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Virtuelle Realität: Blick durch die Brille

Die Babelsberger Firma Wonderlamp entwickelt eine Technologie zum Filmemachen in der virtuellen Realität. Die Digitalisierung beschäftigt auch die Filmbranche vor Ort.

Potsdam - Zwei Lehrer stehen rechts und links einer Tafel und warten. Dreht man sich um, kommt ein Bereich mit Sesseln für Gruppenarbeiten oder Gespräche ins Blickfeld. So weit, so unspektakulär. Allein: Das alles existiert nur virtuell. Stephan Schindler hat sein Smartphone in eine dicke Brille gelegt. Zieht man sich die über den Kopf, wird sie nicht nur zum 3-D-Bildschirm. Mittels einer Art Mini-Fernbedienung kann der Brillenträger außerdem die Figuren in dem virtuellen Raum „ansprechen“: Per Knopfdruck zum Beispiel auf den Kopfbereich einer Lehrer-Figur ploppt ein Menü auf, das es einem erlaubt, den Figuren bestimmte Gesichtsausdrücke zu geben oder einen Text aufzunehmen, den diese dann sprechen. Ein Knopfdruck wiederum auf die Tafel bietet Auswahlmöglichkeiten, was dort zu sehen sein soll.

Animationen in der sogenannten Virtuellen Realität (VR), damit beschäftigt sich die Babelsberger Firma Wonderlamp Industries, die Stephan Schindler seit 2014 leitet. Die Babelsberger wollen ein Programm entwickeln, das es auch VR-Laien ermöglicht, selbst Animationen zu erstellen. Die Idee: Als Nutzer soll man den Avataren – so werden die Figuren in der virtuellen Welt genannt – wie richtigen Schauspielern einfach Regieanweisungen geben können. Das Programm setzt das dann um und erstellt den entsprechenden Film. Mögliche Einsatzgebiete sieht Schindler neben der Werbe- und Unterhaltungsbranche auch im Bereich Bildung. Dabei könne eine Besonderheit der VR-Technologie von Vorteil sein – die Tatsache, dass der Konsument mit VR-Brille und Kopfhörer praktisch von der ihn umgebenden Wirklichkeit isoliert ist: „Sie erreichen so eine enorm hohe Konzentration auf den Inhalt“, sagt Schindler.

Bisher sind das aber in der Tat nur Ideen. „Wir sind noch auf Finanzierungssuche“, betont Schindler. Risikokapitalanleger für ein solches Projekt zu gewinnen, sei schwierig, räumt er ein: „Die Risikokapitalgeber in Deutschland scheuen das Risiko.“ Das sei eines der Probleme für die hiesige VR-Branche: Es gebe viele Gründer, die ins Ausland gehen und dort bleiben – weil sie dort Finanziers finden. So gehe dem Medienstandort Knowhow verloren. „Diese digitale Revolution darf nicht auch wieder an uns vorbeigehen“, mahnt Schindler. VR wird in Zukunft so selbstverständlich zu unserem Alltag gehören wie heute die Smartphones, ist der 54-Jährige überzeugt.

Um die Branche besser zu vernetzen, sichtbarer zu machen und zu fördern, hat sich im vergangenen Jahr der Verein Virtual Reality Berlin-Brandenburg gegründet – Schindler ist einer der Mitgründer und der Vereinsvorsitzende. 60 Mitglieder hat der Verein, Schindler schätzt aber, dass insgesamt in der Hauptstadtregion rund 250 Unternehmen in der VR-Branche aktiv sind. Wie es um die Branche weltweit steht und welche Trends es gibt, darum dreht sich die Konferenz „VR Now Con & Award“, die der Verein in der kommenden Woche in Potsdam organisiert.

Schindler selbst hat als Kameramann angefangen und erlebt, was die technologische Entwicklung bedeutet: Brauchte man für Filmaufnahmen und den Schnitt früher Expertenwissen und teure Technik, kann heute praktisch jeder filmen und am eigenen Computer schneiden. Bei einem der großen Gewinner dieser Entwicklung, der US-Firma Avid Technologies, die ein solches Computerprogramm anbietet, arbeitete er viele Jahre.

Damit Babelsberg und die Hauptstadtregion in Sachen VR nicht abgehängt wird, sei auch eine entsprechende Förderung und Investitionen in die Infrastruktur nötig, sagt er: Erschwingliche Büroräume seien ebenso nötig wie bezahlbarer Zugang zu Technik und Technologien – etwa für die stundenweise Nutzung von großen Computerfarmen mit einer hohen Rechnerleistung.

In einem ähnlichen digitalen Umbruch steht auch die Filmbranche. In Babelsberg treffen sich ab morgen Branchenvertreter bei der Konferenz „Changing the Picture“, um darüber zu diskutieren, was die neuen digitalen Technologien für Filmemacher bedeuten und wie sie beispielsweise auf die steigende Bedeutung von sozialen Netzwerken für die Verbreitung von Medieninhalten reagieren können. Das müsse auch kritisch hinterfragt werden, betont Peter Effenberg von der Babelsberger Firma Transfer Media, die die Konferenz organisiert. Soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook hätten heute praktisch die Funktion von klassischen Medien – ohne dass sie dieser Verantwortung etwa mit der Prüfung verbreiteter Inhalte gerecht würden. Manipulierte Informationen könnten so schnell sehr viele Menschen erreichen und auch politische Folgen haben, wie die Wahlen in den USA gezeigt hätten. „Wir sind in den vergangenen Jahren extrem der Technologie hinterhergelaufen“, sagt Effenberg. „Wir müssen uns endlich die Frage stellen: Was bedeutet sie für das Miteinander?“

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