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Das Kaminzimmer der Villa Carlshagen.

© M. Thomas

Villa Carlshagen öffnete zum Tag des offenen Denkmals: Zurück in die Zukunft

Die Villa Carlshagen am Templiner See wirbt am „Tag des offenen Denkmals“ außen frisch renoviert um Käufer. Innen aber zeigt der Bau der IHK den Verfall eines Vierteljahrhunderts.

Potsdam - „Da oben hatte ich drei Jahre lang mein Zimmer!“ Eine Frau zeigt auf die Dachgaube links oben. Die frühere Röntgenassistentin hatte einen besonderen Arbeitsplatz: Die Villa Carlshagen beherbergte nach dem Zweiten Weltkrieg bis kurz vor der Wende einen Teil des Radiologischen Instituts der Bergmann-Klinik. Das Haus sei schön eingerichtet gewesen mit weiß-blauen Delfter Fliesen und Parkett, erzählt die Besucherin, die sich am Tag des offenen Denkmals den heutigen Zustand ansieht. „Das Personal aß im hellen, ovalen Gartenzimmer. Und auch die schwer kranken Patienten hatten es besser als im Klinikum. Sie saßen im Rollstuhl auf der Terrasse und blickten ins Grüne.“ Aber verklären solle man die damaligen Zustände nicht, wendet Bernd Kissig ein, Mitte der 1980er-Jahre als Radiologe ebenfalls vor Ort: „Die Villa war als Krankenhaus ungeeignet. Es gab keinen Fahrstuhl. Die Krankenschwestern mussten Tote durchs Treppenhaus runtertragen – bis in das als Leichenhaus genutzte Gartenhäuschen.“

Von außen prächtig saniert, von innen alles andere als prächtig

Wer sich am Sonntag unter die vielen Besucher der Villa Carlshagen reihte, musste einen mehrfachen Zeitsprung hinlegen. Wirkt doch das klassizistische Gebäude aus der Zeit kurz vor dem Ersten Weltkrieg mitten zwischen den funktionalen Bauten des Sportparks Luftschiffhafen, dem hohen Studentenwohnheim auf der einen, der Kanuhalle auf der anderen Seite, nicht nur vollkommen deplatziert. Hinzu kommt ein Gegensatz, der gewaltiger nicht sein könnte: Der Bau, der einst einem jüdischen Berliner Bankier gehörte, zeigt sich von außen prächtig saniert. Wer seinen Fuß aber hinter die in gebrochenem Weiß gestrichene Fassade setzt, blickt auf kahle Ziegelwände, abgeblätterten lindgrünen Putz, freigelegte Böden und aus den Decken hängende Leitungen. Von der heutigen Zeit zeugen allein die Heizkörper, die sich in der Villa auf 1000 Quadratmetern Nutzfläche verteilen – und durch zweijährigen Einsatz den Hausschwamm mit vertreiben konnten.

„Leider ist der Zugang zum oberen Stockwerk für die Besucher heute versperrt“, erzählt Heidrun Fleege. In dem viergeschossigen Turm seien ein neues Treppenhaus eingebaut und zwischen Erdgeschoss und erstem Stock neue Decken eingezogen. „Es handelt sich um eine große Baustelle mit vielen Fallen.“ Die Architektin vom Büro „Fleege + Oeser Architekten“ hat in den vergangenen Jahren im Auftrag der Potsdamer Industrie- und Handelskammer (IHK) die äußere Hülle saniert und innen den Rohbau notdürftig instand gesetzt.

IHK Potsdam könne die Villa nicht kostendeckend nutzen

Die IHK sucht derzeit einen Käufer für das repräsentative Anwesen. 2012 erst hatte sie es von der städtischen Pro Potsdam erworben, um dort ein Tagungs- und Seminarzentrum einzurichten. Sie hat für Kauf und Sanierung rund fünf Millionen Euro hingelegt. Mittendrin verzögerte ein Skandal um ihren ehrenamtlichen Präsidenten Victor Stimming die Bauarbeiten. Dieser trat wegen des Vorwurfs der Untreue 2013 zurück und ist nun angeklagt. Der Prozess, der am heutigen Montag beginnen sollte, wurde wegen angeblicher Verhandlungsunfähigkeit vertagt. Die Kammer halte eine weitere Immobilie nicht mehr für nötig, sagte Mario Tobias, seit zwei Jahren neuer Hauptgeschäftsführer, den PNN am Rande der Besichtigung. „Die IHK kann die Villa nicht kostendeckend nutzen.“ Es gebe „eine Reihe ernsthafter Interessenten“.

Besitzerwechsel hat das Haus, dessen mehr als sechs Hektar großes Grundstück einst an den Templiner See grenzte, häufiger erlebt. Die ursprünglich kleine Turmvilla hatte ein Berliner Spediteur bereits um 1870 errichten lassen. Um die Jahrhundertwende verkaufte er sie an Carl Levy, der sich später in Carl Hagen umbenannte. Der jüdische Bankier lebte mit seiner Familie im Bezirk Tiergarten und ließ das Potsdamer Anwesen mit Gästetrakt, Eingangshalle und einem ovalen Speisezimmer sowie davorliegender Terrasse zur Sommerresidenz umbauen. In der NS-Zeit musste die Familie ihre beiden Villen verkaufen, die Nationalsozialisten schlossen zudem das Bankhaus „Hagen & Co.“ Carl Hagen verstarb noch im selben Jahr im Alter von 81 Jahren, ein Teil seiner Familie emigrierte.

Potenzieller Investor müsste mehrere Auflagen erfüllen

Nach der Wende, als die Villa trotz Rückübertragung an die große Erbengemeinschaft, zu der Nina Hagen gehört, verfiel und zerstört wurde, kaufte die stadteigene Pro Potsdam sie auf. Ein neuer Investor muss nun mehrere Auflagen erfüllen: die Villa denkmalgerecht sanieren, aber auch den wildwüchsigen Park so zurechtstutzen, dass drei Sichtachsen zum See wieder frei werden. Wohnen darf er hier allerdings nicht: „Investoren aus den Bereichen Sport, Restauration und Hochschule kommen infrage“, sagt IHK-Chef Tobias.

Isabel Fannrich–Lautenschläger

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