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Landeshauptstadt: Versuchskaninchen mit Tarn-Kippa

Rabbiner-Studenten lernen Militärseelsorge in der Bundeswehr

Rabbiner-Studenten lernen Militärseelsorge in der Bundeswehr Von Christoph Strack Eine olivgrüne Kippa? Da stockt der Blick. Die „Flecktarn-Kippa“ ist eine Einzelanfertigung. Rabbiner Walter Homolka bekam das eigens geschneiderte Abschiedsgeschenk, nachdem er beim Lazarettregiment 31 in Berlin-Kladow zu Gast war. Nun treten an diesem Dienstag erstmals drei Rabbiner-Studenten als Praktikanten bei der Militärseelsorge an, um die Bundeswehr kennenzulernen. Seine Mutter, erzählt Konstantin Pal, habe sich Sorgen gemacht, als sie die Nachricht gehört habe: Ihr Junge bei der Marine... Ob das Schiff denn sicher sei, ob man jeden Tag telefonieren könne? Dass der 25-jährige Jude als Praktikant zur Katholischen Militärseelsorge und damit zur Bundeswehr geht, störte daheim niemanden sehr. Der Student will vier Wochen lang miterleben, was Seelsorge unter Soldaten heißt: Einzelgespräche, Programmangebote, Gottesdienste, Sorge um Familien. So tritt er mit Studienfreund Boris I. Ronis (28) bei der Schnellbootflotille im schleswig-holsteinischen Glücksburg an. Wenige Tage später begleiten sie mit dem katholischen Geistlichen Alfons Kordecki Matrosen von Wilhelmshaven aus hinaus auf die hohe See. Die beiden Deutschen und der Tscheche Tom Kucera studieren Jüdische Studien an der Uni Potsdam und werden vom Abraham Geiger Kolleg auf das geistliche Amt des Rabbiners vorbereitet. „Wir möchten die Studierenden bei der Ausbildung auch an Sonderseelsorgefelder heranführen“, erläutert Kolleg-Direktor Homolka. Dazu zähle neben Justiz- und Krankenhausseelsorge auch die Militärseelsorge. Es gehe darum, Menschen auch in Ausnahmesituationen ihres Lebens pastoral begleiten zu lernen. Probleme praktischer Art mag es geben. Aber alles, versichern die drei Anwärter, sei lösbar. Kucera erzählt vom Anruf seines evangelischen Praktikumspfarrers, der sich sorgte, ob der Gast spezielle koschere Küche brauche. Der 33-Jährige lebt vegetarisch - also kein Problem. In der Vorbereitung auf ihr Praktikum sprachen sie auch mit Juden, die Grundwehrdienst geleistet haben. Da ist viel von Normalität die Rede: „Man sieht nicht den Juden, sondern einfach den Soldaten.“ Ronis ist deshalb zuversichtlich: „Dass über uns gespöttelt wird, glaube ich nicht.“ Auch Leo Baeck war Militärseelsorger Unter rund 260 000 Soldaten der deutschen Streitkräfte sind, so meint Homolka, maximal 150 Juden. Das ergab eine Umfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr zum Thema „Multikulturalität“. Eine genaue Erfassung der Religionszugehörigkeit gibt es wegen des Datenschutzes nicht. Bei den meisten Juden handelt sich um Zeit- und Berufssoldaten. Zum Grundwehrdienst herangezogen werden junge Juden in Deutschland, wenn direkte Angehörige Opfer des NS-Regimes wurden, auf freiwilliger Basis. Deshalb rechnet Rabbiner Homolka auch kaum damit, dass es in der Bundeswehr neben der Militärseelsorge der Kirchen bald hauptamtliche jüdische Geistliche geben wird. Das Leitbild ist der Zivilrabbiner, der für Fragen der Standortseelsorge aufgeschlossen ist und vor Ort auf Fragen der Streitkräfte eingehen kann. Im Ersten Weltkrieg war das anders. Rund 30 „Feldrabbiner“ betreuten die jüdischen Soldaten an der Front, von denen 12 000 zwischen den Jahren 1914 und 1918 fielen. Unter diesen Militärseelsorgern befand sich auch Leo Baeck der berühmteste Vertreter des von den Nazis fast ausgelöschten und nun in Deutschland wieder erstandenen liberalen Judentums. Homolka spricht bei den drei ersten Rabbiner-Studenten scherzhaft von „Versuchskaninchen“. Dem Praktikum gingen lange Vorbereitungen voraus. Betont dankbar zeigt sich Homolka dabei für die Hilfsbereitschaft des Evangelischen und des Katholischen Militärbischofsamtes, „das ist ein greifbarer Ertrag des jüdisch-christlichen Dialogs“. Harald Oberhem, Leitender Wissenschaftlicher Direktor in der Katholischen Militärkurie, bekräftigt, seine Behörde sei froh, den Kontakt und die Begegnung zwischen Bundeswehrsoldaten und jungen Juden fördern zu können. Auch im Hinblick auf eine spätere jüdische Militärseelsorge in Deutschland sei ein Austausch über Theologisches und Pastorales in jedem Fall hilfreich. Klärung war auch notwendig mit anderen Rabbinerseminaren und der Zentrale, der Weltunion des progressiven Judentums, in Jerusalem. „Da hat man schon gestaunt: Was, die Jungs gehen zur Bundeswehr!“, erinnert sich Homolka. Interessant sei, dass es dann nach der ersten Überraschung nie ein großes Thema geworden sei. Die Praktika werden von Militärrabbinern der Zentralkonferenz amerikanischer Rabbiner und dem „Jewish Welfare Board - Jewish Chaplains Council“ begleitet. Der Rabbiner selbst steht nach einem „Schnupperkurs“ in Hammelburg nunmehr als Verbindungsstabsoffizier beim Einsatzführungsstab in Potsdam zur Verfügung. In dieser Funktion ist der erste Rabbiner in der Bundeswehr jüdischer Soldat, nicht Seelsorger. Die „Flecktarn-Kippa“ des Lazarettregiments 31 hat der frühere Greenpeace-Geschäftsführer schon, noch ist sie ein Einzelstück. „Ich bin mir sicher: Wenn jetzt die Studenten zum Praktikum kommen, gibt es bald noch ein paar mehr - und das ist gut so.“

Christoph Strack

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