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Überlastete Praxen: Eltern beklagen Mangel an Kinderärzten in Potsdam

Eltern und Mediziner in Potsdam berichten von überlasteten Praxen – die Kassenärztliche Vereinigung sieht das allerdings ganz anders.

Potsdam - Wer mit Potsdamer Eltern über die Suche nach einem Kinderarzt spricht, bekommt zunächst oft genervte Reaktionen zu hören. Auch in sozialen Netzwerken und Online-Foren klagen viele ihr Leid. „Es ist in Potsdam echt ein Krampf, einen guten Kinderarzt zu finden, der noch Kinder aufnimmt“, schreibt eine Mutter. „Das ist echt ein Problem. Groß aussuchen ist da leider nicht. Ist wie mit den Kitaplätzen, nehmen was man kriegt“, kommentiert eine andere. Es werden Tipps ausgetauscht, bei wem ein Anruf lohnen könnte, wer einen Aufnahmestopp hat und wo man wie lange im Wartezimmer sitzt. Manche klappern systematisch alle Ärzte ab, andere suchen gleich in Berlin. In der Tat zeigen Stichproben: Die Praxen sind voll, einzelne Kinderärzte, wenn auch nicht die Mehrheit, nehmen gar keine neuen Patienten auf. Insgesamt gibt es derzeit 21 Kinderärzte in Potsdam.

In der Praxis von Beate Schmeltzer am Stern werden nach einem Aufnahmestopp wieder Zugezogene oder Neugeborene angenommen, sie hat ihre Tochter als zweite Ärztin mit in die Praxis genommen. Andreas Knoblauch, der mit einem zweiten Arzt eine Kinderarztpraxis am Luisenplatz führt, nimmt nur wenige Kinder auf, etwa Geschwister von Patienten oder Kinder mit besonderen Erkrankungen. „Es ist in der Tat sehr, sehr schwierig, einen Kinderarzt zu finden, da so ziemlich alle völlig ausgelastet sind“, bestätigt er.

Kassenärztliche Vereinigung kommt zu einer anderen Einschätzung

Paradoxerweise entspricht diese von Eltern und Ärzten erlebte Realität nicht der Einschätzung der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburgs (KVBB). „Potsdam ist im Vergleich zu anderen Regionen in Brandenburg gut mit Kinderärzten versorgt“, erklärte der stellvertretenden Vorstandsvorsitzende der KVBB, Andreas Schwark, auf Anfrage. Die Vereinigung erstellt eine Bedarfsplanung. Das Verhältnis der Zahl der Kinder und Jugendliche zur Zahl der Kinderärzte wird dann als Soll-Versorgungsgrad von 100 Prozent definiert.

In Potsdam, so Schwark, liege dieser Wert sogar bei 168,9 Prozent. Es gebe ausreichend Kinderärzte in der Stadt, so die klare Botschaft. Warum sehen das viele Eltern und auch Ärzte anders? „Woher der Eindruck kommt, können wir nicht sagen“, sagt Schwark. Es sei zudem bereits nachjustiert worden. Der Zulassungsausschuss habe 1,5 zusätzliche kinderärztliche Stellen genehmigt. Konkret bedeutet das, dass Anfang Juli eine Kinderarztpraxis im Bornstedter Feld eröffnet hat (siehe Kasten). Mehr wird es wohl erst einmal nicht. Schwark sagt, die Zahl der Vertragsarztsitze werde grundsätzlich an eine wachsende Bevölkerung angepasst. Aber: „Bei einem Versorgungsgrad von 168,9 Prozent ist mit einer ,Entsperrung’ in nächster Zukunft nicht zu rechnen.“

„Die Arbeitsbelastung der Kinderärzte ist eine ganz andere als noch vor zehn Jahren“

Die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung von Eltern und Ärzten auf der einen und der KVBB auf der anderen Seite hat auch mit den veränderten Anforderungen an Kinderärzte im Allgemeinen zu tun. „Die Eltern kommen häufiger“, so fasst es Andreas Knoblauch zusammen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Eltern seien durch das Internet völlig verunsichert, sagt der Kinderarzt. Zudem gäben alternativ tätige Hebammen oder Heilpraktiker falsche Tipps, die hinterfragt würden. Dazu kommen veränderte Formalitäten: „Das Spektrum des Kinderarztes hinsichtlich Vorsorgen, Impfungen und Therapieoptionen hat sich enorm erweitert“, erklärt Knoblauch. Auch gebe es neue Hürden, etwa durch „unsinnige Bescheinigungen, zum Beispiel zur Horttauglichkeit“.

Diese Veränderungen beobachtet auch Hermann Josef Kahl, Sprecher des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Die Arbeitsbelastung der Kinderärzte ist eine ganz andere als noch vor zehn Jahren“, sagt der Mediziner. Auch die Art der Krankheiten, die die Ärzte behandeln, habe sich gewandelt: „Psychomotorische Störungen wie Verhaltensauffälligkeiten spielen eine wichtigere Rolle, das kostet viel mehr Zeit pro Patient als ein Schnupfen“, sagt Kahl.

Auf der anderen Seite gebe es mehr „Bagatellvorstellungen“ – Eltern, die wegen einer Kleinigkeit zum Arzt gehen. Als Gründe hierfür sieht er die steigende Unsicherheit der Eltern. „Es gibt viele Einkindfamilien, und beim ersten Kind ist man verständlicherweise unsicherer“, sagt Kahl. Auch er schimpft über den „bürokratischen Humbug“, mit dem die Ärzte zu kämpfen haben. Denn viele Eltern gehen auch nur deshalb mit dem Kind zum Arzt, weil sie für den Arbeitgeber oder die Kita eine Bescheinigung brauchen. „Das ist eine unnötige Zusatzbelastung“, betont er. All diese Anforderungen, so Kahl, seien in der Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Vereinigung nicht einbezogen. Sein Urteil: „Die KV arbeiten mit einer Bedarfsplanung der frühen 90er Jahre, aber deren Grundlage stimmt nicht mehr.“ Die KVBB fühlt sich nicht zuständig: Auf die Frage, ob sich die Anforderungen an Ärzte geändert haben und deshalb mehr Kinderärzte nötig sind, verweist Schwark auf den Berufsverband. 

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