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Alles anders. Am Johannes-Kepler-Platz am Stern war einst die Linke unter Hans-Jürgen-Scharfenberg die stärkste Kraft bei der Oberbürgermeisterwahl. Jetzt haben viele stattdessen anders gewählt.

© Andreas Klaer

Eine Spurensuche in Potsdams Süden: Von Grillhähnchen und Nichtwählern

In früheren Hochburgen im Potsdamer Süden hat die Linke viele Stimmen eingebüßt. Eine Spurensuche.

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Der Duft von Grillhähnchen weht über den Platz. Der Wagen, in dem das Geflügel verkauft wird, steht gleich neben dem Rewe am Johannes-Kepler-Platz am Stern. An diesem Montagnachmittag sind viele unterwegs, die ihre Einkäufe erledigen und noch schnell ein Hähnchen essen. Sie nehmen kaum Notiz von den vielen Wahlplakaten, die hier einen Tag nach der Oberbürgermeisterwahl noch hängen. Auf den meisten ist das Konterfei von Martina Trauth zu sehen. Die parteilose Kandidatin, die für die Linke nun in der Stichwahl antritt, hätte es hier eigentlich leicht haben sollen. Denn der Wahlbezirk 7106 gilt als Hochburg der Linken. Hans-Jürgen Scharfenberg holte hier bei der Oberbürgermeisterwahl 2010 61,8 Prozent der Stimmen. Trauth bekam am Sonntag nur 27,9 Prozent. Fragt man die Besucher des Hähnchenstandes, ob sie am Sonntag gewählt haben, heißt es sehr oft: „Keine Zeit“ oder „Nein, es hat geregnet.“

"Allet Lug und Trug"?

Christiane Katholing arbeitet im Kiosk an der Ecke. Die 55-Jährige wohnt zwar nicht Am Stern, kennt aber viele aus der Gegend, die bei ihr Zigaretten, Zeitungen und Kaugummis kaufen. „Ja, hier wird eigentlich traditionell links gewählt“, sagt sie. „Der Scharfenberg kommt ja von hier.“ Aber jetzt habe es einen Umschwung gegeben. „Das hat mit Diana Golze zu tun“, sagt Katholing. Der Lunapharm-Skandal um gestohlene Krebsmedikamente, das habe hier viele bewegt. Und das sei der Grund, warum die Linke an Boden verloren hätte. „Ich war gar nicht wählen“, ruft ein Kunde dazwischen. „Is’ eh allet Lug und Trug!“

Draußen, auf dem Platz vor der Sparkasse erzählt Ilona, 55, dass ihr Martina Trauth sympathisch sei. Dass die Stimmen der Linken in ihrem Wahlbezirk so eingebrochen seien, überrascht sie. „Das kann nicht sein, mein ganzer Block hat doch Frau Trauth gewählt!“ Sie finde es gut, dass sich die Linken für sozialen Wohnungsbau einsetzen. Ilona selbst ist seit zwei Jahren auf der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung. Denn davon gebe es zu wenig, „weil die Ausländer die alle kriegen“. Die AfD sei für sie keine Wahlalternative gewesen, „weil ich nicht als Einzige aus dem Block die AfD wählen wollte“.

Von Martina Trauth hätten vor dem Wahlkampf viele noch nie etwas gehört, sagt Erika Fuchs, die in der Waldstadt II in Richtung Tramhaltestelle unterwegs ist. „Den Scharfenberg, den kannte hier jeder, der war eine echte Koryphäe.“ Fuchs wohnt in Waldstadt II, hier holte die Linke vor acht Jahren bei der Oberbürgermeisterwahl 47,9 Prozent der Stimmen – diesmal waren es 26,2 Prozent. Trauths Ideen hätten ihr gefallen, „aber ob sie sich durchsetzen könnte? Da bin ich mir nicht sicher.“ Also hat sie lieber grün gewählt. Wegen des vielen Sperrmülls und Drecks. 

Kritik an Mike Schubert und der SPD

Die SPD, für die sie früher gestimmt hat, sei nicht infrage gekommen. „Dass der Buga-Park immer kleiner wird, dafür mache ich den Oberbürgermeister verantwortlich“, sagt sie. Auch Janine, mit ihrer Tochter im Waldstadt-Center unterwegs, ist von der SPD und Sozialdezernent Mike Schubert enttäuscht. Sie hatte überlegt, ihn zu wählen, „aber dann kam das mit der E-Mail heraus, das war ein K.O.-Kriterium“. Sie meint die an die Öffentlichkeit gelangte Mail des Jugendamtschefs Reinhold Tölke zum Thema Kita-Beitragsrückzahlung (PNN berichteten). Also habe sie die Vorschläge aller Kandidaten zur Rückzahlung verglichen und danach entschieden. Für wen, sagt sie nicht.

Auch in Drewitz bekam die Linke 2010 die Mehrheit der Stimmen (45,4 Prozent), bei der Wahl am Sonntag konnte SPD-Kandidat Schubert 31,6 Prozent der Wähler überzeugen. In der Gartenstadt bekam aber auch AfD-Kandidat Dennis Hohloch 19,5 Prozent der Stimmen. Das erklärt sich Erika Schmidt vor allem mit der Bundespolitik – der Ärger um Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen und die Flüchtlingspolitik, das habe viele Menschen zur AfD getrieben. Die 63-Jährige, die am Nachmittag im Havel-Nuthe-Center ihre Einkäufe erledigt, wohnt seit vier Jahren in dem Stadtteil, der als Problemviertel gilt. Schmidt hat für Mike Schubert gestimmt. Soziales Wohnen und soziales Miteinander sei ihr wichtig an der Politik. Für sie erfüllt das auch Martina Trauth. Für die Stichwahl will sie ihre Stimme noch einmal genau prüfen. 

AfD komme nicht in Frage

Dass sie in der Stichwahl SPD wählt, ist für eine 33-Jährige, die vorbeikommt, vollkommen klar. Sie will ihren Namen lieber nicht verraten. Die AfD zu wählen, käme für sie auf keinen Fall in Frage. Dass aber viele für Hohloch gestimmt hätten, könne sie verstehen, schließlich lebten in Drewitz viele Ausländer, „die sich nicht benehmen können“, sagt sie. „Wir haben hier so ein schönes Drewitz bekommen, aber überall liegt Müll“, schimpft sie. Und die Spielplätze würden von ausländischen Jugendlichen belagert. Das könne nicht sein. Der Ausländeranteil in dem Stadtteil lag 2017 bei 11,5 Prozent – das liegt über dem städtischen Schnitt von 8,3 Prozent.

Auch am Schilfhof am Schlaatz sind an diesem Nachmittag viele Nichtwähler unterwegs. Nicht einmal 24 Prozent der Wahlberechtigten von hier sind wählen gegangen. Vor der Apotheke steht eine Gruppe Jugendlicher und spielt Pokémon Go auf dem Handy. Die meisten von ihnen waren nicht wählen. „Ich war arbeiten“, sagt einer und blickt kurz vom Bildschirm hoch. Briefwahl? „Da habe ich nicht drangedacht.“ Politik interessiere sie nicht besonders, sagt eine Spielerin. „Ich wollte wählen, aber dann war ich nicht da. Aber es ändert ja eh nichts.“ Diesen Eindruck hat auch ein Rentner, der gerade beim Obsthändler ein paar Orangen gekauft hat. „Es lohnt sich nicht zu wählen“, sagt er. Mit dem Sozialstaat habe er abgeschlossen, zu sehr frustriere es ihn, dass er nach 50 Beitragsjahren nicht genug Rente zum Leben hat und Grundsicherung zusätzlich braucht. „Der Schubert ist der Schlimmste, der macht doch den gleichen Trott nur weiter“, sagt er. „Wozu soll ich wählen? Sie glauben ja wohl nicht, dass meine Stimme überhaupt gezählt wird“, ist ein älterer Mann überzeugt, der mit einem Bier auf einer Bank sitzt. „Das war doch vorprogrammiert, dass es der Schubert wird“, glaubt sein Nebensitzer. Und wenn er dann noch höre, dass Hans-Georg Maaßen befördert wird, „wenn er es verkackt hat“. Deshalb habe er AfD gewählt.

"Hier ist der Brennpunkt"

So wie Sandra und Michael. „Wir sind AfD-Wähler, das brauchen wir nicht zu verstecken“, sagen die Schlaatzer, die mit ihren zwei Töchtern vor dem Rewe unterwegs sind. „Die Ausländer nehmen hier überhand“, sagt Sandra. Sie pöbelten herum, ein älterer Mann im Viertel sei verprügelt worden, einmal sei sie auch beleidigt worden. „Hier ist ein Brennpunkt, aber die netten Mitbürger sind das Hauptproblem“, sagt sie mit ironischem Unterton. Mit den Oberbürgermeisterkandidaten haben sich die beiden weniger beschäftigt, „aber ich weiß schon ungefähr, was der Hohloff für einer ist“, sagt Michael. Dass er den falschen Namen nennt, merkt er nicht.

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