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Landeshauptstadt: Vom Nachbarn mal eine Tube Farbe

Seit gut einem Jahr gibt es die Thiede-Werkstätten in Babelsberg. Ein Besuch bei den Künstlern

Babelsberg - Es war Glücksfall. Maler Robert Weiland suchte ein größeres Atelier und fand unter dem Stichwort „Sonderobjekte“ im Suchportal Immobilienscout 24 das Haus im alten Industriegebiet Babelsberg. Hier war nicht nur für einen Patz. Also rief er seinen Kollegen Martin Mehlitz an. Der gehörte zu den Künstlern, die das Kunsthaus 17 in der Heinrich-Mann-Allee vor eineinhalb Jahren verlassen mussten. In den alten Ministeriumsgebäuden sind jetzt Flüchtlinge untergebracht. Damals war davon natürlich nicht die Rede, die Bundespolizei sollte das Haus beziehen. Die Künstler jedenfalls mussten raus. Als er die alten denkmalgeschützten Gebäude auf dem alten Orenstein & Koppel-Gelände sah, war er begeistert. „Dann machte das die Runde, und jetzt sitzen wir hier zusammen“, sagt Mehlitz. Letztlich zogen gleich acht Künstlerkollegen ein, dazu kamen noch etliche Bands. Ein Tischler war schon da und ist es noch. Das ist ganz praktisch, sagt Maler Robert Weiland, der schräg oben drüber sein großes Atelier hat – Weiland mag es ausladend. „Wir holen uns mal Bretter oder können seinen Transporter für Ausstellungen nutzen.“

Ein gutes Jahr nach dem Einzug sind die Neuen in den Thiede-Werkstätten ganz zufrieden mit ihrer Situation. Bis 2017 zumindest haben sie hier Ruhe. Was danach kommt, ist unklar. Aber an solche Unsicherheiten sei man im Kreativgewerbe leider gewöhnt, sagen sie. In Potsdam sind Ateliers in dieser Größe, von 20 bis 70 Quadratmetern, Luxus. In der Ahornstraße sind es insgesamt 2300 Quadratmeter. „Potsdam war ja nie Industriestadt, es gibt hier einfach keine alten Hallen.“ Dass jemand also überhaupt an Künstler vermietet, Gewerberaum für fünf Euro kalt anstatt hochmoderne Büros für ein Mehrfaches daraus zu machen, das ist was Besonderes. Auch das ist im Grunde Mäzenatentum: Jörg Thiede, Besitzer der Immobilie, Unternehmer und Wirtschaftswissenschaftler aus Berlin, ist auch Kunstsammler. Und hat sich in den Werkstätten auch schon mal umgesehen: Bei Robert Weiland und Stefan Pietryga, Ira von Kunhardt, Christian Hannoschöck, Jenne Baule-Prinz, Martin Mehlitz, Mathanja Clemm und Marion Börsch.

Insbesondere Martin Mehlitz zieht einiges Publikum an. Er betreibt neben seiner eigenen Arbeit eine Malschule für Kinder und Erwachsene. Der Saal, den alle hier im Haus nutzen können, ist perfekt für größere Runden und Gruppenausstellungen. Zum Tag des offenen Ateliers war das Haus voll. Man muss es freilich erstmal finden. Die Adresse Ahornstraße irritiert, denn seitdem die Filmstudios sich hier eingerichtet haben, ist die Straße zweigeteilt und nicht mehr durchlässig. Man muss über die Orenstein & Koppel-Straße anfahren. Die ist nun immerhin ausgeschildert, das haben die Künstler bewirkt. In der Straße findet man noch einen Restaurator, einen Schrotthändler, eine Yogaschule. Und hinterm Zaun die Filmstudios. Das passt doch gut zusammen, findet Ira von Kunhardt. Auch Robert Weiland hat davon schon profitiert, hat aus der Frontscheibe eines Schrottautos eine Installation gebaut. Und die Malschüler von Mehlitz wollen demnächst die Arbeiter unter der Hebebühne zeichnen.

Vor allem schätzen die Künstler, dass sie hier wieder als Gemeinschaft an einem Ort arbeiten. „Man braucht mal den Blick des anderen auf sein eigenes Werk“, sagt Kunhardt. „Oder mal eine Tube Farbe oder Inspiration vom Nachbarn, wenn man unsicher oder festgefahren ist.“

Das ist ihnen wichtiger als eine zentrale Lage. Innenstadt mit Schaufenster, das kann sich keiner leisten. Und es bringe auch nicht mehr Besucher und Kunden. Aber auf dem Land muss es auch nicht sein. Sie haben alle Familien und Kinder, da will und kann man nicht ewig pendeln. Es würde allerdings helfen, wenn es in Potsdam mehr Ausstellungsfläche gebe, eine Galerie gezielt für Potsdamer Künstler. Von Angeboten, doch umsonst irgendwelche Büros oder Ministeriumsflure zu bestücken, halten sie nichts. „Das kostet mehr, als es uns am Ende bringt“, sagt Kunhardt. Die damit verbundene Arbeit werde immer unterschätzt.

Zwei Ateliers im Haus sind noch frei, eines davon die ehemalige Schweißerhalle mit alten Balken, hoher Decke und viel Licht. Leider derzeit noch ohne Heizung – ein Bildhauer könnte die Halle zumindest in der meisten Zeit des Jahres nutzen. Ira von Kunhardt hat noch einen anderen Wunsch: „In dieses Viertel würde eine Kantine passen, dann würden sich all die Kreativen ab und zu mal begegnen. Wir sind ja eine ganze Menge.“ Steffi Pyanoe

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