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Von Erhart Hohenstein: Babelsberger Mechaniker baute Weltraumrakete Eine Autowerkstatt konstruierte 1929 einen Flugkörper für Fritz Langs „Frau im Mond“

Als Babelsberg 1939 nach Potsdam eingemeindet wurde, brachte es in die neue Ehe eine ungewöhnliche, kaum glaubhaft erscheinende Episode ein. Doch die Geschichte stimmt: Das damalige Nowawes war zehn Jahre zuvor, 1929/30, eher zufällig zu einer kleinen, aber nicht unbedeutenden Durchgangsstation auf dem Weg zur Weltraumfahrt geworden.

Als Babelsberg 1939 nach Potsdam eingemeindet wurde, brachte es in die neue Ehe eine ungewöhnliche, kaum glaubhaft erscheinende Episode ein. Doch die Geschichte stimmt: Das damalige Nowawes war zehn Jahre zuvor, 1929/30, eher zufällig zu einer kleinen, aber nicht unbedeutenden Durchgangsstation auf dem Weg zur Weltraumfahrt geworden. Dies hatte 1988 PNN-Leser Joachim Rodewald herausgefunden.

Er legte der Redaktion ein Foto aus der Autowerkstatt seines Onkels Paul Förster in der Lützowstraße (heute Dieselstraße) 6 vor. Mit seinem Bruder Erich, dem arbeitslosen Klempner Max Pharao aus der Laubenkolonie Am Horstweg und Heinrich Rodewald, dem Vater des PNN-Lesers, lässt sich der Mechanikermeister nicht etwa an einem Kraftwagen ablichten, sondern an einer Rakete.

Eigentlich sollte ein solcher übermannshoher Flugkörper zur Premiere des vom berühmten Ufa-Regisseur Fritz Lang gedrehten utopischen Films „Frau im Mond“ als originelle Werbung gestartet werden. Darin fliegt die Hauptdarstellerin Gerda Maurus mit ihrer Crew zur Rückseite des Erdtrabanten. Lang legte Wert auf eine wissenschaftlich fundierte Darstellung der technischen Details von Start, Flug und Landung sowie der Mondoberfläche. Als technischen Berater engagierte er Professor Hermann Oberth, damals bescheiden als Gymnasiallehrer in seiner Heimat Siebenbürgen (Rumänien) angestellter Physiker und Pionier der Raketenforschung. Oberth, der in Neubabelsberg eine kleine Wohnung nahm, sollte die als Reklame gedachte Rakete konstruieren. Dafür stellten die Ufa-Presseabteilung und Fritz Lang persönlich je 5000 Reichsmark zur Verfügung. Wie der Direktor des in Feucht bei Nürnberg eingerichteten Hermann-Oberth-Raumfahrtmuseums, Karlheinz Rohrwild, recherchiert hat, war der Raketenbau jedoch keineswegs nur ein Werbegag. Oberth stellte zahlreiche Versuche zur Konstruktion, zum Antrieb und zur Form der Rakete an. Dabei entwickelte er die so genannte Kegeldüse, den ersten Raketenmotor für flüssige Brennstoffe. Bei den Versuchen kam es in den Filmkulissen auf dem Ufa-Filmgelände Anfang September zu einer Explosion. Umherfliegende Schlackenwolle (Isolationsmaterial) verletzte Oberth an beiden Augen, so dass sein Augenlicht nur durch eine Notoperation in der Charité gerettet werden konnte. Dennoch nahm er bereits zwölf Tage später die Arbeit an einer neuen Rakete auf. Entgegen wiederholten Ankündigungen der Ufa konnte sie aber zur Filmpremiere am 15. Oktober 1929 nicht aufsteigen und explodierte schließlich Ende Dezember bei einem Versuchsstart in Stettin.

Hermann Oberth war anwesend, hatte sich zu diesem Zeitpunkt aber bereits weitgehend aus dem Projekt zurückgezogen und die Fortführung seinem Mitarbeiter Rudolf Nebel überlassen. Diesem gelang es, vom Reichswehrministerium 5000 Reichsmark zu erhalten. Dafür sollte er eine startfähige Rakete vorweisen, doch die stand ihm nach der Explosion in Stettin nicht mehr zur Verfügung. Er musste also kurzfristig eine neue bauen lassen. Dazu wandte er sich an die Nowaweser Werkstatt von Paul Förster, der die Nobelwagen einiger Ufa-Filmstars reparierte. Der Raumfahrthistoriker Rohrwild geht davon aus, dass die Rakete in Nowawes völlig neu gebaut wurde. Dazu sei Paul Förster durchaus imstande gewesen, „da die zu fertigenden Drehteile keineswegs kompliziert waren“. Klempner Pharao übernahm die Montage.

Oberth konnte sich bis an sein Lebensende an die Zusammenarbeit mit den Babelsberger Handwerkern erinnern. Dies geht aus einem Brief hervor, den der 94-Jährige 1988 aus seinem letzten Wohnort Feucht bei Nürnberg als Antwort auf eine Anfrage an Joachim Rodewald schrieb. „Die Rakete ist wahrscheinlich nie geflogen“, mutmaßt er darin. „Ich musste im Frühjahr 1930 nach Siebenbürgen zurückkehren, weil ich eine Frau und vier Kinder zu ernähren und kein Geld mehr hatte. Die Rakete wurde 1929 gebaut, bestand aus Elektrometall und sollte Benzin und flüssige Luft verwenden. Bahnbrechend ist sie für die Raketentechnik nicht geworden, denn was nachher in Kummersdorf und Peenemünde ausprobiert wurde, stützte sich auf die Aggregate, die unter Dr. von Braun entwickelt worden sind. Die meinen Vorschlägen allerdings auch sehr ähnlich waren.“

Der Brief ist ein eindrucksvolles Zeugnis der Bescheidenheit des später „Vater der Raumfahrt“ genannten Mannes. In seine Versuche hatte Oberth 1929 unter anderen den Studenten Wernher von Braun einbezogen. Er konstruierte später nicht nur die V2, die im Zweiten Weltkrieg gegen England eingesetzt wurde, sondern auch die amerikanischen Weltraumraketen. Eine im Brief an Rodewald geäußerte Vermutung bestätigte sich: Die Nowaweser Rakete ist nie geflogen. Dass sie 1945 nach Moskau geschafft und für das sowjetische Raumfahrtprogramm genutzt wurde, bleibt umstritten. Eines allerdings ist nachgewiesen: Einer der Assistenten Oberths, Alexander Borissowitsch Scherschewsky, hatte von Anfang an dem Militärischen Nachrichtendienst der Roten Armee detailliert über die Raketenversuche berichtet.

Erhart Hohenstein

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