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Das Thusnelda-von-Saldern-Haus in der Rudolf-Breitscheid-Straße in Babelsberg. 

© Marion Kaufmann

Update

Vier Patienten im Oberlinhaus getötet: Schweres Verbrechen erschüttert Potsdam

In Babelsberg hat sich am Mittwochabend das wohl schwerste Tötungsdelikt in Potsdam seit Jahrzehnten ereignet. Unter dringendem Verdacht steht eine 51-jährige Mitarbeiterin. 

Potsdam - Die Szene wirkt gespenstisch. In der Babelsberger Rudolf-Breitscheid-Straße ist es ruhig. Kaum Autos, keine Passanten. Seit 22 Uhr gilt die Corona-Ausgangsbeschränkung in Potsdam. Doch vor dem Eingang zur Oberlinklinik stehen um Mitternacht Menschen. Pressevertreter, Fotografen, die auf Informationen warten zu dem wohl schockierendsten Verbrechen, das Potsdam seit Jahrzehnten erlebt hat.

Im Thusnelda-von-Saldern-Haus des Sozialträgers Oberlinhaus, einer Wohnstätte für erwachsene Menschen mit Behinderungen, hat die Polizei am Mittwochabend gegen 21 Uhr "in verschiedenen Krankenzimmern einer Station" vier Leichen und eine schwer verletzte Person gefunden. Wie Staatsanwaltschaft und Polizei am Donnerstag nach Mitternacht mitteilen, sind die Opfer, nach PNN-Informationen alle Patienten des Oberlinhauses, gewaltsam getötet worden. "Die Verletzungen aller Opfer sind nach bisherigen Erkenntnissen auf schwere, äußere Gewaltanwendung zurückzuführen", so die Polizei. 

Eine "dringend tatverdächtige" 51-jährige Mitarbeiterin des Oberlinhauses ist nach Polizeiangaben festgenommen worden. Es bestehe der Verdacht eines "vorsätzlichen Tötungsdelikts". 

Kriminalpolizisten treffen in der Nacht zum Donnerstag Babelsberger Oberlinhaus ein. 
Kriminalpolizisten treffen in der Nacht zum Donnerstag Babelsberger Oberlinhaus ein. 

© Marion Kaufmann

Im Hof vor dem Haus, in dem die Gewalttat geschehen sein soll, stehen gegen Mitternacht noch zwei Notarztwagen und ein Einsatzfahrzeug der Polizei. Vor etwa zweieinhalb Stunden wurde eine verletzte Person auf einer fahrbaren Trage aus dem Haus gebracht. Einige Fenster in dem Gebäude sind erleuchtet. Sonst ist es ruhig, als wäre nichts geschehen. Um 0.30 Uhr dann verlassen drei Mitarbeiter der Notfallseelsorge den Tatort. Ein Notarztwagen, offenbar aber ohne weitere Verletzte, fährt vom Hof, knapp zehn Minuten später auch der letzte Rettungswagen. Bei der Polizei hat nun eine Mordkommission unter Leitung der Potsdamer Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. 

Ein Fenster des Thusnelda-von-Saldern-Hauses, in dem die Gewalttat geschehen sein soll.
Ein Fenster des Thusnelda-von-Saldern-Hauses, in dem die Gewalttat geschehen sein soll.

© Marion Kaufmann

Die schrecklichen Nachrichten verbreiten sich am späten Mittwochabend in Windeseile in Potsdam. Im Laufe der Nacht wird klar: Bei dem Geschehen im Thusnelda-von-Saldern-Haus handelte es sich um eine der folgenreichsten Gewalttaten in der Landeshauptstadt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Zuletzt hatte im Sommer 2015 der Mord an dem sechs Jahre alten Elias aus Potsdam die Stadt erschüttert. Der Junge war aus dem Wohngebiet am Schlaatz entführt, sexuell missbraucht und ermordet worden.

Die Schreckensnachrichten treffen mit dem Oberlinhaus einen der traditionsreichsten evangelischen Potsdamer Sozialträger. Rund 2000 Menschen sind nach Angaben des Oberlinhauses in 15 Gesellschaften an 26 Standorten für das Unternehmen tätig; im Thusnelda-von-Saldern-Haus sollen rund 80 Mitarbeiter beschäftigt sein.

Zum Oberlinhaus gehört unter anderem die Oberlinklinik am Standort in Babelsberg. Dort steht auch das Oberlin-Mutterhaus. Das Areal um die Oberlinkirche, in deren Nähe auch das Saldern-Haus liegt, ist das Herz des mehr als 150-jährigen Oberlin-Vereins. Viele namhafte Potsdamer unterstützen Oberlin, besonders weil der kirchliche Träger Menschen mit Behinderung betreut. Im Jahr 2017 hielt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in der Oberlinkirche in Babelsberg die so genannte "Oberlin-Rede". Sie warb darin für die Integration Behinderter. Ebenfalls in Babelsberg auf dem Campus befindet sich die Oberlinschule für Kinder mit Handicap und die Oberlin-Krippe. 

1886 begann im Oberlinhaus die Arbeit mit Menschen, die eine körperliche Behinderung hatten. 1894 wurde dort das erste „Deutsches Vollkrüppelheim“ eröffnet. 1906 folgte das erste „Taubstummblindenheim“ Deutschlands. 

Journalisten warten vor dem Eingang zum Gelände des Oberlinhauses auf Informationen.
Journalisten warten vor dem Eingang zum Gelände des Oberlinhauses auf Informationen.

© Marion Kaufmann

Das Thusnelda-von-Saldern-Haus war im November 2010 neu gebaut worden. Es wendete sich bei seiner Eröffnung an Menschen nicht mit angeborenen, sondern durch Schlaganfälle, Unfälle, psychische Probleme wie Suizidversuche und Ähnliches verursachten Behinderungen. Zuletzt soll es dort für 38 Patienten, die ständige Betreuung brauchen, Dauerplätze gegeben haben. Auch gibt es eine Wohnpflege, in der Menschen lernen sollen, selbst bestimmt zu leben. 

Das Haus selbst ist ein Neubau, 17 Meter hoch und 46 Meter lang direkt an der Rudolf-Breitscheid-Straße. Die Namengeberin des Hauses, Thusnelda von Saldern, war von 1879 bis 1905 die erste Diakonisse und Oberin des Oberlinhauses.

Vor dem Eingang zum Saldern-Haus stehen in der Nacht zum Donnerstag auch nach Abzug aller Rettungskräfte zwei Polizisten in Uniform. Um 0.45 Uhr fährt dort ein Transporter der Kriminalpolizei vor, kurz darauf ein zweiter. Dieser Schrecken, so scheint es, wird so schnell kein Ende finden.

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