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Nicht jeder achtet auf das Tragen eines Mund-Nasen-Schutz in bestimmten Bereichen des öffentlichen Lebens. 

© Andreas Klaer

Unterwegs als "Corona-Polizist": Die Mit-Ohne-Bürger

Ein PNN-Autor hat in der Corona-Zeit eine dunkle Seite an sich entdeckt: den Ordnungshüter. Ein sehr persönlicher Bericht über seine Erfahrungen mit Maskengegnern.

Von Carsten Holm

Ja, ich habe mich durch Corona verändert. Ich bin, ehrenamtlich, ein Corona-Polizist geworden. Keine Uniform, kein Dienstgrad, keine Waffe – außer der Kraft des Wortes. Der Auftrag: selbstgestellt. Die Rechtsgrundlage: Vernunft. Die Zielgruppe: die Mit-Ohne- Bürger. Die Aufgabe: Ermahnung von Bürgern bei Verstößen gegen die Maskenpflicht. Die Dienstzeit: täglich. Das Honorar: keines.

Frühjahr 2020. Im Bus am Platz der Einheit. Zwei maskenlose Frauen, Anfang 20, unterhalten sich zunächst auf Türkisch. Ich spreche sie an. „Hör’ auf mit Corona“, sagt eine, „alles Verarsche. Ich bin jung. Mich erwischt es sowieso nicht. Nur Ältere sterben.“ Grinsend fügt sie hinzu: „Und du bist älter.“ Ich antworte: „Mal abgesehen, dass du dich nicht benehmen kannst: Ich wünschte, es wäre andersrum.“

10. Juli 2020. 300 Corona-Leugner demonstrieren vor dem Potsdamer Verwaltungsgericht für Bodo Schrank, einen der bekannteren Verschwörungstheoretiker. Alle ohne Maske, Abstand 30 bis 80 Zentimeter. „Sie tragen keine Maske, haben Sie keine Angst vor Corona?“, frage ich eine gut 40-jährige Frau, Strickjacke im Hippielook, rote Haare. Laut lacht sie mich aus: „Hahahahaha! Corona? Eine Grippe ist das, weiß doch jeder. Und gucken Sie morgen mal in die Zeitung, was da wieder alles über Corona steht.“

November 2020. Tram 96. Haltestelle Brandenburger Straße. Eine hagerer Mann, vielleicht Mitte 40, sitzt mir da am späten Abend ohne Maske gegenüber. Ich sage: „Sie haben keine Maske! Soll ich Ihnen eine schenken?“, was ein Bluff ist. Der Mann, der ein weiches sanftes Gesicht hat, grinst mich an: „Wenn du eine Maske trägst, bis du schon reingefallen. Dieser ganze Corona-Scheiß. Alles Lüge.“ 

Ich antworte: „Trotzdem gilt auch für dich Maskenpflicht.“ Sagt er: „Ich mach’ doch nicht jeden Scheiß mit, den die beschließen.“ Ich frage: „Fährst du auch 80 in Spielstraßen, wenn dir danach ist?“ Sagt er: „Die wollen uns doch nur kontrollieren.“ Ich frage: „Wozu?“. Er antwortet: „Um die Macht über uns zu bekommen.“ Ich frage: „Und was machen sie dann mit der Macht?“ Nun hat er genug: „Mir dir kann ich nicht reden. Du hast nichts begriffen.“

November 2020. Sechs junge Leute, wohl 15 bis 18 Jahre alt, sitzen dicht an dicht vor dem Späti in Babelsberg. Maskenlos. Ich frage sie, ob die Maskenpflicht schon wieder aufgehoben sei. Sie lachen laut. „Nee“, sagt einer, „aber wir sind alle miteinander verwandt.“

Dezember 2020. Tram 92. Ein Mann, um die 20, steht ohne Maske an der Tür. Ich frage: „Ist Ihnen bekannt, dass eine Maskenpflicht besteht?“. Er nuschelt etwas, das wie „Idiot“ klingt. Ich sage: „Sie verhalten sich asozial.“ Er verlässt die Tram am Rathaus, raunt: „Vollidiot.“ Mit äußerst sanfter Stimme sagt eine Frau mit Maske, Anfang 30, Typ selbstgestrickter Pulli im Regenbogenlook: „Ich find’ das irgendwie nicht gut, wie Sie den eben ausgegrenzt haben.“ Ich frage sie barsch: „Wer grenzt hier wen aus?“ Hinter ihrer Maske meine ich Entsetzen auszumachen. Ich befürchte, dass gleich Tränen fließen – wegen der Ausgrenzung.

In Potsdam herrscht vielerorts Maskenpflicht.
In Potsdam herrscht vielerorts Maskenpflicht.

© Ottmar Winter

November 2020. Tierarztpraxis. Hundebesitzerin mit wunderschöner Dogge. Sie ohne Maske. „Ist das hier nicht Pflicht?“, frage ich. „Ich mach’ da nich’ mit“, sagt sie, „es sterben mehr Leute an Krankenhauskeimen. Und die Zahlen vom Robert-Koch-Institut? Fake News!“ – „Warum sollten die falsch informieren?“ – „Bill Gates lässt Impfstoff entwickeln. Und der sponsert das RKI.“ – „Das ist mir neu.“ 

Dann google und google ich, und dann habe ich es. „Sie haben Recht“, sage ich, „im November 2019 hat die Gates-Stiftung dem RKI 253 000 Dollar für die Entwicklung des Pocken-Impfstoffs gezahlt.“ Sie grinst triumphierend: „Sage ich ja!” – „Was glauben Sie: War das gut oder war das schlecht für die Pocken-Forschung?“, frage ich, „und ist das viel bei 112 Millionen für das RKI aus dem Bundeshaushalt oder eher wenig?“ – „Lassen Sie mich doch in Ruhe“, sagt die Frau und krault die Dogge.

Dezember 2020. Spät am Abend, S7 nach Potsdam-Hauptbahnhof. Schräg gegenüber fläzt sich ein Mann ohne Maske in die Polster, Typ Alt-68er, vielleicht gut 50 Jahre alt, orangefarbenes T-Shirt, modisch durchlöcherte Jeans. Ein Bein auf dem gegenüberliegenden Sitz. Ich mag es nicht, wenn schmutzige Schuhe auf S-Bahn-Sitze gestellt werden. Aber das ist nicht mein Zuständigkeitsbereich. 

Ich weise ihn auf die Maskenpflicht in der Bahn hin. Er lächelt selig wie steinerne Garten-Buddhas lächeln, erleuchtet oder knapp davor. Im Zeitlupentempo macht er eine wegwerfende Handbewegung: „Wenn die Menschen nicht erwachen, dann sind wir bald komplett versklavt.“ „Und ohne Maske, das hilft dagegen?“ „Das ist unser Widerstand“, sagt er.

Januar 2021. Gegenüber des Döner-Ladens in der Friedrich-Ebert-Straße. Drei Jungen, um die 14, 15 Jahre alt, stehen ohne Masken herum. Ich frage sie, ob die Maskenpflicht inzwischen aufgehoben sei. „Ich muss keine Maske tragen“, sagt der Frechste. „Warum? Bist du geimpft?“ – „Ja.“- „Dafür bist du zu jung“. - „Nein“, antwortet er, „meine Mutter ist Ärztin im Bergmann, die hat dafür gesorgt“.

Ich sehe ihn so ernst an, wie es mit einer Maske möglich ist: „Dann rufe ich jetzt die Polizei. Wenn das stimmt, ist sie sofort ihren Job los.“ Das maskenfreie Gesicht erbleicht. Der Junge ist so schockiert, dass er mir leid tut. Schließlich bin ich auch als Polizist kein Unmensch.

Am nächsten Tag direkt am Döner-Laden. Fünf Jugendliche, vielleicht 15 bis 17. Kopf an Kopf, ohne Maske. Für geübte Aerosole ein kurzer, schneller Hüpfer vom einen zum anderen. „Habt Ihr keine Angst vor Corona?“, frage ich. „Stay cool, Mr. Panic“, antwortet einer, „und verpiss’ dich“. Ich gehe weiter.

Februar 2021. Tramlinie 92. Zwei Männer, etwa Mitte 20, sitzen in den Abendstunden nahe der Haltestelle Rathaus ohne Maske da, die anderen etwa 30 Fahrgäste tragen eine. Es ist das einzige Mal im Dienst als Corona-Polizist, dass ich Maskensünder unbehelligt lasse. Der Grund: kahlgeschorene Schädel, Typ durchtrainierte Türsteher. Ich bin mir recht sicher, dass meine hauptamtlichen Kollegen von der Polizei, wären sie hier, funkend um Verstärkung bitten würden, um die Verordnung gegen die Kahlschädel durchzusetzen. Ich billige ihnen jetzt das Recht der Stärkeren zu und schweige.

Februar 2021. Ein Samstag. Ich mache mich auf den Weg zum Fischhändler auf dem Markt am Nauener Tor. Drei junge Männer, wohl Mitte bis Ende 20, stehen in der langen Schlange hinter mir. Zwei tragen ihre FFP2-Maske korrekt, der Dritte hat sie bis unter die Nasenlöcher hinuntergezogen. Ich frage ihn, ob er wisse, warum die Nase bedeckt sein müsse. Grinsend antwortet er: „Logo. Damit man erstickt.“ Die beiden anderen feixen. Ich unterdrücke mein Grinsen. Die drei erörtern, warum die Fischverkäufer ohne Maske arbeiten und den Fischen „den ganzen Tag Aerosole auf die Schuppen husten dürfen”. 

Aber was tun? Ich kann keine Personalien feststellen, kann keine Anzeige schreiben. Nichts kann ich. Ich kann ihn zur Strafe nur beleidigen. „Ich frage mich, wie man sich nur so asozial verhalten kann“, sage ich also. Drei Minuten später, am Tresen. Ich drehe mich zu den Männern um. Der Nasenfreie hat die Maske über die Nase gezogen. Ich habe das Recht durchgesetzt. Gewaltfrei.

Ende Februar 2021. In einer Apotheke steht eine elegant gekleidete Frau, Mitte 50, an der Kasse, ihr Begleiter, der offensichtlich erheblich weniger Geld für Klamotten ausgibt, neben ihr. Sie trägt keine Maske, er hat seine bis unter die Lippen gezogen. „Wenn Sie die Maske so tragen, können Sie die auch ganz abnehmen“, sage ich. Er ist seit seiner Kinderzeit Trotzkopf geblieben, jetzt schiebt er die Maske grinsend unter das Kinn. Dann stellt mir die Elegante die Seins-Frage: „Sind Sie Polizist?“ „Ja”, sage ich. „Ihren Dienstausweis bitte“, fährt sie mich an. „Ich habe dienstfrei”, sage ich, „aber Sie wissen, dass Sie eine Maske tragen und Mund und Nase bedecken müssen?“

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Das ungleiche Paar wartet draußen auf mich. „Ihr Motorrad steht zu nah am Fahrradstreifen”, sagt die Elegante, „ich habe die Nummer aufgeschrieben.“ Dann reckt sie ihr Kinn so hoch, wie es irgend möglich ist, zieht die Augenbrauen an den oberen Rand der schon etwas faltigen Stirn und sagt mit einem überlegenen Lächeln: „Ich arbeite nämlich im Innenministerium.“ Das beeindruckt mich. Das leibhaftige Innenministerium! Nur zweieinhalb Meter von mir entfernt. Zur Respektsbezeugung verbeuge ich mich so tief es mir möglich ist: „Verzeihen Sie! Hätte ich das nur gewusst! Dann sind sie ja vielleicht sogar zwei, drei Besoldungsgruppen oder noch mehr über mir.“

März 2021. Wieder S7. Mir gegenüber ein Pärchen, Ende 30. Die Masken unterm Kinn. Ich bitte sie, Mund und Nase zu bedecken. „Warum?“, fragt der Mann. „Weil ich nicht von Euch angesteckt werden möchte.“ – „Du glaubst wohl auch alles, was du im Fernsehen siehst, wa? Du lässt dich bestimmt auch impfen, wa?“. „Klar“, sage ich, „aber ich lasse mir dann auch gleich einen Microchip einpflanzen. Das tut nicht weh. Und wenn ich dann mit meinem Motorrad vom Weg abkomme und im Wald hinknalle, können sie mich ganz schnell orten und retten.“ „Willst du mich verarschen?“, fragt der Mann. „Das erzähl’ ich dir beim nächsten Mal“, sage ich.

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