zum Hauptinhalt
Gespaltene Seele. Der 87-jährige Sally Perel schrieb die Autobiographie „Ich war Hitlerjunge Salomon“. Als Jugendlicher überlebte er den Holocaust getarnt als Deutscher. Am Mittwoch war er in der Babelsberger Marienschule zu Gast.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: Überleben in der Haut des Feindes

Sally Perel, Autor von „Ich war Hitlerjunge Salomon“, las vor 400 Zuhörern in Potsdam

Schon bevor die Lesung begonnen hat, hat sich eine lange Schlange vor Sally Perel gebildet: Dutzende Schüler und Eltern nutzten am Mittwoch in Babelsberg die Chance für ein Autogramm oder ein paar Worte mit dem Verfasser der Autobiographie „Ich war Hitlerjunge Salomon“, die 1990 verfilmt wurde. Der 87-jährige Zeitzeuge, der den Holocaust als Deutscher getarnt überlebte, wird aufgrund seines Alters bald nicht mehr auf Lesereisen gehen können; allein in Deutschland hat er seit 2005 in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Naumann-Stiftung bei rund 190 Veranstaltungen 35 000 Schüler erreicht. Dennoch war die Lesung vor rund 400 Jugendlichen und Erwachsenen in der Turnhalle der Katholischen Marienschule ein Novum für Perel: Zum ersten Mal saßen seine Frau und seine Enkelin im Publikum.

„Es ist eine Lebensgeschichte, die keiner hätte erfinden können, aber die dennoch wahr ist“, sagte der brandenburgische Landtagsabgeordnete Andreas Büttner (FDP) vor der Lesung. 1925 wurde Salomon Perel in Peine (Niedersachsen) als Kind einer streng religiösen Rabbinerfamilie geboren. Nach der Flucht ins polnische Lódz 1938 wurde der Junge ein Jahr später von seinen Eltern getrennt; sie gingen ins Ghetto, Perel und sein Bruder flüchteten nach Ostpolen.

Die letzen Worte, die seine Eltern ihm zum Abschied sagten, bilden den Konflikt ab, in den Perel in den nächsten Jahren stürzte. Während sein Vater ihm mitgab: „Vergiss nie, wer du bist“, sagte ihm seine Mutter: „Du sollst leben!“ „Heute weiß ich: Nur diese drei Mutterwörter haben mich gerettet“, sagt Perel. Denn als er in Polen von der Wehrmacht gefangen wurde und ein Deutscher ihn fragte, ob er Jude sei, erinnerte sich der 16-Jährige an den Satz seiner Mutter und antwortete: „Nein, ich bin Volksdeutscher!“ Der Soldat glaubte ihm und als Josef „Jupp“ Perjell wurde Perel Mitglied der Wehrmacht. Seine Papiere hatte er zuvor hastig vergraben, weil er gesehen hatte, dass gefangene Juden erschossen wurden.

Nach dem Krieg ging Perel nach Israel, behielt jedoch das Deutschland seiner Kindheit in guter Erinnerung: „In Deutschland blieb für mich das Sentimentale, in Israel das Rationale.“ Oft werde er in Israel in Schulen eingeladen, erzählt Perel: „Und einmal stand ein Schüler erregt auf und fragte mich: Wieso hast du Hakenkreuze getragen? Ich sehe es aber nicht als Verrat an meinen Glaubensbrüdern an – ich habe mich ja nicht freiwillig gemeldet.“ Um zu überleben, erhielt Perel seine falsche Identität bis zum Kriegsende aufrecht. Nach zwei Jahren an der Ost-Front wurde er in ein HJ-Internat in Braunschweig geschickt, wo er knapp vier Jahre verbrachte: „Es waren für mich vier Ewigkeiten, denn ich lebte ständig mit der Angst, entdeckt zu werden.“ Besonders schwierig war es, bei ärztlichen Untersuchungen oder beim Duschen seine Beschneidung zu verbergen.

Die jahrelange „Erziehung zum Hass“, so Perel, färbte immer mehr auf ihn ab, er wurde ein Anhänger der Nazi-Ideologie: „Ein junges Gehirn hört gerne, dass es zu den Auserwählten gehört.“ Gleichzeitig begann Perel Selbsthass auf sein Judentum zu entwickeln: „Meine Seele wurde in zwei Teile gespalten – sie ist nie wieder ein Ganzes geworden.“ Bis heute trifft sich Perel mit Mitschülern aus dieser Zeit. Als ein Schüler im Publikum fragt, welches Verhältnis er zu diesen Menschen hat, antwortet Perel: „Ich treffe mich gerne mit ihnen, sie sind Teil meiner Geschichte. Und für mich sind sie damals auch Opfer des Systems geworden.“

Viele der anwesenden Schüler waren beeindruckt von Perel: „Ich habe ihn mir fast genauso vorgestellt, als ich das Buch gelesen habe“, sagt die 15-jährige Anika Schneider. „Ich fand die Lesung richtig gut und sehr berührend. Am bewegendsten war für mich, als er erzählt hat, wie er tagelang mit der Straßenbahn durch das Ghetto von Lódz gefahren ist, um seine Eltern zu finden.“

Während seines Vortrags wendete sich Perel oft direkt an die Schüler im Publikum und bat sie, selbst „Zeitzeugen“ zu werden, späteren Generationen von den Verbrechen der Nazis zu berichten und rechtsextremem Gedankengut entgegenzutreten, denn: „Es ist für mich unfassbar, dass es heute wieder Jugendliche in Deutschland gibt, die rechte Parolen rufen.“ Manchmal bekomme er auf Facebook Drohungen, sagt Perel, doch sehr viel öfter erhalte er Freundschaftsanfragen. Da er aber bereits das vorgeschriebene Limit von 5000 Facebook-Freundschaften erreicht habe, und keine weiteren mehr annehmen könne, versichert Perel allen Anwesenden: „Wer mir eine Freundschaftsanfrage schicken will – hiermit ist sie angenommen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false