zum Hauptinhalt

Von Guido Berg: Die Wahrheit hinter der Oberfläche

Ingrid Betancourt erhielt gestern den hochangesehenen M 100-Sanssouci-Preis der Medien

Vor zwei Monaten und drei Tagen war sie noch im Dschungel an einen Baum gefesselt. Sie habe sich nicht im Entferntesten vorstellen können „zu den Teilnehmern dieser immens wichtigen Konferenz zu sprechen“. Ingrid Betancourt, die bis zu ihrer spektakulären Befreiung sieben Jahre lang von der Guerillabewegung FARC gefangen gehaltene ehemalige kolumbinische Präsidentschaftskandidatin, erhielt gestern den Sanssouci-Medienpreis des M 100 Sanssouci Kolloqiums hochrangiger Medienvertreter. Da sie aus familiären Gründen nicht anwesend sein konnte, übertrugen die Organisatoren um Moritz van Dülmen gestern eine mit starkem Beifall quittierte Videobotschaft Ingrid Betancourts in den Theaterraum des Neuen Palais. „Nur durch Sie“, rief die tapfere Frau den M 100-Journalisten zu, habe sie die Gefangenschaft überleben können, sei sie nach einem gescheiterten Fluchtversuch nicht getötet worden: „Weil die Augen der Welt auf mich gerichtet waren“. Die Präsenz in den Medien sei ihre Lebensversicherung gewesen. „That Price belongs to you“, rief sie: „Ich war vergessen, bis Sie über mich berichteten.“

Ultmatives Entscheidungskriterium, so die Preisträgerin von Paris aus, seien immer Prinzipien und Werte, nicht Interessen. „Aber wenn sie Entscheidungen zu treffen haben – wählen Sie immer das Leben.“ Und: „Tun Sie das auch, wenn es in solch einem Moment Prinzipien gibt, die wichtiger erscheinen.“ Im Kampf gegen den Terrorismus sprach sich Ingrid Betancourt gegen Waffengewalt aus, es gebe eine bessere Waffe, den Dialog.

Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) würdigte Ingrid Betancourt als „unbequeme Kämpferin für die Demokratie“. Sie stehe für eine besondere Kultur im Umgang mit Macht und Freiheit. Platzeck erklärt, Potsdam sei als Stadt der Toleranz und Weltoffenheit ein geeigneter Ort für das M 100-Treffen, das in einer Atmosphäre des Austausches, aber auch des Widerstreits stattfinde. Es seien Medienvertreter aus Ländern dabei gewesen, die sich im Kaukasus als Konfliktparteien gegenüberstehen.

Auf die Berichte über den Krieg in Georgien eingehend sagte Platzeck, „Medien formen das Bild der Welt“. Doch dieses Bild werde verzerrt, wenn Ungewissheit die Nachrichtenlage bestimme. Platzeck fragt: „Welche Wahrheit mag hinter der Oberfläche liegen?“ Und: „Wer ist der Schuldige?“ Das bleibe schwer zu sagen, wichtig sei, dass die Meinungsbildung nicht Spielball von Interessen werde. Der Ministerpräsident, der sich bereits am Vortag beim PNN-Herbstfest für einen qualitativ hochwertigen Journalismus aussprach, erklärte, „auch die westlichen Medien sind nicht davor gefeit, instrumentalisiert zu werden“. Der Journalismus, so Platzeck, solle „sich auf den Kern des Handwerks besinnen“, sich an Fakten orientieren und solide Hintergrundrecherche betreiben.

In den M 100-Debatten selbst drehte sich vieles um den Georgien-Krieg und die Berichterstattung darüber. „Wir sollten nicht Teil dieses Krieges sein“, forderte BBC-Mitarbeiterin Gwyneth Williams. Darum sorgt sich Louis Schweitzer von „Le Monde“ nicht: Die Medienberichterstattung habe keinen Einfluss gehabt auf die Ereignisse in Georgien – alle Parteien hätten getan, was sie ohnehin tun wollten. Realpolitische Akzente setzte Lord Owen in seiner Podiumsrede. Der ehemalige britische Außenminister erklärte, NATO-Mitglied sollten nur Länder werden, deren nationale Grenzen von ihren Nachbarn anerkannt worden sind. Für Georgien schlägt er eher eine baldige EU-Mitgliedschaft vor.

Wenn Ingrid Betancourt persönlich hätte anreisen können, wäre das natürlich „die Krönung gewesen“, erklärte M 100- Organisisator Moritz van Dülmen. Inhaltlich sei dieses vierte Treffen aber „das stärkste gewesen“, wegen der aktuellen Weltlage. Und ja, so van Dülmen, 2009 gibt es das 5. M 100-Treffen.

Zur Startseite