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Von Astrid Priebs-Tröger: Große Neugierde in Klein Glienicke

Der Unesco-Welterbetag lockte mit der „schönsten Laube Berlins“ und Potsdams kleiner Enklave

Klein Glienicke - Klein Glienicke ist eine Reise wert. Zwar zogen den ganzen Sonntag über die Glienicker Brücke graue Regenwolken, aus denen es immer mal wieder tröpfelte. Das schreckte jedoch weder die Läufer des zeitgleich stattfindenden Schlössermarathons noch die zahlreichen Spaziergänger ab, die sich gegen Mittag im hügeligen Park Glienicke einfanden. Hier eröffnete nach erfolgter Restaurierung, zum Auftakt des Programms des diesjährigen Unesco-Welterbestättentags, Stiftungsdirektor Hartmut Dorgerloh die „schönste Laube Berlins“. Mit großer Neugierde verfolgten fast 100 Besucher die Ausführungen zur Bau- und Kulturgeschichte dieses exponierten Aussichtspunktes gleichen Namens auf der Berliner Seite der Glienicker Brücke.

Denn für viele ist die „Große Neugierde“, die sich Prinz Carl von Preußen nach Entwürfen Schinkels erbauen ließ, eine große Unbekannte. Selbst Dorgerloh bekannte, dass er sie vor der Maueröffnung noch irgendwo in Westberlin verortete, da sie vom Osten aus gar nicht zu sehen war. Jetzt hingegen sei sie als „Hingucker“ ein starker Akzent in der Landschaft und ermöglicht als „Ausgucker“ sowohl einen Blick nach Potsdam und Babelsberg, als auch nach Sacrow und in die wunderbare Seenlandschaft zwischen Berlin und Potsdam. 400 000 Euro hat es gekostet, in den vergangenen drei Jahren unter anderem die stark verschwärzten Sandsteinsäulen mit einer weißen Grundierung zu überziehen und mit Kreide zu überfassen. Neu sind auch die Texttafeln, die entlang des Weges im Pleasureground des Parkes Glienicke auf dem Weg zur Großen Neugierde mit der Geschichte des Bauwerkes vertraut machen.

Im zweiten Bereich der Exposition, die sich im prächtigen Aussichtspavillon selbst befindet, kann der heutige Besucher nachvollziehen, was bis 1938 von hier aus alles zu sehen war. Denn im Verlauf der wegen Straßenerweiterung nötigen Versetzung ist der berühmte Drei-Kirchen-Blick auf Potsdam ebenfalls längst Geschichte. Was in diesem Fall wirklich schade ist, hat hingegen den Ort Klein Glienicke aus seiner totalen Abgeschlossenheit – der Ort war nur über die schmale Brücke über den Teltowkanal von Potsdam aus erreichbar – befreit. Vor zwanzig Jahren fiel die Mauer, und Klein Glienicke als Teil der Preußischen Arkadien war endlich wieder ohne Passierschein und für jedermann erreichbar. Ganz unterschiedliche Lebensgeschichten und Schicksale präsentierte der Glienicker Autor Jens Arndt in seinem soeben erschienenen Buch „Glienicke. Vom Schweizerdorf zum Sperrgebiet“, das er am Nachmittag im Schloss Glienicke vielen Interessierten vorstellte.

Vom Schweizer Kunstdorf mit alpiner Architektur und Landschaft, über die Geschichte als Prominentenwohnsitz für reiche Berliner bis hin zum DDR-Alltag des total eingezäunten Ortes reichten seine überaus lebendigen Ausführungen. Inklusive der letzten 1973 gelungenen Tunnelflucht zweier Familien und der „Vertreibung“ eines langjährigen Einwohners durch eine westdeutsche Erbengemeinschaft nach dem Mauerfall. Zeitzeugen konnte man am Sonntagnachmittag auf den Straßen Klein Glienickes auf Schritt und Tritt begegnen. Entweder, indem man sich einer der zahlreichen Führungen zu den ehemaligen Grenzwegen, zum künstlich angelegten Böttcherberg oder zur Kapelle, dem Symbol der Wiedervereinigung, anschloss, oder einfach den zahlreichen Spaziergängern zuhörte.

Wie Frank-Peter Färber, der von 1954 bis 1970 hier direkt neben Pfarrer Strauss lebte, und als Kind den Ort wunderbar ruhig fand und das Herumtoben dort sehr liebte. Außerdem erzählte er, dass die westdeutschen Grenzer ab und zu Bananen oder Schokolade über die Mauer warfen, die die Jungen trotz der Giftwarnungen ihrer Eltern heimlich und mit Genuss verspeisten.

Für kulturelle und kulinarische Genüsse war am Unesco-Welterbetag ebenfalls gut gesorgt. Ein reichhaltiges Bühnenprogramm auf dem Freigelände des Restaurants „Bürgershof“ lockte sowohl Jazzliebhaber als auch solche alter Musik an. Für die Jüngsten gab es Märchenstunden und Mitmach-Geschichten und zum Abschluss einen Abendgottesdienst in der Kapelle Klein Glienicke. Die Besucherströme zeigten, dass das Interesse an Bau-, Denkmal- und Alltagsgeschichte(n) in Potsdam und Berlin sehr lebendig ist, und Klein Glienicke nicht nur einmal im Jahr eine Reise wert ist.

Astrid Priebs-Tröger

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