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Schwanger - was nun? Beratungsstellen für Frauen haben in Potsdam auch während der Corona-Pandemie geöffnet.

© Foto: Mascha Brichta/dpa-tmn

Unterstützung für Frauen: Mehr als 1500 Schwangere suchten Beratung

Viele Frauen wissen nicht weiter, wenn sie ein Kind erwarten. Trotz der Corona-Pandemie bleiben die Potsdamer Beratungsstellen deshalb geöffnet.

Von Carsten Holm

Potsdam - Für viele Frauen ist die Freude auf ein Kind die Erfüllung ihres Lebensglücks. Was aber, wenn eine 16- oder 17-Jährige ungewollt schwanger wird, erst jedoch Schule oder Lehre beenden will? Was, wenn die Beziehung der Eltern vor der Geburt zerbricht? Wie leidet eine Frau, die ihrem Kind Armut nicht zumuten will? Und: Wer hilft Schwangeren, wenn ihr Baby behindert geboren werden wird?

Fast 700 Frauen suchten 2019 eine Beratungsstelle auf

In Potsdam leben nicht wenige Frauen, die nicht weiterwissen, wenn sie schwanger geworden sind. Für sie gibt es ein erprobtes Netz von Hilfsorganisationen, die auch in Corona-Zeiten ihre Arbeit nicht eingeschränkt haben. Die meisten beraten seit der ersten Welle der Pandemie in der Regel telefonisch, aber nicht minder intensiv.

Der Bedarf ist auch in Potsdam groß. Die Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor, aber allein 2019 suchten 684 Schwangere, die über eine Abtreibung nachdachten, die örtlichen Expertinnen von pro familia, des DRK, des Evangelischen Jugend- und Fürsorgewerks (EJF) und von Donum Vitae für eine sogenannte Konfliktberatung auf. Exakt weitere 900 wollten ihr Kind bekommen, sich aber trotzdem beraten lassen. Die Konfliktberatung ist die Voraussetzung für den gesetzlich vorgeschriebenen Beratungsschein, der einen Abbruch bis zur zwölften Woche erlaubt.

Immer noch ein Tabu. Nicht selten kommen Frauen von außerhalb in die Potsdamer DRK-Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familienplanung und Sexualität, sagt Expertin Britta Warnsholdt.
Immer noch ein Tabu. Nicht selten kommen Frauen von außerhalb in die Potsdamer DRK-Beratungsstelle für Schwangerschaft, Familienplanung und Sexualität, sagt Expertin Britta Warnsholdt.

© Ottmar Winter PNN

Und dennoch: „Nicht jede Frau, die zur Konfliktberatung kommt, steht unter Druck, nicht jede ist in einem persönlichen Dilemma”, sagt die Diplom-Sozialarbeiterin Britta Warnsholdt von der Beratungsstelle des DRK, „manche sind klar entschieden oder haben ganz andere Konflikte als die Schwangerschaft.” Nach der Erfahrung der Diplom-Sozialpädagogin Heike Haseloff vom EJF an der Lindenstraße „wissen rund 80 Prozent der schwangeren Frauen, was sie wollen, wenn sie in eine Konfliktberatung kommen”.

Warnsholdt: „Bauen keinen moralischen Druck auf”

Das Wichtigste für ratsuchende Schwangere: niemand wird versuchen, sie umzustimmen. „Wir bauen keinen moralischen Druck auf”, sagt DRK-Frau Warnsholdt, „wir beraten wirklich ergebnisoffen” – wie es das Gesetz vorschreibt. Auch für ihre Kollegin Haseloff ist klar: „Jede Frau entscheidet selbst darüber, ob sie die Schwangerschaft austragen möchte.” Das gelte „auch für minderjährige Frauen”.

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Für manche schwangere Frauen scheint Potsdam ein Fluchtpunkt zu sein. Einige kommen aus den Städten und Dörfern der Umgebung zur Beratung, weil sie die größere Anonymität der Landeshauptstadt schätzen. „Der Schwangerschaftsabbruch ist noch immer ein Tabuthema”, weiß Warnsholdt.

Schwanger mit über 50 Jahren

Dörte Richter von pro familia hat beobachtet, „dass unsere Klienten in der Coronazeit erkennbar mehr belastet waren als sonst”. Oft sei die finanzielle Lage der Grund, wenn etwa ein befristeter Arbeitsvertrag auslaufe oder im Fall einer Schwangerschaft nicht verlängert werde: „Das Mutterschutzgesetz schützt diese Frauen nicht.” Im Lauf ihrer 15-jährigen Beratungsarbeit war ihre jüngste Klientin 13 Jahre alt, die Älteste „deutlich in den Fünfzigern”. Schwanger mit über 50 Jahren? „Ja”, erzählt Richter, „manche der älteren Frauen haben die Wechseljahre hinter sich, dann taucht eine neue Liebe auf, und sie werden nochmals schwanger.”

Beratung über finanzielle Unterstützung

Das Gros der Frauen, welche die Beratungsstellen oft in Begleitung ihres Partners aufsuchen, will nicht abtreiben. Sie wollen sich aber unter anderem über die mögliche finanzielle Unterstützung informieren. Dafür sind die Beraterinnen Fachfrauen: Sie wissen beispielsweise, dass das Jobcenter bei der Berechnung des Bedarfs einer alleinstehenden jungen Mutter 330 Euro nicht auf das Elterngeld anrechnen kann, und dass das Center eine hohe Miete, die über der „angemessenen” liegt, in der Regel erst einmal sechs Monate weiterzahlen muss. Die Expertinnen kennen alle Möglichkeiten, staatliche Hilfen für ihre Klientinnen zu erhalten – auch, wann während der Elternzeit ergänzend zu Kinder- und Wohngeld Arbeitslosengeld II fließen kann.

Auch für Kinderwagen, Kinderbetten und Bekleidung gibt es bei Nachweis Zuschüsse.
Auch für Kinderwagen, Kinderbetten und Bekleidung gibt es bei Nachweis Zuschüsse.

© Robert Schlesinger dpa/lbn

Auswege aus finanzieller Not sind möglich. „Vor allem bei Frauen, die alleinerziehend sein werden, können wir berechnen, wie viel Geld sie zur Verfügung haben, wenn das Kind da ist und sie in der Elternzeit auf ergänzende Hilfen angewiesen sind”, sagt EJF-Beraterin Haseloff. Nicht selten höre sie dann von den Frauen: „So viel bleibt übrig? Das ist ja so viel, wie ich jetzt verdiene.” Von den vielen Hilfen, die es für Schwangere gibt, wissen nur wenige. So unterstützt die „Bundesstiftung Mutter und Kind – Schutz des ungeborenen Lebens” schwangere Frauen in Notlagen, rund 150 000 werden jährlich gefördert. Es gibt Zuschüsse für Kinderwagen, Kinderbett und Bekleidung, wenn die Eltern ein geringes Einkommen haben, arbeitslos oder Studenten sind. Nur: Der Antrag muss vor der Geburt gestellt werden, was kaum jemand weiß.

Vertrauen bei den Gesprächen ist wichtig

Viele Fachfrauen wie Heike Haseloff haben die staatlich erzwungene Beratung zunächst abgelehnt. Gerade eine Konfliktberatung, so die Überzeugung vieler Experten, könne nur erfolgreich sein, wenn sie freiwillig erfolge. Sie hat ihre Haltung inzwischen revidiert: Wenn es gelinge, Vertrauen aufzubauen, könnten Mädchen und Frauen bei ihrer Entscheidung für oder gegen eine Schwangerschaft unterstützt werden. Häufig höre sie nach dem Ende der Beratung, dass sie gut und hilfreich gewesen sei. „Ohne Beratungspflicht”, so Haseloff, „wären diese Frauen sicher nicht zu uns gekommen.“ 

Hat eine Frau den Beratungsschein für einen Schwangerschaftsabbruch erhalten, gibt sie noch einen Rat: „Sie können ihn jederzeit zerreißen, auch noch am Tag des Abbruchs. Wenn Sie das tun, können Sie gern wiederkommen. Wir beraten Sie dann schwangerschaftsbegleitend zu allen wichtigen Fragen.“ 

Manchmal geschieht das. Haseloff hat erlebt, dass sich eine Frau nach einer Konfliktberatung gegen ihr Kind entschied – und sich ein paar Wochen später mit ihrem Partner zur schwangerschaftsbegleitenden Beratung anmeldete: „Das ist ein schöner Moment.” Auch Dörte Richter von pro familia traf längere Zeit nach einer Konfliktberatung in Potsdam eine Frau, die ihr Kind eigentlich nicht bekommen wollte. An einer Hand hielt sie ein Kleinkind. „Das haben Sie gutgemacht”, sagte die junge Mutter zu ihr. „Das hat mich angerührt”, sagt Richter.

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