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Umstellung auf den Sommer: Die verlorene Zeit

An diesem Wochenende ist die Nacht eine Stunde kürzer als sonst. Wo in Potsdam dafür alles am Rädchen gedreht werden muss.

Um Mitternacht macht Björn Trauer seine letzte Runde. Kontrolliert, ob die Türen im Rathaus Babelsberg verriegelt und alle Fenster geschlossen sind. Zweimal im Jahr hält er dann auch die Zeit an. Am heutigen Samstag ist es wieder so weit. „Eingriffe ins Uhrwerk wären zu umständlich, deshalb stoppe ich das Pendel“, erklärt der 42-jährige Hausmeister. Erst am Sonntag dürfen die Zeiger weiterrücken. „Mittag zur selben Zeit gebe ich dem Pendel einen Schubs“, sagt Trauer. Seit zwei Jahren ist er bei der Arbeiterwohlfahrt für das Rathaus Babelsberg zuständig. Im Turm des charakteristischen Backsteinbaus hängt die einzige öffentliche Uhr der Stadt, die noch per Hand aufgezogen und gestellt wird.

Die letzte mechanische Uhr

Es ist ein Uhrwerk mit Format – und Geschichte. Das Zuggewicht hängt in einem Schacht, der sich über zwei Stockwerke im Rathausturm erstreckt. Ein kleines Messingschild weist den Berliner Uhrmacher Georg Richter als Macher des Uhrwerks aus. 1899 wurde es in Betrieb genommen. „Das ist wie eine große Kuckucksuhr – nur ohne Kuckuck“, erklärt Björn Trauer. Alle sieben Tage muss er sie aufziehen: „75 Kurbeldrehungen, dann habe ich eine Woche Ruhe“, sagt er. Auch ein paar Stunden Notfallpuffer gibt es, falls er das Aufziehen einmal vergisst.

Schlösserstiftung

140 historische Uhren sind in den Schlössern der Schlösserstiftung zu besichtigen – doch keine einzige von ihnen tickt, wie Stiftungssprecher Frank Kallensee sagt: „Unsere Uhren sind aus restauratorischen Gründen stillgelegt.“ Die empfindlichen Uhrwerke sollen so geschont werden.

Katholische Peter-und-Paul-Kirche

Das altertümliche Uhren-Regime hat man auch bei der katholischen Kirche St. Peter und Paul, die den Spaziergängern in der Brandenburger Straße und am Bassinplatz die Zeit anzeigt, schon vor einem guten Jahrzehnt abgeschafft. „Wir haben eine Funkuhr“, sagt Propst Klaus-Günter Müller. Die Sache mit der mechanischen Uhr sei „sehr, sehr aufwendig“ gewesen – auch weil das Pendel im Uhrwerk je nach Temperatur schneller oder langsamer schlug. „Jetzt ist es viel besser“, sagt Müller.

Die Uhr an der Straßenecke

So ähnlich hält es auch die Stadtverwaltung. 25 öffentliche Uhren gibt es in Potsdam, sie stehen an großen Straßenkreuzungen. Für die richtige Uhrzeit sorgt das Werbeunternehmen Ströer – per Funk, wie Sprecherin Andrea Breyther erklärt: „Die Uhren sind dafür bereits vor Jahren mit Empfängern ausgerüstet worden, die durch einen Funkimpuls von der Zentraluhr in Frankfurt am Main automatisch umgestellt werden.“ Insgesamt 3430 Uhren stellt Ströer in dieser Nacht bundesweit gleichzeitig um: Punkt 2 Uhr rücken die Zeiger eine Stunde vor. Dabei bestehe die Gefahr, dass die Funkimpulse gestört werden, räumt die Sprecherin ein: „In diesem Fall muss ein Mitarbeiter den Fehler manuell beheben.“ Wem Unstimmigkeiten an einer Uhr auffallen, der kann das bei der eigens eingerichteten Hotline unter Tel.: (0800) 100 66 81 melden.

Erhöhtes Herzinfarktrisiko

Viele Potsdamer haben nach der Frühjahrs-Zeitumstellung ganz andere Probleme: Sie sind müde und gestresst, weil sie eine Stunde früher aus dem Bett müssen als gewohnt. Und das ist noch harmlos. Laut einer Langzeitanalyse der Krankenkasse DAK erhöht sich durch die Sommerzeit-Umstellung das Risiko für einen Herzinfarkt: Demnach kamen in den ersten drei Tagen nach der Zeitumstellung 25 Prozent mehr Patienten mit Herzbeschwerden ins Krankenhaus als im Durchschnitt – und das kontinuierlich seit 2006.

Ernst-von-Bergmann-Klinikum

Am Ernst-von-Bergmann-Klinikum ist dieser Trend noch nicht aufgefallen, sagt Sprecherin Damaris Hunsmann. Allerdings führe man über die Tage nach der Zeitumstellung auch keine gesonderte Statistik: „Wir werden das in diesem Jahr beobachten.“ Der Krankenhausbetrieb werde reibungslos umgestellt – die Patienten werden am Sonntag also schon gefühlt um 6 Uhr geweckt: „Unsere Routinen sind uhrzeitbezogen.“ Freuen können sich indes die Pflegekräfte, die Nachtdienst haben: „Die arbeiten eine Stunde weniger – und kommen früher ins Bett.“

Kein Run auf Kopfschmerztabletten

In Potsdams Apotheken macht sich die Umstellung nicht bemerkbar – einen Ansturm auf Schlaf- oder Kopfschmerzmittel gebe es nicht, sagt Inken Zander von der Heinrich-Mann-Apotheke, die Sprecherin der Apotheker-Kammer Potsdam.

Hotels

Verzichten Gäste am verkürzten Wochenende eher auf den Kurzurlaub? Birgit Kunkel vom Potsdam Tourismus Service winkt ab: „Dazu gibt es keine Erfahrungswerte und ich persönlich glaube nicht, dass Reisende sich wegen der fehlenden Stunde von ihrer Reise abbringen lassen.“

Städtische Energieversorgung

Viel Lärm um nichts: Vom Energiespareffekt – Hauptargument für die Sommerzeit – ist beim städtischen Energieversorger EWP praktisch nichts zu merken. Das liegt auch daran, dass der Anteil von Strom für elektrisches Licht durch die Energiesparlampen ohnehin immer geringer wird, erklärt Sprecher Stefan Klotz.

Bus und Bahn

Etwas mehr Vorbereitung braucht die Zeitumstellung für die städtischen Verkehrsbetriebe und die Deutsche Bahn: Damit die Fahrpläne durch die fehlende Stunde nicht durcheinanderkommen, werden sie angepasst. Die Nachtbusse der Linien N14 und N17 fahren zum Teil nur bis zum Hauptbahnhof. Bei der Linie N15 fallen die Fahrten in der fehlenden Stunde stillschweigend aus – ebenso ist es bei der S-Bahn.

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