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Uwe Kamp vom Kinderhilfswerk im PNN-Interview: „Für mehr Durchmischung sorgen“

Uwe Kamp vom Kinderhilfswerk spricht im PNN-Interview über mangelnde Angebote für bedürftige Kinder - und über Bildungsdefizite.

Herr Kamp, wie viele Kinder müssen in diesem Jahr in Deutschland zu Hause bleiben, weil sich ihre Eltern keinen Urlaub leisten können?

Wir haben keine aktuellen Zahlen, aber wir wissen, es sind sehr, sehr viele. Etwa drei bis 3,5 Millionen Kinder – ein Viertel aller Unter-18-Jährigen bundesweit.

Gibt es denn nicht ausreichend Förderprogramme für sie?

Es gibt Förderprogramme, sie werden auch von vielen Familien in Anspruch genommen. Zehn von 16 Bundesländern etwa zahlen Landeszuschüsse, darunter auch Brandenburg. Da können die Eltern direkt Anträge stellen. Doch die Antragsmöglichkeiten sind sehr unterschiedlich. Meist richten sie sich nach dem Einkommen der Eltern. Für Familienreisen gab es 2016 in Brandenburg pro Tag und Person acht Euro Zuschuss – für 14 Tage also 112 Euro pro Person.

Es wird immer beklagt, dass die Angebote der Ferienfreizeiten bei den Empfängern gar nicht richtig ankommen.

Das stimmt! Ferienfreizeiten werden sehr stark von Mittelschichtskindern in Anspruch genommen, da, wo die Eltern in der Lage sind, solche Angebote zu identifizieren. Die Eltern der bedürftigen Kinder wissen häufig nichts über ihre Möglichkeiten. Das hat vielfach mit ihrer sozialen Kompetenz, auch der Sprachkompetenz, zu tun. Aber es wäre auch eine Aufgabe beispielsweise der Pfadfinder- und Jugendverbände, dort für mehr Durchmischung der Gruppen zu sorgen – so wichtig, wie es auch für die anderen Kinder ist, die diese Angebote jetzt wahrnehmen. Wir wünschen uns hier eine bessere Abbildung der Realität, gerade für Kinder mit Migrationshintergrund.

Führt auch die Vielfalt der Angebote zu Problemen?

Ja! Früher war klar: die Jungs spielen Fußball. Man war in einem Team, das schweißte zusammen. Doch heute sind die Angebote so vielfältig, dass die Menschen vereinzeln. Ein soziales Miteinander gibt es an vielen Stellen so nicht mehr. Individualisierung bringt auch Ellbogenmentalität hervor – das stellen wir bei unseren Angeboten immer wieder fest. Schön wäre, man könnte in den Ferien miteinander spielen, basteln oder singen, dann hat man nach den Ferien ein anderes Verständnis füreinander. Auch in dieser Hinsicht bildet Reisen. Und die Kinder erleben Neues, begegnen anderen Kulturen, erleben eine Gruppe, müssen miteinander klarkommen.

Reicht denn die Zahl der Angebote für Kinder und Jugendliche?

Nein! Die Zahl der Angebote geht insgesamt zurück. Nur noch fünf Prozent der Mittel für Kinder- und Jugendhilfe insgesamt werden für den Bereich der Kinder- und Jugendarbeit ausgegeben, denn wir haben in den vergangenen Jahren vor allem in Kitas investiert. Auf Bundesebene sind in den letzten zehn Jahren rund 20 Prozent der Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit weggefallen, von 2006 bis 2015 wurden über 3200 Jugendhäuser, Abenteuerspielplätze und Spielmobile eingespart. Natürlich haben wir weniger Kinder als früher, doch die Angebote gehen überproportional zurück – weil man dort den geringsten Widerstand erwartet.

Hat das Kommunalwahlrecht für Jugendliche da nichts gebracht?

Nein, die Partizipationsmöglichkeit der Jugendlichen in diesem Bereich hat sich noch nicht dahingehend niedergeschlagen, dass die Politik ein größeres Augenmerk für ihre Anliegen hat. Wir hoffen aber, dass sich das irgendwann ändert.

Wo müsste man ansetzen, um die Jugendlichen für ihre Interessen zu mobilisieren?

Seit dem Pisa-Schock werden die naturwissenschaftlichen Fächer gegenüber den anderen sehr stark gefördert. Wir leben immer noch in einer sehr gut funktionierenden Demokratie, doch die steckt nicht in unseren Genen. Sie muss schon sehr frühzeitig in der Familie und in den Kitas eingeübt werden, und wir müssten in der Schule den Fokus auch wieder mehr auf die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer setzen.

Die Fragen stellte Stefanie Schuster

Uwe Kamp, 55, ist seit 2012 Pressesprecher beim Deutschen Kinderhilfswerk. Zuvor war der gebürtige Osnabrücker für die gleiche Organisation als Referent für Kinderpolitik tätig.

Stefanie Schuster

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