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Die Alte Wache ist heute ein chinesisches Restaurant.

© Andreas Klaer

Von Erhart Hohenstein: Wie aus Wache Wachtel wurde

Gastwirt Rudi Strauß foppte die sozialistische Obrigkeit / Ein Zeitzeugenbericht

Rudi Strauß hat Wende und Wiedervereinigung nicht mehr erlebt. In hohem Alter verstarb er im Sommer 1989. Rudi Strauß war Gastwirt, also flocht ihm die Nachwelt keine Kränze. Doch er hat es ganz gewiss verdient, dass zu seinem 20. Todestag an ihn erinnert wird. Als ein Potsdamer Eulenspiegel foppte er Ende 1950 die sozialistische Obrigkeit auf eine Weise, die noch nach Jahren nicht nur seine Gäste zum Lachen brachte. Und das kam so: Rudi und Gertrud Strauß hatten die Gaststätte „Heidelberger Fass“ an der Ecke Linden- und Bäckerstraße übernommen. Den Allerweltsnamen änderten sie in „Zur Alten Wache“, steht das Haus doch gegenüber der Rückfront der von Andreas Ludwig Krüger 1795 bis 1797 errichteten Stadtwache. Dort saß zu DDR-Zeiten der Landes(Bezirks)vorstand der Ost-CDU, heute wird das Baudenkmal von der Commerzbank genutzt.

Der schlüssige neue Name „Zur Alten Wache“, dazu Lange Kerls als Lampenträger, fanden allgemein Zustimmung. Doch am 12. Oktober 1950 ereilte Rudi und Gertrud Strauß ein Schreiben des damaligen Oberbürgermeisters Walter Paul, wonach sowohl der Gaststättenname als auch die lampentragenden Grenadiere zu entfernen waren. Beide seien „Symbole des preußischen Militarismus“. Nach einer schlaflosen Nacht kam dem pfiffigen Rudi Strauß ein grandioser Einfall. Er fügte zwei schmale Blechstreifen hinter h und e des Wortes Wache ein, das dadurch zur „Wachtel“ wurde. Verblüfft und nach Aufklärung durch den Wirt äußerst erheitert lasen die Stammgäste, dass ihr Lokal nun „Zur Alten Wachtel“ hieß. Einzig Leidtragende war hinter der Theke die ansehnliche Wirtsfrau. Sie wurde von Spaßvögeln anzüglich gefragt, wer denn mit der „alten Wachtel“ gemeint sei.

Nach manch vergeblicher Bemühung gelang es erst nahezu 14 Jahre später, den alten Namen zurückzuholen. Da war Oberbürgermeister Paul längst in den Westen gegangen. Das Ehepaar Strauß fand im Leiter des Fontanearchivs, Joachim Schobeß, einen Fürsprecher. In wohldurchdachten Worten erläuterte der im Behördenumgang erfahrene Archivar der nun von Oberbürgermeisterin Brunhilde Hanke geführten Administration, dass die Stadtwache als Wachlokal, das es allerorten gab, nichts mit dem preußischen Militarismus zu tun hatte. Also stieg Rudi Strauß mit amtlicher Genehmigung auf die Leiter und nahm die beiden Metallstreifen wieder ab.

Aber nicht nur durch den Wechsel zwischen Wache und Wachtel ist das Eckhaus Lindenstraße 44 in die Stadtgeschichte eingegangen. Es war 1770 von keinem Geringeren als dem Erbauer des Neuen Palais, Carl von Gontard, für die fast ebenso berühmten Bildhauer, die Gebrüder Räntz, errichtet worden, die Sanssouci und Potsdam mit zahlreichen Bildwerken geschmückt haben. Am 25. Mai 1948 wurde die Gaststätte dann gar zum Gründungsort der National-Demokratischen Partei Deutschlands (NDPD), eine der vier neben der SED existierenden Blockparteien. Dazu hatte sich im Vereinszimmer „eine Gruppe national und demokratisch gesinnter Deutscher zusammengefunden“, heißt es in der 1969 veröffentlichten Parteigeschichte.

Zum 40-jährigen Bestehen der NDPD im Mai 1988 wurde an dem Haus eine Gedenktafel angebracht; dazu sollte ich einen Artikel schreiben. Da die ersten Seiten unserer Zeitung aus diesem Anlass mehrheitlich aus offiziellen Lobhudeleien bestanden, kam ich auf die Idee, die Anekdote vom Wechsel zwischen Wache und Wachtel zu erzählen.

Mit Rudi Strauß, seine Gaststätte gehörte längst zur Volkseigenen Handelsorganisation Gaststätten (HOG), plauderte ich im Mai 1988 darüber bei einigen Bieren im Innenhof seines Hauses. Zwischen uns stand die Holzkiste, in dem er die Buchstaben der Alten Wache und die beiden Metallstreifen aufbewahrt hatte. Den Artikel fanden wir beide ganz lustig. Von Seiten der NDPD-Führung allerdings setzte es für die „respektlose Darstellung“ eine Rüge.

Die Metallstreifen, mit denen Rudi Strauß aus der Wache eine Wachtel machte, sind wohl verloren gegangen. Die Gedenktafel für die NDPD-Gründung aber hängt noch heute an dem Gebäude. Ehe sie zerstört oder wegen des Metallwerts entwendet wird, sollte sie vom Potsdam-Museum ins Depot genommen werden.

Erhart Hohenstein

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