zum Hauptinhalt

Ungewöhnlich spannend: Neues Buch erzählt Potsdams Geschichte

Rauchende Ungetüme, kluge Köpfe und eine falsche Soldatin: Ein neues Buch erzählt die Geschichte der Stadt. Wer nach Potsdam kam sollte ein Wunder erleben.

Potsdam - Viele schimpften auf das neue „rauchende Ungeheuer“. Es rattere geradewegs in die Hölle, zürnten Pastoren. Und der Fahrtwind, orakelten Ärzte, zerstöre die Lunge. So sehr ereiferte sich Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. zwar nicht über die erste Fahrt einer Dampfeisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth am 7. Dezember 1935. Er fürchtete eher um Ruhe und Gemütlichkeit, als kurz darauf auch zwischen Berlin und Potsdam Schienen verlegt wurden. „Kann mir keine große Seligkeit davon versprechen, ein paar Stunden früher von Berlin in Potsdam zu sein“, brummelte er. Aber das Dampfross war nicht zu stoppen: Am 29. Oktober 1838 startete Robert Stephensons „Adler“-Lok mit 16 Wagen vom Potsdamer Bahnhof zur Jungfernfahrt nach Zehlendorf.

26 Kilometer war diese erste Teilstrecke lang, 40 Minuten dauerte die einfache Tour, 300 Billetts wurden ausgegeben. Punkt 12 Uhr ging’s los unter schmetternden Hörner- und Trompetenklängen eines Musikcorps auf dem ersten Wagen. Potsdam hatte den Anschluss ans neue Zeitalter geschafft. Ein weiteres spannendes Kapitel begann in der Karriere der Stadt vom einstigen Fischerort im sumpfigen Flussland zur Königsresidenz.

Gewiss, man kann diesen ungewöhnlichen Aufstieg der heutigen brandenburgischen Landeshauptstadt schon in einer Vielzahl von Büchern nachlesen. Aber nur selten wird dies so unterhaltsam und anschaulich erzählt wie im neuen Buch des märkischen Tourismus-Werbetexters und Reiseführerautors Joachim Nölte „Potsdam. Wie es wurde, was es ist“.

Leser gehen auf Zeitreise

In Reportagen und Features nimmt er seine Leser auf eine Zeitreise mit. Entstanden ist ein faszinierendes Kaleidoskop aus Texten und Illustrationen: Die Geschichte der Stadt in zehn Kapiteln – vom Leben an der Havel im Mittelalter über die preußische Königs- und Garnisonszeit, den Kampf um Bürgerrechte, die Industrialisierung inklusive Dampfbahn-Premiere und „Maloche der Arbeiter im 19. Jahrhundert“ bis zur NS-Zeit, den DDR- Jahrzehnten und zur Grenzöffnung im Wendejahr.

Aber blättern wir erstmal mehr als drei Jahrhunderte zurück. Willkommen in den Tagen des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Barocke Herrscher setzten sich gerne in Szene. Dazu passte damals der Ratschlag eines Freundes des Kurfürsten. Johann Moritz Fürst von Nassau-Siegen schlug ihm vor: „Das ganze Eyland muss ein Paradies werden“ – und meinte damit das Havelland zwischen Glienicke, Potsdam, Caputh und Bornim. Friedrich Wilhelm begann, diesen Traum zu verwirklichen. Er baute nicht nur seine Potsdamer Residenz aus, auch im Umland entstanden erste Alleen und Lustschlösser. „Wer nach Potsdam kam, sollte ein Wunder erleben“, schreibt Joachim Nölte. Das war nun – mit Höhen und Tiefen – bis zum letzten Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. eine wichtige Vision. Das Preußische Arkadien wurde geschaffen.

Der Preis für dieses Wunder war aber bisweilen hoch. Zucht und Ordnung beherrschten den Alltag in Potsdam geradezu sprichwörtlich in der Zeit des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. Mit Zirkel und Lineal ließ er die Stadt erweitern, akkurat wie die Linien seiner Soldaten sollten die neuen Häuser ausgerichtet sein. Und wehe den Deserteuren, die keine Lust mehr auf Drill hatten: Wer flüchtete, wurde gnadenlos gejagt.

Wer nach Potsdam kam, sollte ein Wunder erleben

Vielfältige Szenen schildert Joachim Nölte bei seinen Ausflügen in die Vergangenheit. Wie lief ein Tag im Potsdam des Soldatenkönigs ab? Vom ersten Sonnenstrahl an wurde am Schloss getrommelt und exerziert, aber Soldatsein war ein Halbtagsjob. Nachmittags saßen etliche der Jungs am Spinnrad und machten sich auf friedliche Weise nützlich.

Rückblende ins Jahr 1809. Die Bürger drängen nach vorn, erstmals wird eine Potsdamer Stadtverordnetenversammlung gewählt. Allerdings: von rund 17 000 Einwohnern sind nur 947 stimmberechtigt. Wählen darf nur, wer „Bürgergeld“ zahlen kann und so Bürgerrechte erwirbt. Frauen, Juden und Soldaten sind ohnehin ausgeschlossen.

Zwischendurch stellt Joachim Nölte auf Doppelseiten zahlreiche interessante Potsdamer Orte und Menschen vor. Wieso heißt die 94 Meter hohe Erhebung im Südwesten eigentlich Telegrafenberg? Dort wurde 1832 ein weithin sichtbarer Mast mit beweglichen Signalarmen montiert. Er war die Nummer 4 von 61 „optischen Telegrafen“ zwischen Berlin und Koblenz. In zwölf Minuten schaffte es eine Nachricht vom Rhein an die Spree.

Von der „neuen sozialistischen Stadtkrone"

Wieso war das 1967 gebaute Mercure-Hotel am Havelufer auf seltsame Weise mit dem Schicksal der Ruine der Garnisonkirche verknüpft? Weil das Hotel für den damaligen SED Chef Walter Ulbricht die „neue sozialistische Stadtkrone“ sein sollte. Auch deshalb mussten die Reste der alten Stadtkrone, des Turms der Kirche, gesprengt werden.

Und nun zu den klugen Köpfen von Potsdam. Jan Bouman und Georg Christian Unger gehören dazu. Bouman plante das Holländische Viertel, Unger entwickelte den Bautyp des „Bürgerpalais“. Weitere Baumeister, Gartenkünstler, Mäzene oder Bildhauer werden porträtiert, auch Physiker Hermann von Helmholtz, oder Schulreformer Wilhelm von Türk – sowie mutige Vorfahren. Wer kennt Eleonore Prochaska? Sie verkaufte 1813 all ihre Habseligkeiten, um eine anständige Manneskleidung zu erwerben. Dann nahm sie, als Soldat verkleidet, illegal am Kampf gegen Napoleon teil.

Joachim Nölte präsentiert sein Buch am 3. Mai, 18 Uhr, im Potsdam Museum am Alten Markt 9. Eintritt frei, Anmeldung nicht erforderlich

Joachim Nölte: Potsdam. Wie es wurde, was es ist. Geschichte der Stadt in zehn Kapiteln. Edition Terra, 280 Seiten, 145 Fotos, 12 Karten und Stadtpläne, 28 Euro, ISBN 978-3-942917-35-3

Zur Startseite