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Marita Erxleben im Dienst in der Notaufnahme des Klinikums "Ernst von Bergmann".

© privat

Vom Tanzsaal in die Notaufnahme: Eine Künstlerin an der Corona-Front

Potsdam kennt sie als Tanzlehrerin und Choreographin. Doch jetzt arbeitet Marita Erxleben in der Notaufnahme des Bergmann-Klinikums. In der schweren Zeit will sie dort helfen - es ist auch eine Rückkehr.

Potsdam - Die bekannte Potsdamer Choreografin, Regisseurin und Tanzlehrerin Marita Erxleben hat einen neuen Job. Statt Kindern das Tanzen beizubringen oder künstlerische Projekte auszuhecken, arbeitet sie jetzt im städtischen Klinikum „Ernst von Bergmann“. Und zwar an vorderster Front: in der zentralen Notaufnahme. 32 Stunden pro Woche.

Hier gibt sie Infusionen, misst den Blutdruck, assistiert Ärzten. Macht natürlich auch Corona-Abstriche. Ohne das Virus wäre sie nicht hier. Ohne das Virus hätte sie als Künstlerin mehr als genug zu tun, einerseits. Und andererseits: Ohne den Hilferuf des Klinikums, den sie im Dezember in den PNN las, wäre Marita Erxleben nicht auf die Idee gekommen, ihre medizinischen Kenntnisse, überlagert von einer jahrelangen Tätigkeit in einem völlig anderen Feld, wieder wach zu rufen.

Sie arbeitete einst auf der Frühchenstation

Marita Erxleben ist gelernte Kinderkrankenschwester. Von 1982 bis 1985 hat sie genau hier, am Bergmann-Klinikum, schon einmal gearbeitet. Auf der Frühchenstation. Damals wollte sie Kinderärztin werden. Es kam dann anders, der Wunsch, künstlerisch zu arbeiten, war stärker. „Trotzdem hat die Arbeit meinen Blick auf die Welt nachhaltig verändert“, sagt Marita Erxleben. Auch auf die Kunst. Wer einmal gesehen hat, wie beschwerlich der Weg ins Leben sein kann, wie angreifbar und widerständig zu früh geborenes Leben ist, weiß, wie verletzlich der Mensch ist. Ein Leben lang. Und kann vielleicht gar nicht anders, als es zu schützen. Marita Erxleben sagt durchaus: zu lieben. „Ich liebe den Menschen, das Leben, das ist einfach so.“

Marita Erxleben, die Künstlerin und Choreografin, vor dem Hans Otto Theater.
Marita Erxleben, die Künstlerin und Choreografin, vor dem Hans Otto Theater.

© Andreas Klaer

Schon damals, in den 1980er-Jahren, war der Wunsch zu helfen wesentlicher Impuls für Marita Erxleben. Dieser Impuls ist geblieben. „Ich weiß gar nicht, wo das herkommt, das Bedürfnis ist ganz tief drinnen einfach da.“ Dazu gehört, dass sie mit ihrer Tanzschule in Zeiten der Corona-Pandemie online Angebote für die Tanzschüler schafft, dass sie zu Beginn der Pandemie mit spontanen Tanz-Aktionen durch das Potsdamer Stadtgebiet zog.

Und dazu gehört auch, dass sie sich fragt: Was kann ich tun, wenn ich künstlerisch nichts tun kann? „Das Gefühl in der Pandemie, als Künstlerin nicht gebraucht zu werden, war ganz schlimm für mich“, sagt sie. „Aber nur jammern ist nichts für mich. Ich kann einfach nicht nichts tun.“ Dass es anderen Künstlern anders geht, dass nicht jeder seine eigenen Projekte ruhen lassen kann oder will, um wie sie praktische Hilfe zu leisten, versteht sie vollkommen. „Nicht jeder ist gleich.“

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Helfen will sie am liebsten allen: dem Klinikpersonal, das eine großartige Arbeit mache („Da kann ich wirklich nur sagen: Hut ab!“), den Kranken in der Klinik, den Künstlerfreunden, die in der Pandemie verzweifeln, weil sie nicht wie gewohnt arbeiten können. „Wenn das Leben still steht, muss man eine Tür suchen und sie öffnen!“, schrieb sie vor wenigen Tagen auf Twitter und postete ein Bild von sich in Schwesternkleidung. „Welche Tür habt ihr gefunden?“

Ein Helfersyndrom, wie sie es manchmal etwas boshaft zu hören bekommt? „Nö.“ Sie hat gelernt, auch an sich zu denken. Weiß, dass sie nur gut ist, wenn sie auch auf sich aufpasst. Im Übrigen ist es ja nicht so, dass da zwischen Kunst und Klinikum ein Schalter umgelegt werden müsste, sagt sie. Die künstlerische Arbeit und die im Klinikum greifen punktuell auch ineinander. „Was ich hier drinnen erlebe, nehme ich als Künstlerin dann wieder mit in meine Arbeit.“ Das war schon damals so, als sie sich gegen den Arztberuf und für den Tanz entschied, sagt Marita Erxleben: „Seitdem schaue ich als Choreografin anders auf den menschlichen Körper. Ich sehe schneller, wo jemand Probleme hat. Ich arbeite bewusster mit ihm.“

Sie spürte: Es war die richtige Entscheidung

Bis Ende März läuft ihr Vertrag am Klinikum. Wenn die Kultur wieder darf, will sie dabei sein. „Wir Künstler müssen sichtbar bleiben“, sagt Marita Erxleben. Dennoch, als sie Ende Dezember ihren neuen Posten im Klinikum antrat, spürte sie schnell: Es war die richtige Entscheidung. Sie muss nicht lange überlegen, um das zu erklären. Einmal saß da diese ältere Frau in ihrer Obhut auf der Station B1. Die Frau war verletzt, konnte nicht sprechen. Aber als Marita Erxleben ihre Hand nahm, führte die Frau Erxlebens Hand an ihre eigene Wange. Schaute die Schwester vor sich an, streichelte sich das Gesicht mit der fremden Hand und lächelte. 

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