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Rund 40 Betroffene, Vertreter der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Linken protestierten am Dienstag vor dem Landtag in Potsdam gegen die geplante Schließung des Arbeitsgerichtes Potsdam und anderer Standorte.

© Sebastian Gabsch

Vergeblicher Protest: Gerichtstage statt Potsdamer Arbeitsgericht

Kenia-Koalition hält an umstrittener Reform fest. Chef des Potsdamer Anwaltsvereins Hülsenbeck fassungslos.

Potsdam - Trotz aller Widerstände: Die Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen im Land Brandenburg zieht die umstrittene Reform der Arbeitsgerichte durch, so dass es künftig wie bei den Sozialgerichten vier Stammstandorte geben wird – statt bisher sieben. Allerdings wird nach heftiger Kritik der Gesetzentwurf von CDU-Justizministerin Susanne Hoffmann etwas zu Gunsten von Potsdam und Eberswalde nachgebessert.

Diese Einigung teilten die Fraktionschefs Erik Stohn (SPD), Jan Redmann (CDU) und Benjamin Raschke (Grüne) am Dienstag mit. Der neue Entwurf soll am Donnerstag den Rechtsausschuss passieren und im Mai vom Landtag beschlossen werden. Mit der Kenia-Einigung kann Justizministerin Hoffmann aufatmen, deren anfangs holpriges Management und schlechte Kommunikation auf massive Kritik gestoßen war.

Jan Redmann (CDU).
Jan Redmann (CDU).

© ZB

Was neu ist: In der Landeshauptstadt soll es anders als geplant – zumindest „Gerichtstage“ des Arbeitsgerichtes Brandenburg/Havel geben, dem das Potsdamer Arbeitsgericht zugeschlagen wird. Es ist das größte des Landes Brandenburg und sollte nach dem Hoffmann-Plan komplett schließen. Damit werde nun gewährleistet, dass Potsdamer Rechtsuchende nicht extra nach Brandenburg fahren müssen, sagte CDU-Fraktionschef Jan Redmann. 

„Wir haben Befürchtungen vor einem Prozesstourismus aufgenommen“, erklärte Grünen Co-Fraktionschef Benjamin Raschke. „Man kann in Potsdam nahezu in gewohnter Weise sein Recht suchen.“ Anders als in den 90er-Jahren, wo es im Land schon einmal „Gerichtstage“ gab, werden die nicht in Provisorien, sondern „in ordentlich ausgestatteten Gerichten stattfinden“, so Stohn.

Benjamin Raschke (Grüne).
Benjamin Raschke (Grüne).

© picture alliance / dpa

In Eberswalde ändert sich fast nichts

Das bisherige Arbeitsgericht in Eberswalde, wo nach dem Hoffmann-Konzept nur noch Gerichtstage anreisender Neuruppiner Arbeitsrichter stattfinden sollten, wird nun eine Außenkammer des Arbeitsgerichtes Frankfurt (Oder). In Eberswalde ändert sich also fast nichts. „Gerichtstage“ soll es künftig auch in Perleberg, Luckenwalde, Senftenberg und vielleicht auch in Königs Wusterhausen geben. Die Präsenz der Arbeitsgerichtsbarkeit in der Fläche werde damit insgesamt deutlich erhöht, so Raschke. „Es ist eine gute Gesamtlösung.“

Erik Stohn (SPD).
Erik Stohn (SPD).

© picture alliance/dpa/dpa-Zentral

Das sehen Kritiker anders. Am Dienstag demonstrierten rund 40 Betroffene, Vertreter der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und der Linken gegen die Pläne. Die oppositionellen Linken hatten im Landtag massiv Front gegen die Reform gemacht und kürzlich eine Kampagne mit Großplakaten in den bedrohten Standorten und Postkarten für den Erhalt aller Arbeitsgerichte gestartet, was aber kaum auf Resonanz stieß. Angesichts der überschaubaren Zahl der Demonstranten vor dem Landtag sagte Redmann, dass „die Kampagnenfähigkeit der Linken“ immer mehr nachlasse.

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Das Unverständnis bleibt groß

Dennoch bleibt auch bei Fachleuten das Unverständnis groß, insbesondre wegen des Umgangs mit dem Potsdamer Arbeitsgericht. „Gerichtstage können kein permanentes Arbeitsgericht ersetzen“, sagte Frank Walter Hüslenbeck, Potsdamer Fachanwalt für Arbeitsrecht und Vorsitzender des Potsdamer Anwaltsvereins, den PNN. Das erschreckende dieser Reform sei, „dass es keinen einzigen sachlichen Grund gibt, kein sachliches Argument gibt, das Potsdamer Arbeitsgericht zu schließen.“ 

In der Landeshauptstadt gebe es die meisten Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Hülsenbeck prophezeite, „dass in Potsdam die Dauer der arbeitsgerichtlichen Verfahren länger dauern wird. Es wird umständlicher für die Bürgerinnen und Bürger.“ Denn aus Brandenburg/ Havel für Gerichtstage anreisenden Arbeitsrichter würden künftig Termine sammeln. 

Hülsenbeck ist einer von zwölf Fachanwälten aus ganz Brandenburg, die jüngst in einem Brief an die Abgeordneten der Regierungsfraktionen gegen die Pläne protestiert und andere Lösungen gefordert haben, ohne Erfolg. „Das Mindeste wäre doch, dass man auch in Potsdam, so wie in Eberswalde auch, eine Außenkammer einrichtet“, so Hülsenbeck. 

Gerichtstage seien ein Instrument für dünnbesiedelte Regionen, „in der Landeshauptstadt dagegen ein Anachronismus.“ Zuletzt hatte Pete Heuer, (SPD) Präsident der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung wegen der hohen Fallzahlen den Erhalt des Arbeitsgerichtes in der Landeshauptstadt gefordert: „Die Vernunft gebietet es ohnehin.“

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