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Blick vom Griebnitzsee auf die Karl-Marx-Straße und Spitzweggasse um 1920.

© Foto: Kunstverlag J. Goldiner/E. Sandmann Verlag

Villen am Griebnitzsee: Was die Häuser erzählen

Die Villen am Griebnitzsee offenbaren deutsche Geschichte wie unter einem Brennglas. Jetzt hat der Berliner Rechtsanwalt Christoph Partsch ein Buch über die Schicksale der Menschen geschrieben.

Potsdam - „Als ein großer Vorteil von Babelsberg erschien es mir immer, dass die dort lebenden Menschen sich alle ein stilles Leben wünschten und auf einen näheren Verkehr, auf Ansprachen auf der Straße und Klatschereien der Kleinstadt keinen Wert legten … eine große Freude war es für die Kinder, wenn meine Frau mit ihnen und mit einem Picknickkorb an das jenseitige Ufer … ruderte.“ So erinnert sich Joachim von Stülpnagel an die sechs Jahre, die er mit seiner Familie in einem Haus in der Virchowstraße lebte. Das Glück endet bereits 1944. Stülpnagel ist in das Attentat auf Hitler vom 20. Juli involviert, wird verhaftet und kommt mit viel Glück frei. 1945 beschlagnahmen die Russen das Haus und Grundstück, die Familie muss fliehen.

Zu fast jedem Haus der vor 150 Jahren gegründeten Villensiedlung Neubabelsberg am Griebnitzsee gehören derartige Schicksale, die deutsche Geschichte besonders spannend, nahbar und oft auch mit schmerzhafter Deutlichkeit erzählen. Das ist den wunderschönen Anwesen beim Spaziergang durch das Viertel kaum anzusehen. Jetzt gibt es ein neues Buch, das sich diesem Teil Potsdamer Stadtgeschichte widmet: „Auf der Suche nach dem verlorenem Glück. Die Villen am Griebnitzsee und ihre Geschichte“, erschienen im Elisabeth Sandmann Verlag.

Für wenige Jahre nach der Wende frei begehbar, führen heute nur noch an ausgewählten Stellen Wege zum Uferweg, der zuvor Grenzkontrollweg war.
Für wenige Jahre nach der Wende frei begehbar, führen heute nur noch an ausgewählten Stellen Wege zum Uferweg, der zuvor Grenzkontrollweg war.

© Elisabeth Sandmann Verlag

Autor ist Christoph Partsch, Kunsthistoriker und Rechtsanwalt aus Berlin. „Vor der Wende bin ich lediglich mal mit dem Boot auf dem See unterwegs gewesen und schaute neugierig rüber auf das andere Ufer“, sagt Partsch über seine erste Begegnung mit dem Ort. Die Häuser, das war damals trotz Entfernung zu sehen, waren in erkennbar schlechtem Zustand, dennoch habe er geahnt, dass das was Besonderes sein muss.

Doch erst seine Tätigkeit als Rechtsanwalt für einige Besitzer von Grundstücken am Griebnitzsee, die er unter anderem in Potsdams langwierigem so genannten Uferwegstreit vertritt, war der Anlass zur Idee dieses Buches. „Im Laufe der Zeit hatte sich so viel Material angesammelt, dass ich dachte, daraus müsste man was machen, es wäre zu schade, das nicht zu nutzen“, sagt Partsch.

Jenseits der Großstadt das private Glück gesucht

Die Glücksmetapher ist der rote Faden im Buch. Wer Ende des 19. Jahrhunderts von der Planungsgesellschaft Societät Neubabelsberg oder später von der Neubabelsberger Terraingesellschaft ein Grundstück erwarb und sich ein Landhaus, oft von einem später namhaften Architekten wie Mies van der Rohe und Alfred Grenander entworfen, baute, war ein Glückssucher. „Jenseits der lauten und geschäftigen Großstadt Berlin suchte man hier das private Glück. Das berufliche hatten diese Menschen meist schon in Berlin gefunden“, sagt Partsch. Man suchte die Ruhe im Landhaus oder einer Villa mit Blick aufs Wasser.

Anlageskizzen für die terrassierten Grundstücke am Hang. 
Anlageskizzen für die terrassierten Grundstücke am Hang. 

© Architekturmuseum der Technischen Universität Berlin

Hier lebten Bankiers wie Georg Mosler und Jakob Goldschmidt, Unternehmerfamilien wie die Herpichs, die mit Pelzmoden und Teppichen handelten, und der Verleger Carl Müller-Grothe. Schauspieler wie Lilian Harvey, preußische Militärs wie Joachim von Stülpnagel und Wissenschaftler und Kulturarbeiter, der Altertumsforscher Friedrich Sarre, der Philosoph Alois Riehl und der Maler Carl Saltzmann. Zu Gast in einer Villa am See ist Anfang der 1940er-Jahre auch der Schriftsteller Erich Kästner, der hier trotz des Berufsverbots der Nazis arbeitet.

Zäsuren führen zu Wendungen und Verwundungen

Die glücklichen Zeiten sind in Neubabelsberg selten von Dauer. Spätestens die politischen Zäsuren und Umbrüche von 1933, 1945 und 1961 führen zu schmerzhaften Wendungen und Verwundungen. Für die Menschen, die hier ihren Traum suchen, endet diese Suche oft im Trauma von Vertreibung und Verlust der Heimat oder, noch schlimmer, von Familienangehörigen. Rückübertragungsverfahren dauern ewig, und wenn sie gelingen, werden die Häuser von den Erben meist verkauft – die persönliche Beziehung zum Ort ist abgebrochen oder nicht mehr zu heilen. Was bleibt, ist Geschichte.

Aufgrund der vielen Besitzerwechsel sei die Quellensuche mühevoll gewesen, auch wegen der sehr unterschiedlichen Archivlandschaft, sagt Partsch: Manche Archive wurden im Krieg zerstört, andere Sammlungen gingen später verloren oder Bestände wurden aus Nachlässigkeit vernichtet.

Dennoch hat er viele und vielfältige Dokumente zusammengetragen, die das Buch unterhaltend und lebendig machen: Fotos der Häuser und Gärten, Baupläne, Innenaufnahmen, die die Möblierung zeigen, kolorierte Landschaftspläne, die gleichsam als eigenes Kunstwerk durchgehen. Weiterhin persönliche Briefe, Dokumente und Fotos der Bewohner, vom stattlichen Porträt bis zum romantisierenden Familienfoto, und daneben Abbildungen, die die zeitgeschichtlichen Zusammenhänge illustrieren, Modekatalogbilder, politische Plakate und Verwaltungsschreiben.

Ein Zimmer - nur für das Speisen, hier im Landhaus Dr. Jakob Goldschmidt.
Ein Zimmer - nur für das Speisen, hier im Landhaus Dr. Jakob Goldschmidt.

© A. Breslauer, Ausgeführte Bauten 1897-1927, Architekturmuseum TU

Der Erzählbogen reicht vom bürgerlichen Alltag zur Jahrhundertwende über die Arisierungspolitik der Nazis bis zur Zeit der deutsch-deutschen Teilung. Dass das süd-westliche Ufer über Jahrzehnte scharf bewachtes und unzugängliches Grenzgebiet war, schlug die vielleicht größte Wunde in die Geschichte dieses Ortes – ablesbar auch daran, dass selbst 31 Jahre nach der Wende die Auswirkungen noch spürbar sind.

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Insgesamt 14 Häuser samt ihrer Geschichte sind im Buch abgebildet. Darunter auch zwei, die nicht mehr existieren: Die Villa Kayser, die gegenüber des Bahnhofs Griebnitzsee stand und 1961 im Zuge des Mauerbaus abgerissen wurde, und die Villa Heidmann in der Spitzweggasse 1. Sie stand auf einem Hügel, ihre weithin sichtbare Silhouette mit der markanten Kuppel prägte das Panorama der Siedlung. Die jüdischen Eigentümer verloren ihren Besitz, die Nazis richteten dort schließlich 1940 das „Jüdische Siechen- und Altenheim“ ein – Potsdamer Juden wurden hier eingewiesen, bevor sie in die Vernichtungslager deportiert werden. Die Villa Heidmann wurde Mitte der 1960er abgerissen. Eine Schülerinitiative bewirkte, dass es dort heute zumindest einen Gedenkstein gibt.

Geschichte wie unter einem Brennglas

Ein direkter Nachbar war damals die Familie des Kunsthistorikers Friedrich Sarre, der eng mit dem türkischen Kriegsminister Enver Pascha, einer der Hauptverantwortlichen für den Völkermord an den Armeniern, befreundet war und ihm 1920/21 sogar Exil in seinem Haus bot. Ein Spannungsfeld – Sarres Frau engagierte sich bei der osmanischen Regierung für verschleppte armenische Kinder, und Sarres erwachsene Kinder waren engagierte Gegner des Naziregimes.

In der prächtigen Villa Sarre am Griebnitzsee spiegelt sich die widersprüchlichen Geschichte der gleichnamigen Familie.
In der prächtigen Villa Sarre am Griebnitzsee spiegelt sich die widersprüchlichen Geschichte der gleichnamigen Familie.

© nilo - Agentur für Fotografie

Tochter Marie-Louise, Bildhauerin, war politisch aktiv und unterstützte die jüdischen Bewohner der Villa Heidmann mit Lebensmitteln. Mehrere Monate saß sie dafür im KZ Ravensbrück ein. Zur Ruhe kam die Familie auch nach dem Krieg nicht. „Am nächsten Morgen früh wurden wir von russischen Soldaten aufgefordert, das Haus in einer Stunde zu verlassen“, schreibt ihre Mutter in ihren Erinnerungen. „Die Geschichte der Sarres, einerseits Unterstützung für Enver Pascha, andererseits Regimegegner, finde ich ihrer Zwiespältigkeit besonders berührend“, sagt Christoph Partsch.

Bei aller politischen Schwere verdeutlicht das Buch auch Lebensfreude und Verbundenheit mit dem Ort. „Jedes Gebäude hat seine eigene Geschichte, reich an Liebesbeziehungen, Festen, Tragödien, Verlusten und persönlichen Dramen“, schreibt in seinem Vorwort Thoma Harding, britischer Schriftsteller, dessen jüdische Familie vor den Nazis aus Groß Glienicke fliehen musste. „Jedes einzelne davon zeigt uns, welche Kraft ein Zuhause besitzt, und warum der Ort, an dem wir leben, so wichtig ist für unser Gefühl von Zugehörigkeit und Identität.“

Christoph Partsch: Auf der Suche nach dem verlorenen Glück. Elisabeth Sandmann Verlag München, 160 Seiten, 48 Euro.

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