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Abschluss in der Tasche. Am Uni-Standort Neues Palais haben Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber (Mitte rechts) und der Präsident der Universität Potsdam Oliver Günther (Mitte links) am Donnerstag die diesjährigen Absolventen feierlich verabschiedet.

© Andreas Klaer

Uni Potsdam: Aufruf zum „Humanismus 4.0“

Klimaforscher Schellnhuber appellierte eindringlich an die 3200 Absolventen der Universität Potsdam. Was seine Botschaft ist:

Potsdam - Appell an die junge Generation: Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), rief am Donnerstag die 3253 Absolventen der Universität Potsdam bei deren Verabschiedung dazu auf, die Wahrheit und die Werte von Aufklärung und Humanismus zu verteidigen. Dies sei entscheidend für die Zukunft, denn: „Die Wahrheit ist etwas aus der Mode gekommen und ihre Leugner sitzen mittlerweile sogar in Präsidentenpalästen.“ Die jungen Akademiker müssten daher ihre Stimme für die Wissenschaft und deren Werte erheben, so Schellnhuber.

Es war die bislang vierte offizielle Verabschiedung der Absolventen, die anders als geplant nicht vor der historischen Kulisse der Kolonnaden am Neuen Palais stattfinden konnte, sondern wegen des schlechten Wetters in das Audimax verlegt wurde. Da nicht für alle Besucher Platz war, wurde der Festakt inklusive musikalischer Einlagen des Uni-Chors „Campus Cantabile“ zusätzlich in einen Hörsaal im Haus 8 übertragen. Zu der Verabschiedung erschienen auch Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) sowie die Soziologin Gladys Tzul Tzul, die mit dem Voltaire-Preis ausgezeichnet wurde (siehe Kasten).

Frauenstarker Jahrgang

Mehr als die Hälfte der Absolventen dieses Jahrgangs seien Frauen und etwa ein Fünftel im Lehramt, betonte Oliver Günther, Präsident der Universität Potsdam. Weitere 330 Absolventen hatten erfolgreich ihre Promotion verteidigt.

Schellnhuber öffnete in seiner Festrede mit dem Titel „Trans-Anthropozän oder Humanismus 4.0?“ ein großes Panorama möglicher zukünftiger Entwicklungen, auf deren Verlauf die Studierenden Einfluss nehmen könnten und müssten. Der renommierte Klimaforscher ging dabei zunächst auf sein Herzensthema ein, den Klimawandel. Dafür nutzte er den Begriff des „Anthropozäns“, der seit knapp 20 Jahren in der Wissenschaft diskutiert wird: Damit gemeint ist, dass sich die Menschheit nach dem Holozän etwa seit 1950 in einem neuen Erdzeitalter befindet, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. „Eigentlich erwarten wir in etwa 100.000 Jahren eine neue Eiszeit, doch dieser natürliche Eiszyklus ist jetzt schon durch den Klimawandel unterdrückt worden. Daher ist der Begriff des Anthropozäns absolut richtig“, sagte Schellnhuber.

Überlebt die Menschheit?

Es stelle sich daher die Frage, ob die Menschheit und der Planet das Anthropozän überleben werden. Schellnhuber gab zu Bedenken, dass der Grund, warum wir bislang noch kein intelligentes Leben im All entdeckt haben, darin liegen könnte, das technische Zivilisationen möglicherweise nur eine geringe Lebensdauer von wenigen hundert Jahren besitzen. „Das ist bedrückend“, so Schellnhuber.

Leider würden aktuelle Tendenzen dies bestätigen, etwa der geplante Austritt der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. „Währenddessen bastelt sich jeder im Internet seine eigene Wahrheit, obwohl er dabei eine Technologie nutzt, die auf strikt wissenschaftlicher Grundlage gebaut wurde“, sagte Schellnhuber.

Technik zur Überwachung

Die Menschheit scheine sich also von der Aufklärung abzuwenden, was zu der Frage führe: „Wenn die Menschen den Verstand verlieren, sollte man die Vernunft dann einfach den Maschinen überlassen?“, so Schellnhuber. Digitalisierung, künstliche Intelligenz und neuronale Netze seien zwar überaus nützliche Technologien, doch sie würden derzeit vor allem von großen Konzernen wie Google oder von Staaten wie China genutzt, die ihre Bürger überwachen und erziehen wollen, anstatt zur Lösung großer Menschheitsprobleme beizutragen.

Zudem berge das Thema künstliche Intelligenz laut Schellnhuber eine weitere, existenzielle Gefahr: „Es gibt eine letzte Grenze: Wir dürfen das, was wir schaffen, nicht mit einer Seele und Emotionen ausstatten.“ Sonst könnte es sein, dass wir, kurz nachdem wir in das Anthropozän eingetreten sind, es auch schon wieder verlassen, weil uns perfektere, technisch geschaffene Wesen Konkurrenz machen, so Schellnhuber.

Um all diese Szenarien abzuwenden müssten sich jene, die sich der Wissenschaft und der Aufklärung verbunden fühlen, diese aktiv verteidigen und eine zweite Renaissance einleiten, appellierte Schellnhuber: „Diese Begriffe kommen zurück, aber die Wissenschaft hat viel zu lange gewartet, für sich selbst zu sprechen.“ Es brauche einen „Humanismus 4.0“, der nach den drei großen Zivilisationsschüben – Antike, Renaissance und Aufklärung – wieder den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt, damit die Menschheit nicht pervertiere oder untergehe. „Sie müssen Teil dieses Schubes sein und ihm Kraft geben“, richtete Schellnhuber zum Schluss das Wort direkt an die Absolventen.

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Im Rahmen der Verabschiedung der Absolventen der Uni Potsdam wurde auch die aus Guatemala stammende Soziologin Gladys Tzul Tzul mit dem Voltaire-Preis für Toleranz, Völkerverständigung und Respekt vor Differenz, ausgezeichnet. Tzul Tzul hatte öffentlich den Genozid am Maya-Volk der Ixil unter der Präsidentschaft des jüngst verstorbenen Efraín Ríos Montt zwischen 1982 bis 1983 angeprangert. In ihrem Heimatland ist sie daher immer wieder von Verfolgung bedroht. Zu ihrem politischen Engagement zählt auch die Gründung von „Amaq“, einem Institut, das indigenen Völkern Rechtsberatung anbietet. Tzul Tzul hat sich in ihrer Forschung auf die Untersuchung indigener Regierungssysteme – den sogenannten „comunidades“ –, ihrer Machtverhältnisse und den Kampf zwischen lokalen und staatlichen Behörden in Guatemala spezialisiert. Der Voltaire-Preis wird seit 2017 von der Uni Potsdam und der Friede Springer Stiftung vergeben. Er ist mit 5000 Euro dotiert.

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