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Landeshauptstadt: „Unglaublicher Schmerz“

Sie zieht eine gemischte Bilanz: Monique Tinney war zehn Jahre Ausländerseelsorgerin in Potsdam

Frau Tinney, zehn Jahre lang leiteten Sie die Potsdamer Ausländerseelsorge, nun verlassen sie Potsdam. Warum?

Die Rollen zwischen Politik und Verwaltung und denen, die sich für die Rechte und die Verbesserung der Lebenssituation von Flüchtlingen einsetzen, sind nach zehn Jahren recht klar verteilt. Ich glaube, es ist gut, wenn sich nach dieser Zeit wieder neue Gesichter für dieses Thema starkmachen, die vielleicht neue Herangehensweisen besitzen.

Das klingt, als gäbe es in der Potsdamer Flüchtlingspolitik derzeit Baustellen, bei denen Sie das Gefühl haben, nicht weiterzukommen.

Ja, das stimmt. Potsdam ist auch mit Blick auf Brandenburg in vielen Fällen Vorreiter gewesen, zum Beispiel was die Unterbringung von Flüchtlingen in normalen Wohnverbünden in der Stadt angeht, so wie in der Haeckelstraße. Potsdam war auch eine der ersten Kommunen, die sich entschieden hat, die Leistungen an Asylbewerber nicht mehr in Gutscheinen oder Sachleistungen auszugeben, sondern in Form von Bargeld, über das die Flüchtlinge frei entscheiden können. Das ist mittlerweile fast überall in Brandenburg so.

Aber?

In Potsdam besteht die Gefahr, dass man sich auf diesen Errungenschaften ausruht. Ein Punkt, wo wir derzeit nicht weiterkommen, ist die sehr rigide und strikte Umsetzung der Dublin-Verordnung in Potsdam, laut der Asylsuchende ihr Asylverfahren in dem europäischen Land durchführen müssen, in das sie zuerst eingereist sind: Da werden Familien mit minderjährigen Kindern zu nachtschlafender Zeit ohne Vorankündigung zur Rückschiebung abgeholt. Es bedarf immer wieder neuer Anstrengungen, um nicht in alte Schemata zurückzufallen.

Welche Baustellen sehen Sie noch?

Das geplante Wohnheim am Horstweg für 100 bis 200 Personen beobachte ich mit wachen Augen. Es wird zwar mit steigenden Flüchtlingszahlen argumentiert, aber gleichzeitig weiß die Stadt, dass eine Unterbringung für so viele Flüchtlinge weder für die Bewohner noch für die Anwohner eine gute Lösung ist. Damit tut sich Potsdam keinen Gefallen. Ein anderes Thema ist, dass am Ende immer das Sozialamt darüber entscheidet, ob ein Flüchtling in eine eigene Wohnung ziehen darf, nachdem er auf sein Sozialverhalten und seine Integrationsfortschritte überprüft wurde – bei Deutschen wird dies schließlich auch nicht geprüft. Das finde ich anmaßend, denn wir sprechen hier von Menschen, die sich durch ihre Flucht in bewundernswerter Weise als eigenständig erwiesen haben.

Welche positiven Erfahrungen nehmen Sie aus ihrer bisherigen Arbeit mit?

Ich habe die Potsdamer Bürger oft als sehr engagiert und warmherzig erlebt, es konnten viele Kontakte zwischen Flüchtlingen und Potsdamern geknüpft werden, es ist ein Miteinander gewachsen. Zum Beispiel hatte sich einmal eine Mutter aus Babelsberg gemeldet, einer kamerunischen Flüchtlingsmutter bei der Wohnungssuche zu helfen und hat darüber weitere Flüchtlinge kennengelernt. Da sie Kontakt zum SV Babelsberg 03 hatte, hat sie dort eine Flüchtlings-Mannschaft gegründet, die jetzt bei Babelsberg 03 trainiert.

Mit welchen Problemen sind die Flüchtlinge zu Ihnen gekommen?

Ein Schwerpunkt war das Getrenntsein von der Familie: Viele mussten ihre Kinder in der Heimat zurücklassen und hoffen, sie irgendwann nachzuholen. Die Eltern müssen damit leben, dass ihr Leben hier zwar geschützt ist, aber dass sie gleichzeitig von ihren Kindern getrennt sind – das ist ein unglaublicher Schmerz, der sich über das alltägliche Leben legt. Viele brauchen Zeit, um überhaupt über das Erlebte in der Heimat oder auf der Flucht sprechen zu können: Da geht es um Erfahrung von Todesangst, um den gewaltsamen Verlust von Angehörigen, das Mitansehen-Müssen von Misshandlungen, um Gefangenschaft oder Obdachlosigkeit auf der Flucht.

Sie sind evangelische Pfarrerin. War dies eine Hürde für die oft andersgläubigen Flüchtlinge, die Sie betreut haben?

Ich habe mehrheitlich mit muslimischen Menschen zu tun, auch mit Christen, Hindus oder Buddhisten, aber ich habe das nie als Problem wahrgenommen. Wenn Religion eine Rolle bei den Gesprächen spielte, dann eher, dass der Glaube als gemeinsame Basis empfunden wurde. Viele Muslime haben es als eine Begegnung auf Augenhöhe angesehen, weil wir beide unser Vertrauen in Gott setzen.

Wohin werden Sie nun gehen?

Ich wechsele zur Krankenhausseelsorge in der Berliner Charité, wo ich Menschen in extremen Lebenslagen begleiten werde. Dabei kann ich auch meine Erfahrungen aus Potsdam mit einbringen, denn ich habe im Laufe der letzten Jahre auch als Seelsorgerin im St. Josefs-Krankenhaus und im Ernst-von-Bergmann-Klinikum gearbeitet.

Die Fragen stellte Erik Wenk

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