zum Hauptinhalt
Wilfried Peters.

© Carsten Holm

Verbot von "Querdenken"-Demonstration gekippt: Der Mann, auf den Deutschland schaute

Wilfried Peters ist Vize-Präsident des Verwaltungsgerichts in Berlin, seine Kammer hat die Großdemo gegen die Corona-Politik erlaubt. In Potsdam lehrt er an der Universität.

Von Carsten Holm

Herr Peters, Sie leben und arbeiten in Berlin. Zu Potsdam haben Sie eine besondere Beziehung.
Ja. Ich fing am 1. Februar 1999 als sogenannter Probe-Richter am Potsdamer Verwaltungsgericht an. Meine Frau und ich wohnten in Babelsberg.

Seit dem Sommersemester 2010 sind Sie auch Lehrbeauftragter an der Potsdamer Juristischen Fakultät. Wird die Nebentätigkeit angemessen bezahlt?
Ich mache das ehrenamtlich, honorarfrei. Als Dank werde ich einmal im Jahr zu einem Fakultätsessen eingeladen. Mir bereitet es sehr viel Freude, junge Juristen zu unterrichten, erst recht an der schönen Fakultät in Potsdam. Es ist ja nur ein Lehrauftrag pro Semester, etwa mit einem Examinatorium im Öffentlichen Recht, in dem ich die Studentinnen und Studenten auf die mündliche Prüfung vorbereite oder mit einem Colloquium zum Aufenthalts- und Asylrecht.

Die Klischees, die zu Ihrer Studentenzeit über Jura-Studenten verbreitet wurden, waren nicht nur positiv: Junge Karrieristen, konservativer, weit besser gekleidet als andere Studierende. Wie sehen Sie sich selbst im Rückblick?
Ich gehörte zum Mainstream, ich war keiner der Unangepassten. Ich habe darauf hingearbeitet, mein Studium gut abzuschließen.

Mit welcher Note ist das gelungen?
Ich war sehr zufrieden.

Welche Erfahrungen machen Sie mit der heutigen Generation von Jura-Studierenden?
Sie unterscheiden sich nicht wesentlich von denen meiner Studentenzeit. Die meisten haben ihren Studienabschluss fest im Blick. Sie streben an, was jeder Jurist anstrebt: ein Prädikatsexamen.

Ein Vollbefriedigend, die sogenannte Richternote.
Ja. Sie ist die Voraussetzung für die Bewerbung als Richter, aber auch für eine Beschäftigung in Großkanzleien.

Ihre Studierenden bewerten Ihre Lehre mit Bestnoten. Den PNN liegt ein sogenannter Ergebnisbericht eines Kurses zum Asyl- und Aufenthaltsrecht vor. 86 Prozent beurteilen darin ihre Veranstaltung mit „sehr gut”, 14 Prozent mit „eher gut”. Mit der „Art und Weise des Lehrenden” waren 100 Prozent „völlig zufrieden”. Hat sie das überrascht?
Nicht völlig. Ich bin gehalten, ein Feedback zu erfragen. Ganz unbescheiden: Die Bewertungen sind durchweg gut. Ich begrüße diese Form der Evaluierung sehr. Zu meiner Studentenzeit haben es sich Dozenten eher verbeten, beurteilt zu werden.

[Die Potsdamer Neuesten Nachrichten informieren Sie im Newsletter "Potsdam Heute" montags bis samstags am frühen Morgen direkt aus der Landeshauptstadt per E-Mail in Ihre Mailbox über alles, was in Potsdam und Brandenburg wichtig ist. Starten Sie informiert - und gut unterhalten - in den Tag. Melden Sie sich gleich hier kostenlos für unseren Newsletter "Potsdam Heute" an. Wir freuen uns auf Sie!]

Auch von 2001 bis 2003 zahlten Sie Ihre Steuern in Potsdam. Sie waren Referent im brandenburgischen Justizministerium und bei der Verwaltung des Landtags.
Das war während meiner sogenannten Erprobung für ein Beförderungsamt als Richter. In der Landtagsverwaltung habe ich 2002 und 2003, auch in zahlreichen Ausschusssitzungen, die kommunale Gebietsreform begleitet...

...die 2003 in Potsdam zur Eingemeindung von Fahrland, Neu Fahrland, Groß Glienicke, Marquardt und Golm führte.
Ja. Es war eine wirklich radikale Flurbereinigung bei den Gemeinden. Sie hat dem bis dahin zu kleinteilig gegliederten großen Land gut getan.

Sie sind Vorsitzender Richter der 1. Kammer des Berliner Verwaltungsgerichts, die für Aufgabenbereiche wie das Verfassungsschutz-, das Polizei- und das Versammlungsrecht zuständig ist. Ihre Kammer hat beispielsweise entschieden, dass die AfD-Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) und der sogenannte Flügel im Verfassungsschutzbericht als Verdachtsfälle eingestuft werden dürfen. Eine hochpolitische Entscheidung in einer Zone zwischen Recht und Politik.
Wenn wir entscheiden, ob wir dem Bundesinnenministerium gestatten, eine Partei in einem Bericht als rechtsextremistischen Verdachtsfall zu bezeichnen, geht es allein um eine Rechtsfrage. Wir beurteilen den Sachverhalt nicht subjektiv als Staatsbürger, denen eine politische Auffassung angenehm oder unangenehm ist, sondern entscheiden nach Recht und Gesetz.

Wie schafft man das: unbefangen zu sein angesichts von Rechtsextremisten?
Wir prüfen, ob es belegbare und belastbare Tatsache oder zumindest Indizien gibt, die ein solches Urteil rechtfertigen. Bei der JA und dem Flügel wird nach unseren Erkenntnissen ein völkisch geprägter Begriff des deutschen Volkes zugrunde gelegt, der auf ethnischer Abstammung basiert. Personen, die deutsche Staatsangehörige sind, aber nicht die richtige ethnische Herkunft haben, sollen ausgegrenzt werden. Das ist eine antidemokratische Auffassung.

Sie sind oft mit Grundwerten beschäftigt. Die JA verstoße gegen die Menschenwürde, hieß es in Ihrem Beschluss. Aufgrund welcher Fakten kommt das Gericht zu einer solchen Entscheidung?
Sehr akribisch hat das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Vielzahl von Indizien gesammelt und uns das Ergebnis übermittelt. Alle Unterlagen stammten aus öffentlich zugänglichen Quellen. Die Klägerseite kann alles einsehen und Stellung nehmen.

Das hat die Bewertung der Kammer nicht verändert.
Nein. Das reichte nicht aus.

Ihre Kammer hat Ende April in zwei Eilverfahren einen für den 1. Mai geplanten Auto-Protestkorso mit 20 Teilnehmern erlaubt, eine angemeldete Demonstration mit 200 Teilnehmern jedoch nicht. Erklären Sie uns, warum?
Dies geschah in einer Zeit, als wegen der hohen Fallzahlen Anlass bestand, Versammlungen nach der Zahl der Teilnehmer einzuschränken. Uns kam dies aber bei einem Autokorso nicht überzeugend vor.

Weil dabei Einzelne in Autos sitzen und die Möglichkeit, andere zu infizieren, gering ist?
Ja. Sie strebt nach unserer Auffassung gegen Null. Deswegen ging das Verbot aufgrund der Eindämmungsverordnung zu weit, und deswegen haben wir nur für diesen Korso eine Ausnahme erlaubt.

Regieren Richter auf diese Weise faktisch nicht mit?
Nein. Regieren ist exekutives Gestalten, es werden Weichen in eine bestimmte Richtung gestellt. Wir prüfen aufgrund von Normen, die Parlamente beschlossen haben, im Einzelfall, ob Entscheidungen einer Behörde richtig waren.

Verwaltungsrichter bleiben im Vergleich zu Strafrichtern fast immer im Hintergrund. Das änderte sich für Sie schlagartig, als die Initiative Querdenken in Berlin eine Großdemonstration gegen die Corona-Politik anmeldete, die die Polizei verbot. Das Verbot haben Sie am 28. August als Vorsitzender Richter der 1. Kammer gekippt und die Demo erlaubt. Die Bild-Zeitung schrieb über Sie: „Auf ihn schaute ganz Deutschland”. Waren Sie davon überrascht?
Ich war von der Dimension der Reaktion auf die Entscheidung schon ein wenig überrascht. Das Gericht blendet die Frage der öffentlichen Wirkung seiner Urteile professionell aus, sie soll die Entscheidungsfindung nicht berühren.

Bundesweite Aufmerksamkeit. Das Verwaltungsgericht hob das Verbot der Großdemonstration gegen die Corona-Regeln in Berlin Ende August auf.
Bundesweite Aufmerksamkeit. Das Verwaltungsgericht hob das Verbot der Großdemonstration gegen die Corona-Regeln in Berlin Ende August auf.

© L. Dubro/dpa

Lehrer, Automechaniker und auch Journalisten unterhalten sich in der Mittagspause über ihre Arbeit. Haben Sie das Urteil mit Kollegen außerhalb Ihrer Kammer diskutiert?
Das ist bei Gericht nicht die Regel. Es sagt schon mal ein Kollege, dass wir eine weitreichende Entscheidung getroffen hätten. Eine Kultur des wechselseitigen Belobigens und Kritisierens aber gibt es nicht so stark. Das geschieht mehr in der jeweiligen Kammer, in der wir uns auch fragen, was wir hätten besser machen können.

Das Oberverwaltungsgericht hat Ihr Urteil ein paar Stunden später im Wesentlichen bestätigt. Richter erlauben es sich höchstselten, über Gefühle zu sprechen. Sie haben mit Ihrer Kammer an jenem Tag aber an einem neuralgischen Punkt ein elementares demokratisches Grundrecht durchgesetzt. Blickt man an einem solchen Abend nicht zufrieden auf den Tag zurück?
Es gab acht Verfügungen der Polizei, mit denen ein Demonstrationsverbot ausgesprochen wurde. Wir und das Oberverwaltungsgericht fanden Gründe, das überwiegend zu beanstanden. Dass es in einer politisch recht aufgeladenen Situation möglich ist, eine Entscheidung der Polizei gerichtlich zu ändern und dass das auf Akzeptanz stößt, hat mich sehr zufrieden gemacht. Es hat gezeigt, dass der Rechtsstaat funktioniert.

Hätte sich Ihre Entscheidung nicht als schwerer Fehler erweisen können, wenn es durch einige Infizierte unter den fast ausschließlich maskenlosen Demonstranten zu einem Superspreader-Ereignis gekommen wäre? Womöglich hätten Sie dann nochmals lesen können: „Ganz Deutschland schaut auf diesen Mann.”
Es war eine Prognoseentscheidung, wir schätzten das Risiko als vertretbar ein. Damit hat sich der Artikel 8 des Grundgesetzes, der die Versammlungsfreiheit garantiert, gegen das Risiko durchgesetzt. Die Gefahrenprognose der Polizei entsprach nach unserer Auffassung nicht den Anforderungen, die das Grundgesetz an ein Verbot stellt.

Angesichts Ihrer Position als Vorsitzender Richter werden Sie mitunter öffentlich bemerkenswert deutlich. In der Ausgabe 6/2020 der Fachzeitschrift Neue Justiz fordern Sie eindringlich, der Bundesgesetzgeber solle einen Blick auf die Rechtsstaatlichkeit des Infektionsschutzgesetzes als Rechtsgrundlage aller Eindämmungsverordnungen werfen. Was sollte geändert werden?
Nach der Auswertung der Erfahrungen des ersten Halbjahres sollte der Gesetzgeber jetzt nachjustieren und spezifischere Regelungen treffen. Die Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe durch Eindämmungsverordnungen sollten gesetzlich genauer festgelegt werden. Aus einer Gesundheitskrise darf keine Krise der Grundrechte werden.

In Ihrem Aufsatz schreiben Sie sinngemäß, der Staat müsse die andauernde Beschränkung von Freiheitsrechten wie dem Verbot von Versammlungen besser begründen. Allein die Fortbewegung mache aus einer Versammlung nicht automatisch einen besonderen Gefahrenherd.
Das ist richtig. Für mich war auch die generelle Begrenzung auf 50 Teilnehmer bei Gottesdiensten, die bis zur Jahresmitte galt, schwer begründbar.

Im Klartext: Falsch, weil nicht begründbar.
Das ist Ihre Interpretation.

Wie lange dauern Verfahren vor Ihrer Kammer?
Das ist sehr unterschiedlich, weil wir es mit einem Mix von höchst unterschiedlichen Verfahren zu tun haben. Bei dem Eilverfahren wegen der Corona-Demonstration war es ein Tag. In den sogenannten Hauptsachen, wenn wir ein Urteil sprechen, streben wir an, innerhalb eines Jahres zu entscheiden. Das schaffen wir nicht immer.

Wie viel Prozent der Verfahren haben Erfolg?
Wir führen darüber wegen der Unterschiedlichkeit der Verfahren keine laufende Statistik. Entscheiden wir wirklich streitig, mag die bei zehn Prozent liegen.

Vor dem Verwaltungsgericht ist der Bürger also ziemlich chancenlos.
Der Eindruck könnte entstehen. Aber man muss sich klarmachen, dass wir eine Kontrollinstanz für eine Verwaltung sind, die ihrerseits mit fachkundigen Beamten und Juristen besetzt ist. Die streben an, keine fehlerhaften Entscheidungen zu treffen. Eine hohe Erfolgsquote bei uns wäre ein katastrophales Zeugnis für die Verwaltungen. Wir sind eine Art Qualitätskontrolle.

Sie richten, Sie sind Verfasser etlicher juristischer Fachbücher, Sie unterrichten an der Potsdamer Uni, und Sie haben eine Familie. Bleibt da Zeit für ein Hobby?
Ich mache viel Sport und rudere im Berliner Ruder-Club.
Wie weit rudert man als veritabler Rudersmann?
Der Ruder-Club ist am Kleinen Wannsee beheimatet. Wir rudern zum Beispiel bis zum Schloss Babelsberg.

Auch auf dem Wasser zieht es Sie also nach Potsdam. Wie viele Kilometer legen Sie bei dieser Tour mit Ihrer Crew zurück?
Zwölf. Mal im Achter, mal im Sechser oder auch im Vierer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false