur für 24 Stunden ausgesprochen und nur in Fällen von Pöbeleien gegen Mitarbeiter oder wegen Vandalismus. Zudem seien Beschwerden über die neuen Sicherheitsleute auch normal, heißt es unisono in dem Verkehrsunternehmen. „Es gibt natürlich Leute, die sich beklagen, wenn sie kontrolliert werden“, hat ViP-Chef Martin Weis erst im Januar bei einer Bilanz-Pressekonferenz erklärt.

Unterschiede gibt es aber bei der Statistik. Auf ein bis zwei Fälle pro Monat schätzt Sonja die Zahl der von ihren Kollegen erteilten Fahrverbote. Stadtwerke-Sprecher Stefan Klotz spricht dagegen von nur fünf Fällen im vergangenen Jahr, Jugendliche seien nicht dabei gewesen. Und die Stadtverwaltung schreibt in einer aktuellen Antwort auf einer Anfrage von Lutz Boede: „Im Rahmen von Fahrkartenkontrollen wurden und werden keine Fahrverbote ausgesprochen.“

Die Wisag-Angestellten selbst fühlen sich von der Kritik angegriffen – und können sie auch nicht recht verstehen. „Es ist traurig, dass so gedacht wird“, sagt Sonja. Ihre Kollegen nicken. Und erzählen über Anfeindungen. Selbst Schubsereien habe es schon gegeben, weswegen die Gruppe immer möglichst gemeinsam aus- und einsteigt. Doch häufiger seien Beleidigungen: „Schlampe ist da noch das Wenigste.“ An diesem Freitagabend allerdings bleibt der Dienst bis auf den wütenden jungen Mann mit der Bierflasche ruhig. Nur ein paar Jugendliche fangen an lautstark zu krakeelen, als das Quartett eine Combino-Bahn betritt: „Haha, die Wisag-Typen.“ Wie in jeder Bahn lassen sich die Kontrolleure die Fahrkarten zeigen. Die jungen Leute feixen darüber. Irgendwann während der zwei Stunden sagt Sonja einen Satz, der ein wenig resigniert klingt: „Wir machen doch auch nur unseren Job.“

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