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Gillis Grafström läuft Musik, schrieb eine Zeitung. 1938 wurde der dreifache Olympiasieger in Bornstedt beerdigt.

© E.-G.-Metz

Von Guido Berg: Sommerwind auf dem Eis

Vera Schieckel und Erhard-Günter Metz über den in Bornstedt begrabenen Eiskunststar Gillis Grafström

Bornstedt - Das hätte Erhard-Günter Metz gern gesehen: Der Bornstedter See tief zugefroren wie im zurückliegenden Winter, doch der Schlittschuhläufer, der auf dem Eis mit Ballett-Eleganz Pirouetten dreht, trägt Hemd, Krawatte, College-Pullover, Blazer und – Knickerbocker-Hosen. Die Aufnahme, die den Bornstedter noch heute fasziniert, stammt aus den 1920er Jahren; sie zeigt den dreimaligen Olympia-Sieger im Eiskunstlauf, den ab 1925 in Potsdam lebenden Schweden Gillis Emanuel Grafström.

Als Mitglied im Förderverein „Freunde des Bornstedter Friedhofs“ hat Metz zusammen mit anderen nun das Grab von Gillis Grafström und seiner Frau Cécile, geborene Mendelssohn Bartholdy, gereinigt und neu bepflanzt. Metz verweist mit seiner Bewunderung für Gillis Grafström auf ein Stück Potsdamer Geschichte, der sich die Stadt durchaus bewusst ist. Erst im vergangenen Jahr erhielt eine neue Straße im Bornimer Baugebiet Gutsstraße den Namen Gillis-Grafström-Straße.

Auf einem Schränkchen in der Berliner Wohnung von Vera Schieckel steht ein Silberpokal mit der Gravur „Championship of the World, Ice Club London, Figure Skating, 5. März 1929“. Vera Schieckel ist die Stieftochter von Gillis Grafström. Der Pokal ist nur einer von vielen, die ihr Stiefvater errang: Gillis Grafström war Eiskunstlauf-Olympiasieger in Antwerpen 1920, Chamonix 1924 und St. Moritz 1928. Zudem siegte er bei drei Weltmeisterschaften: Stockholm 1922, Manchester 1924 und, siehe Pokal, London 1929.

Als Ururenkelin des berühmten Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy stammt Vera Schieckel aus einer Familie mit einer eigenen bewegten Geschichte. Auf dem Schrank bei Vera Schieckel liegt auch ein Buch – „Das Glück der Mendelssohns – Geschichte einer deutschen Familie“ von Thomas Lackmann. Das Glück der Mendelssohns endete 1933. Die Familie war seit langer Zeit evangelisch oder katholisch, doch gemäß der Rassentheorie Hitlers war ihr Großvater Otto von Mendelssohn Bartholdy plötzlich „Volljude“. Er entkam der Ermordung durch die Nazis nur knapp. Der Tag, an dem er zur „Wohnsitzverlagerung“ aus dem Haus Bartholdy in der Potsdamer Bertinistraße abgeholt wurde, ist für die 1923 geborene Vera Schieckel „der schlimmste Tag meines Lebens“. Den Judenstern, den ihr Großvater tragen musste, hat sie heute noch. Bis auf die Tatsachen, dass sie als „25-Prozentige“ nicht Mitglied im nationalsozialistischen Bund deutscher Mädel (BDM) werden durfte, kann sich die bald 80-Jährige nicht an Repressalien erinnern. Potsdam war im positiven Sinn „viel zu reaktionär“, sagt sie, um der Ideologie des österreichischen Gefreiten vollkommen auf den Leim zu gehen.

Und Gillis Grafström? Wie ein frischer Sommerwind wehte der sportliche Schwede in der Kindheit der preußisch-streng erzogenen Vera Schieckel, geborene Oppenheim, und ihrer älteren Schwester. Ihre Mutter lernte den Stockholmer Fabrikanten-Sohn und Architekten in St. Moritz kennen. Dieser trainierte auf dem Eis und es kann gar nicht anders sein, als dass seine Anmut sie für sich einnahm. Die „BZ am Mittag“ schrieb über den Eiskunstläufer: „Gillis Grafström läuft Musik. Es gibt nichts Schwierigeres als Grafströms Leichtigkeit.“ 1928 ließ sich Cécile Oppenheim von Veras Vater, einem Juristen, scheiden. Die Erziehungsmethoden von „Onkel Gillis“ waren viel lockerer, berichtet Vera Schieckel. Sie erinnert sich an wunderschöne Sommerferien in Schweden. „Er war immer lustig und hat uns verwöhnt.“ Zudem ist er künstlerisch veranlagt. Die heutige Berlinerin zeigt ein kleines Malbuch, dass Gillis Grafström für die Kinder mit Zeichnungen füllte. Auf einer Seite steht „Bratwurst geht auch“, daneben hat ihr Stiefvater eine dampfende Wurst gezeichnet. Mal eine Bratwurst am Stand essen war für die höheren Töchter sicher ein ungewöhnlicher Spaß. Auch bei ihren Freundinnen war der lustige Schwede äußerst beliebt. Nur als er mit den beiden Schwestern auf dem Jungfernsee Schlittschuh fuhr, fand dies Vera Schieckel wegen der Kälte „nicht so prickelnd“. Das ist ihr auf dem Foto, das sie zeigt, nicht anzusehen. Gillis Grafström in der Mitte, links und rechts je eines der Mädchen, jeder auf einem Schlittschuh dahingleitend, ein Bein angehoben, gekonnt und elegant.

1938 ist Gillis Grafström 44-jährig gestorben, nur zwei Monate nach der Heirat mit Cécile Oppenheim. Nicht an Blutvergiftung, wie es heute heißt, sondern an einer Herzmuskel-Entzündung, versichert Vera Schieckel, damals 15 Jahre alt. Sein Grab fand er auf dem Bornstedter Friedhof, nur wenig entfernt von dem See, auf dem er für Olympia trainierte und auf dem das Foto entstand, das Erhard-Günter Metz noch heute so beeindruckt: Gillis Grafström in leichtem Schneegestöber, Fuß und Arm nach hinten ausgestreckt, vielleicht gerade die Pirouette beginnend, die er kreierte und die noch heute seinen Namen trägt.

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